Britische Techno-Magie

Die englisch-irische Zusammenarbeit von Star-Autor Warren Ellis, Zeichner Declan Shalvey und Koloristin Jordie Bellaire an „Moon Knight: Aus dem Reich der Toten“ führte zu einem der besten Marvel-Comics der letzten zwei Jahre. Dass es zwischen ihnen läuft, ist auch den Kreativen aufgefallen, weshalb das Trio nach der prägenden Neudefinition des Mondritters eine Creator-Owned-Serie beim Image Verlag lancierte – volles finanzielles Risiko, volle inhaltliche Freiheit.

„Injection“ heißt das Ergebnis, und das Eröffnungs-Kapitel aus den ersten fünf US-Heften liegt seit Oktober in einem englischsprachigen Sammelband als Paperback bzw. E-Book vor. Die Geschichte dreht sich um fünf britische Experten und Genies: Eine Wissenschaftlerin, einen sherlock-holmes-mäßigen Ermittler, eine Hackerin, einen Geheimagenten und einen Hexendoktor. Als sie vor einiger Zeit Mitglieder eines Think-Tanks waren, haben sie einen nichtbiologischen Bewusstseins-Emulator programmiert und entfesselt, der mit der Technik der modernen Welt und den Aspekten der volkstümlichen Welt spielt – und diese auf schreckliche Weise kombiniert. Die Fünf, die diese giftige Mischung aufgrund ihres Hungers nach Fortschritt und ihrer Angst vor Stillstand ins 21. Jahrhundert injiziert haben, müssen jetzt mit dem klarkommen, was ihr Kind anstellt und die Realität immer seltsamer und gefährlicher werden lässt …

Der irische Zeichner Declan Shalvey, der vorher u. a. „Deadpool“, „Conan der Barbar“, „Thunderbolts“ und „Northlanders“ gezeichnet hat, wird von Titel zu Titel besser. Dasselbe kann man über seine Lebensgefährtin und Stamm-Koloristin Jordie Bellaire sagen. Und Warren Ellis? Der bündelt in diesem Comic alles, was ihn seit Jahren umtreibt – wer seine digitale Reden-Sammlung „Cunning Plans“ gelesen hat, versteht „Injection“ umso besser. Ohne diesen Hintergrund mag der erste Band von „Injection“ etwas sperrig sein, obwohl er durch und durch Warren Ellis ist: Künstliche Intelligenz, geheime Machenschaften, Manufactured Normalcy und die Ballard’sche Banalität der Zukunft, die gemeinsame Vergangenheit bzw. Schnittstelle zwischen Technologie und Magie sowie Fortschritt und Folklore; und gleichzeitig ambitioniertes Comic-Storytelling mit vielen Stimmungen, einer Menge Coolness, explosionsartiger Action und prägnanten Worten. Das ist Warren Ellis in Reinform und auf wirklich allen Ebenen die konsequente Fortführung seiner Gedanken und Ansätze in z. B. „Planetary“, seinem anderen starken, aktuellen SF-Comic-Geniestreich „Trees“ und eben all seinen Vorträgen der letzten fünf Jahre.

Das macht „Injection“ zu einem faszinierenden Science-Fiction-Remix und einer genialen Lektüre für Ellis-Jünger – und zu einer lohnenden Herausforderung für alle anderen, für die das Ganze allerdings auch sehr leicht ein bisschen zu abgedreht und speziell sein könnte.

Hier gibt es einige Impressionen zum Comic.

Warren Ellis, Declan Shalvey & Jordie Bellaire: Injection Vol. 1 • Image, Berkeley 2015 • 128 Seiten • $ 9,99 • Sprache: Englisch