13. November 2015 2 Likes

„Manchmal braucht es eben Kinder!“

Craig Thompsons Comic „Weltraumkrümel“ beschreibt eine galaktische Rettungsaktion

Lesezeit: 4 min.

„Drei Kinder machen einen Weltraumausflug. Echt süß.“ Die Worte des Arbeiters auf der interstellaren Sägemühle sind abwertend gemeint. In seiner Welt sind Knirpse nicht in der Lage, Raumschiffe zu steuern, oder auf der Suche nach jemandem die halbe Galaxie zu durchkreuzen. Und doch halten er und sein Kumpel die drei ungleichen Helden am Schlafittchen, als sie an Bord der fliegenden Fabrik auftauchen und unbequeme Fragen stellen. Das Trio besteht aus Violet Marlocke, Elliot Marcel Opgenorth und Zacchäus. Ihre Mission: die Suche und Rettung von Violets Papa, der während eines Spezialeinsatzes für eben jenen Betrieb – der gar nichts mit Holz zu tun hat –  verschwand. Die Begegnung mit den beiden unfreundlichen Kerlen ist nur eine von vielen Etappen auf dieser amüsanten Weltalltour.

Vier Jahre musste die Comicgemeinde auf das neue Werk des mit Eisner-, Harvey- und Ignatz-Award ausgezeichneten amerikanischen Künstlers Craig Thompson warten. Seine Karriere begann 1999 mit dem traurig schönen Debüt „Mach’s gut, Chunky Rice“, gefolgt vom semibiographischen und preisgekröntem „Blankets“ (2003), dem „Tagebuch einer Reise“ (2004) und dem orientalisch angehauchtem Mammutwerk „Habibi“ (2011).  Mit „Weltraumkrümel“ ist im Berliner Verlag Reprodukt sein bisher buntester Ausflug in die neunte Kunst erschienen. Es handelt sich zudem um seinen ersten All Age-Comic, der Kinder wie Erwachsene gleichermaßen begeistern und sicherlich auf der einen oder anderen „Best of“-Comicliste auftauchen wird.

Gänzlich unbekannt ist dem Portlander Thomspon die Welt der kleinen Comicfans bei weitem nicht. Schon vor seiner Arbeit an „Weltraumkrümel“ zeichnete er u. a. für das Nickelodeon Magazine oder National Geographic Kids und lernte so die farbige Seite des Zeichnerlebens kennen, zu der er nun zurückgekehrt ist. Obwohl „Space Dumplins“ mit einer opulenten Koloration aufwarten kann und sich somit fundamental von seinen bisherigen Comics unterscheidet, bleibt er seiner Linie treu und webt auch hier Mystik und Christentum in seine Geschichte mit ein.

Heldin Violet lebt zusammen mit ihrem Vater Garnett „Gar“ Marlocke und Mutter Cerulean, genannt Cera, im Weltraumäquivalent einer typisch amerikanischen Wohnwagensiedlung. Andere Bewohner der Galaxie hausen entweder auf den hochmodernen und exklusiven Stationen wie „Shell-Tarr“ oder im Inneren von Asteroiden, den „Roiden“. Es handelt sich um eine Klassengesellschaft, die gerade die Bevölkerung der äußeren Roiden benachteiligt. Im Gegensatz zu Violets Familie oder den Privilegierten auf den Stationen, sind sie vollkommen schutzlos gegenüber Weltraumkatastrophen, die schon bald das Leben aller prägen werden.

Die größte Gefahr für Menschen und Aliens in den unendlichen Weiten des Alls sind Weltraumwale, die auf ihren Streifzügen alles vertilgen, was ihnen vor die Mäuler kommt. Übrig bleiben zerstörte Planeten, eingestürzte Gebäude, Weltraumschrott und vor allem jede Menge Walmist. Dieser ist ähnlich wertvoll wie Ambra, nur wird er nicht zur Parfümherstellung eingesetzt, sondern gilt als Hauptenergieträger. Gleich zu Beginn fressen die riesigen Säuger Violets Schule auf, wenig später hinterlassen sie schleimig klebrigen Durchfall, der die Bewohner zur Flucht treibt. Während Cera mit ihrer Tochter auf „Shell-Tarr“ weilt, wo sie erst seit kurzem für den exzentrischen Modeschöpfer Adam Arnold arbeiten darf, verschwindet Gar spurlos. Durch die Walscheiße im Orbit droht der Galaxie eine nie dagewesene Umweltkatastrophe, die die Bewohner der Roiden um ihren Lebensraum bringt. Menschen sollen evakuiert werden, alle anderen Spezies sind auf sich alleine gestellt. Da die Administration von „Shell-Tarr“ alle Hände voll zu tun hat, kann sie sich nicht auf die Suche nach einem vorbestraften „Holzfäller“ wie Gar machen, der den Kot normalerweise zur Sägemühle bringt, wo er in energiereiche Nuggets umgewandelt wird.

Glücklicherweise hat Violet seit kurzem ihren eigenen Weltraumflitzer und macht sich kurzerhand gemeinsam mit Elliot und Zacchäus auf, ihren Vater zu retten. Manchmal braucht es eben Kinder, um die richtigen Entscheidungen zur rechten Zeit zu treffen. Was folgt ist ein witziges, kunterbunt  und rasant erzähltes Abenteuer, das drei Außenseiter zu den besten Freunden aller Zeiten werden lässt. Dabei kommen auch die ernsten Momente nicht zu kurz. Elliot ist die jüngste, erst dritte Generation einer Spezies, die sich aus Hühnern entwickelt hat. Obwohl er einen Vater, einen Ersatz-Vater (den extravaganten Adam Arnold) und eine Roboter-Nanny hat, hat er keine richtige Familie. Seine Anfälligkeit für Visionen biblischen Ausmaßes und die Angewohnheit, diese „Träume“ in Büchern festzuhalten, haben ihn zu einem einsamen, den Weltraum fürchtenden Besserwisser und Streber werden lassen. Plagen tut ihn in erster Linie das Buch Jona, das Realität zu werden scheint. Anders ergeht es hingegen Zacchäus, der der vorletzte seiner Art ist, nachdem die Wale seinen Heimatplaneten verspeist haben. Als dessen Bewohner noch lebten, war er der kleine Kümmerling, über den sich alle lustig machten. Kein Wunder also, dass er seine Aggressionen normalerweise auf einem Schrottplatz freien Lauf lässt. Auch Violet hat mit der Bürde als Außenseiterin zu kämpfen, seitdem ihre Schule gefressen und ihre vermeintlichen Freundinnen wegzogen oder sich von ihr abwandten. Zu dritt versuchen sie nun, Violets Familie wieder zu vereinen und stoßen dabei auf den traurigen Grund für die Tobsucht der Wale.

Craig Thompsons „Weltraumkrümel“ ist ein galaktisch guter Comic für Jung und Alt, der kindgerechten Humor mit ernsten Fragen über Umwelt-/Naturschutz, Klassenunterschiede, Außenseitertum und Moral verknüpft. Dank der Arbeit von Dave Stewart („Hellboy“, „The Goon“) erstrahlen Thompsons Zeichnungen in farbenfrohem Glanz und laden ein zum Verweilen in einer Welt, die voller skurriler, schrulliger und liebenswerter Figuren steckt. Jona trifft hier auf Herman Melville und drei clevere Kids. Definitiv einer der Comics des Jahres 2015!

Craig Thompson: Weltraumkrümel • Aus dem Englischen von Matthias Wieland • Reprodukt, Berlin 2015 •  320 Seiten • € 29,00

Abb. © Craig Thompson/Reprodukt

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