15. Juni 2015 2 Likes

Sometimes the Future is Bullshit

„Cunning Plans“: Warren Ellis’ Reden über Fortschritt und die Zukunft

Lesezeit: 2 min.

Warren Ellis könnte man problemlos als Alan Moore 2.0 bezeichnen – und das nicht nur wegen seines Barts oder seinem Drang, stets möglichst innovative Formen des grafischen Erzählens zu finden. „The Authority“, „Transmetropolitan“, „Planetary“ und viele andere SF-Comics bis hin zum aktuellen, genialen „Tress“ festigten Ellis’ Ruf als einer der größten Futurologen der Comicszene. Doch auch außerhalb seiner Panel-Werke zwischen Pulp-Remix und Propheten-Vision macht sich Ellis viele Gedanken über Vergangenheit und Zukunft sowie über Fortschritt und Technik – weshalb er auch immer wieder für Reden und Vorträge auf Veranstaltungen oder Festivals eingeladen wird, die mit seinen der Zukunft zugewandten Kern-Disziplinen und seinen interessanten Betrachtungen und Analysen zu tun haben.

Nach der e-book-exklusiven Kurzgeschichte „Ein Haufen toter Schweine“ hat Ellis nun das kurze E-Book „Cunning Plans. Talks by Warren Ellis“ veröffentlicht, das ein halbes Dutzend Ellis-Reden in Textform versammelt, die der Zukunfts-Versteher zwischen 2011 und 2015 auf der ganzen Welt gehalten hat, und das nach nicht einmal 24 Stunden schon die Kindle-Verkaufscharts in den Essay-Sparten anführt.

In „Cunning Plans“ geht es um eine Vielzahl von Gedanken und Themen: Um das Phänomen der Manufactured Normalcy und die Ballard’sche Banalität der Zukunft, die wir in der Gegenwart nicht wahrnehmen, weil uns selbst der erstaunlichste Fortschritt zwischen Smartphones, GPS, winzigen Satelliten und künstlichen Organen nach kurzer Zeit normal und banal erscheint. Um einen Hexendoktor, der vor 150 Jahren im finsteren Essex schon eine Eisenbrille trug, um in die Anderswelt zu blicken – Google Iron Smartglasses 0.1. Um die Magie des iPads und Amerika als das Land mit der schlimmsten kulturellen Amnesie. Darüber, dass die Zukunft manchmal einfach Bullshit ist, während Fiction und Zahlen das System seien, um die Wahrheit auszuarbeiten – und dass wir nur Jetpacks wollen, weil wir fliegende Teppiche nicht hinkriegen. Außerdem philosophiert Ellis über die Quintessenz des Mordens und die immer größer werdende Unvorhersehbarkeit der Zukunft, ehe er festhält, dass Science-Fiction nicht die Literatur der Vorhersage sei, sondern stets Social-Fiction über das Heute, in der es um das Testen und Extrapolieren, um Möglichkeiten, Erfindungen und Vorschläge ginge. Weitere Topics in den Reden: Die Mutation der Pop-Musik als Kontinuum, das Bigger Picture für 2015, die Vergiftung des Gedankenguts der nächsten Generation, und die Verbindung zwischen Postmodernismus, Vortizismus und Futurismus, wobei Ellis eine Linie zieht zwischen Wyndham Lewis, Kraftwerk und Arthur C. Clarke Award-Gewinnerin Emily St. John Mandel.

„Cunning Plans“ ist einmal Warren Ellis querbeet und Gedanken-Opium für alle Jünger des Briten. Wenn irgendwann tatsächlich die „große Sammlung“ kommt, auf die dieses E-Book lediglich ein Vorgeschmack sein soll, darf es aber gerne etwas weniger exklusiv und abseitig sein, denn man merkt schon, dass das teilweise sehr spezielle Anlässe für die Reden waren, was natürlich Ellis’ Ansatzpunkt beeinflusst und die Texte zum Teil ziemlich ‚spezialisiert’ hat.

Warren Ellis: Cunning Plans. Talks by Warren Ellis • Summon Books, 2015 • 52 Seiten • 0,99 • Sprache: Englisch

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