13. Juli 2015 1 Likes

Das Ikarus-Komplettpaket

Andreas Brandhorsts neuer Roman „Ikarus“ ist die ideale Science-Fiction-Sommerlektüre

Lesezeit: 3 min.

Andreas Brandhorst ist nicht nur ein hoch in Ehren gehaltener Übersetzer von z. B. Sir Terry Pratchett und selbst Autor zahlreicher fantastischer Romane – längst zählt er zu den wichtigsten Stimmen der aktuellen deutschsprachigen Science-Fiction und hier sogar als echter Bestseller-Autor. Nach viel gelobten Büchern wie „Kinder der Ewigkeit“ und „Das Kosmotop“, ist das just als Paperback und E-Book erschienene „Ikarus“ (im Shop) Brandhorsts neuester, abermals komplett eigenständiger Roman, der sein Standing als SF-Größe auf beinahe 600 Seiten eindrucksvoll unter Beweis stellt. Denn Brandhorst lässt ordentlich die Muskeln spielen und stemmt in seiner Geschichte ein starkes Subgenre-Paket.

„Ikarus“ setzt in einer Zukunft ein, in der sich die biologisch und technisch fortschrittliche Menschheit im Weltraum ausgebreitet hat. Allerdings befinden sich die Erde und die Welten der Menschen – der Independenz – seit 400 Jahren unter ständiger Beobachtung, Kontrolle und Bevormundung durch die mächtigen außerirdischen Regulatoren. Eine Schiffsstadt der Regulatoren schwebt auch über dem Planeten Tayfun, wo es jene gibt, die sich mit dem Zustand der außerirdischen Quasi-Besatzung und -Abriegelung abgefunden haben und im Schatten der Regulatoren in Reichtum und Wohlstand leben, während andere teilweise in virtuellen Netzwerken für die Freiheit kämpfen und hohe Risiken eingehen.

Der Konzernchef Jamo Jamis Takeder, einer der einflussreichsten Männer Tayfuns, schien offensichtlich zur ersten Gruppe zu gehören. Nach seiner Ermordung muss ein Kopiat – ein violetter Klon seiner selbst, der nicht mehr über die sozialen Privilegien des Toten verfügt und mit Gedächtnislücken und Stimmen in seinem Kopf zu kämpfen hat – in 20 Tagen jedoch seinen Mörder finden, und dabei findet der Kopiat so manches über den Menschen heraus, der er einst gewesen ist, und der anscheinend durchaus mehr als Sympathie für die Liberalisten und ihr Streben nach Unabhängigkeit empfand. Und irgendwie hängt all das, vom Mord bis zu den Freiheitskämpfern in den virtuellen Realitäten, mit dem Geheimnis hinter dem titelgebenden, bedeutungsschwangeren Wort Ikarus zusammen …

Es ist schon beachtlich, dass der 1956 geborene Andreas Brandhorst in so vielen seiner Romane komplett neue Szenarien und ganze „Universen“ erschafft, ja wie er sowohl die menschlichen und gesellschaftlichen als auch die technischen und politischen Zustände in einem lebendigen, faszinierenden, überzeugenden Setting aufgehen lässt, das er mit seinen Figuren und ihren Konflikten bevölkert. Am Anfang ist das im Fall von „Ikarus“ manchmal vielleicht ein bisschen viel für den Einstieg, deutet dafür aber zugleich früh an, wie gehaltvoll und vielseitig der gefällig geschriebene Roman ist, der munter zwischen Dystopie, High-Tech-Future-Krimi und Cyberpunk pendelt.

Jetzt könnte man natürlich sagen, dass deutsche Science-Fiction-Literatur – im Grunde jede Art von Literatur – den Vergleich mit der internationalen und hier vor allem der englischsprachigen Konkurrenz nicht als Messlatte und Gütesiegel braucht. Dass gute Science-Fiction gute Science-Fiction ist, egal aus welchem Land sie stammt. Und das stimmt allemal. Dennoch ergibt es Sinn, die beiden stärksten Pole von „Ikarus“ einerseits mit den Zukunfts-Krimis von Richard Morgan (im Shop) und andererseits mit dem Cyberpunk-Erben von William Gibson (im Shop) in einen internationalen Kontext zu stellen, und sei es nur als inhaltliche Richtungsangabe. Verbunden sind diese beiden Pole bei Brandhorst überdies durch ein interessant-griffiges Szenario außerirdischer Despotie, das bis zum Epilog und dem Glossar am Ende des SF-Schmökers viel Raum für allerhand Zwischentöne, Ideen, Politik, Ränke, Entwicklungen und Spannung lässt.

Das alles macht „Ikarus“ zu einem überzeugenden Science-Fiction-Komplett-Paket – und zur idealen Sommerlektüre für alle Genre-Fans.

Andreas Brandhorst: Ikarus • Heyne, München 2015 • 576 Seiten • € 11,99

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