28. Dezember 2015 2 Likes

Marsianischer Spezialimport

In seiner Story „Die Tortenhure vom Mars“ lässt es Marko Kloos zu Silvester richtig krachen

Lesezeit: 18 min.

Mit seiner „Alien Wars“-Reihe (im Shop) erfreut Marko Kloos die Military-SF-Fans normalerweise mit gewaltigen Weltraumabenteuern und epischen Sternenschlachten, doch er kann auch ganz anders. In „Die Tortenhure vom Mars“ erzählt Marko Kloos die Geschichte eines Mannes, der für seinen Vater den wohl prickelndsten Geburtstagskuchen der Galaxis besorgt – und dafür sogar seine Freiheit aufs Spiel setzt. Böse, pointiert und mit dem ein oder anderen Seitenhieb auf konservativ-religiöse Gesellschaftsströmungen, ist „Die Tortenhure vom Mars“ vor allem eines: saukomisch! Wir wünschen euch viel Vergnügen bei der Lektüre und einen guten Start ins Jahr 2016.

___
 

Marko Kloos

DIE TORTENHURE VOM MARS
 

„Ich will doch nur eine Geburtstagstorte haben, aus der eine Hure herausspringt. Ist das denn zu viel verlangt?“

Moses Anderson kniff sich in den Nasenrücken und atmete langsam aus.

„Dad, beruhige dich. Das hier ist ein kirchliches Pflegeheim. Wir können es uns nicht leisten, dass du schon wieder hinausgeworfen wirst. Es ist bereits das dritte in diesem Jahr.“

„Es gibt keine anderen Heime mehr, außer den kirchlichen“, erwiderte sein Vater. Amos Anderson war hundertneunundvierzig Jahre alt, besiegte aber immer noch die Pfleger beim Armdrücken. Moses nahm an, dass der viele illegale Schnaps das Leben seines Vaters verlängerte. Andererseits hatte sein Dad schon die fünfte in der Retorte gezogene Leber erhalten. „Die verdammten levitischen Hundesöhne haben mir jegliche Lebensfreude geraubt, als sie den Planeten übernommen haben. Was ist jetzt mit meinem Geburtstagskuchen?“

„Dad“, sagte Moses. „Kuchen besteht aus Zucker. Zucker ist verboten. Selbst wenn ich keine Hure hineinstecke, was ebenfalls illegal wäre, und richtig teuer ist es auch. Willst du wirklich, dass ich fünfzig Jahre im Gefängnis verbringe, weil ich eine Hure in der Torte an der Zollkontrolle vorbeigeschmuggelt habe?“

„Junge, du musst nur in den Bau, wenn sie dich erwischen.“

Moses kniff sich wieder in den Nasenrücken. Einatmen, ausatmen, entspannen. Den Impuls unterdrücken, den Erzeuger mit einem Kissen zu ersticken.

„Hör mal, Dad, selbst wenn ich eine so große Torte bekäme, wenn ich zum Mars fliegen, eine Hure anheuern und sie außerdem wirklich am Zoll vorbeischmuggeln könnte, wäre da immer noch die Frage des Geldes. Ich weiß nicht, ob dir bewusst ist, was Schmuggelware vom Mars heutzutage …“

„Natürlich ist mir das klar“, entgegnete Amos.

„Natürlich ist dir das klar.“ Moses seufzte. „Dann weißt du auch, dass Zucker jetzt neunhundert das Kilo kostet. Außerdem muss man obendrein das Mehl für den Kuchen importieren, weil das Zeug auf der Erde nicht mehr mit Zucker bindet, seit sie das Dessertvorstufengesetz erlassen haben. Für einen so großen Kuchen braucht man mindestens fünfzig Kilo. Dad, ich verkaufe Staubsauger. Auf Kommission. Ich habe keine Hunderttausend für eine Torte übrig. Und da ist die Hure noch nicht mal miteingerechnet.“

„Ich kann nicht glauben, dass du wirklich mein Sohn bist“, erwiderte Amos. Voller Abscheu schüttelte er den Kopf und griff nach dem Nachttisch. Er drückte den Daumen auf das biometrische Schloss, worauf die Schublade aufglitt. Moses sah seinem Vater zu, als dieser in dem Fach herumwühlte.

„Bewahrst du dort etwa Schnaps auf? Und … o verdammt, ist das eine Pistole?“

„Ja“, bestätigte Amos gelassen. „1911, geladen und gesichert. Niemand sagt so deutlich ‚nicht wiederbeleben’ wie eine Fünfundvierziger-Patrone im … ah, da haben wir es ja.“

Er holte den Kreditchip heraus und warf ihn Moses zu.

„Geh damit zur First Celestial und heb so viel ab, wie du brauchst. Ich habe das für schlechte Zeiten gespart, und wenn ich zum Hundertfünfzigsten in diesem verdammten Pflegeheim keine Tortenhure bekomme, dann sind das genau die schlechten Zeiten, an die ich gedacht habe.“

Moses betrachtete den Kreditchip in seiner Hand. Er war mit einem Platinband geschmückt, und auf den Kontakten steckte noch die Schutzkappe der Bank.

„Dad, wie viel Geld ist auf diesem Ding?“

„Eine Dreiviertelmillion, plus/minus einige Zigtausend. Außerdem kann ich eine halbe Million überziehen. Jetzt nimm das und besorg mir den verdammten Hurenkuchen, ja? Auf diesem Felsbrocken gibt es ja sonst nichts mehr, was Spaß macht.“

*

„Gateway Verkehrskontrolle, hier ist November Zero Acht Eins Fünf Zulu. Erbitte Starterlaubnis Richtung Mars.“

„Fünf Zulu, hier Verkehrskontrolle. Nennen Sie Fracht und Zweck des Fluges.“

Moses betrachtete das Dutzend neue Staubsauger der Marke Drek-Sukker 3000, die er gerade in der Fabrik auf Luna abgeholt hatte.

„Verkehrskontrolle, hier Fünf Zulu. Ich habe zwölf für niedrige Schwerkraft optimierte Staubsauger geladen. Ich bin auf dem monatlichen Serviceflug nach Olympus City.“

Abfliegende Raumschiffe wurden nur selten kontrolliert. Seit die Levitikaner die Regierung übernommen hatten, gab es nicht mehr viele illegale Waren, die man von der Erde nach draußen schmuggeln konnte. Trotzdem hatte Moses ein ungutes Gefühl im Bauch, als er auf die Freigabe wartete. Noch befand sich im Lieferfahrzeug der Firma nichts Illegales, aber die Scanner des Zolls würden den mit Marsdollars aufgeladenen Kreditchip in seiner Hosentasche erfassen. Wenn man mit einer halben Million Neuer Schekel zum Mars flog, gab man dem Zoll mehr als deutlich zu verstehen, dass man irgendetwas schmuggeln wollte. Aber an diesem Tag herrschte viel Verkehr, und er hoffte, sein Staubsaugerwartungsschiff fiele nicht besonders auf, und die Zollbeamten verzichteten auf eine genauere Überprüfung oder - noch schlimmer - einen Besuch an Bord.

„Fünf Zulu, hier Verkehrskontrolle“, sagte die Überwachung eine Minute später. „Sie können wie beantragt starten. Sie sind Nummer Siebzehn in der Warteschlange. Fliegen Sie mit Gott.“

„Verkehrskontrolle, hier Fünf Zulu. Vielen Dank“, antwortete Moses. Er achtete darauf, dass sein erleichtertes Seufzen nicht über Funk zu hören war.

*

Moses hatte noch nie eine marsianische Hure gebucht, aber wie sich herausstellte, waren diese Dienste ebenso leicht zu erhalten wie Zucker und Mehl für Dads Kuchen. Rasch absolvierte er die geschäftlichen Termine, und dann suchte er die Mall of Mars im Raumhafen von Olympus City auf. Mehl und Zucker: Lebensmittelabteilung, Abschnitt Fünf bis Acht. Huren: Dienstleistungsbereich, Abschnitt Dreizehn bis Neunundfünfzig. Sexual Services Unlimited, We-B-Whores, Intercourse Incorporated, Fast & Easy, Copulation Station. Das Angebot an sexuellen Dienstleistungen in der Mall of Mars überstieg bei Weitem die Anzahl der Bibeln (das Endgültige, Unwandelbare, Unfehlbare Wort Gottes, Achte überarbeitete und ergänzte Auflage), die man in zwei beliebigen levitischen Kathedralen auf den Kirchenbänken fand. Moses entschied sich für eine Agentur ohne Tentakel in der Werbung und ging hinein, den Kreditchip mit den Marsdollars fest in der Hand haltend.

*

„Demnach suchen Sie also keine Unterhaltung für sich selbst“, sagte die Hure. Es fiel Moses schwer, diesen Begriff auf die Frau anzuwenden, die ihm gegenüber am Schreibtisch saß. Sie trug erstklassige neutrale Geschäftskleidung, die zugleich das aufregendste war, das Moses je an einer Frau gesehen hatte. Das lange dunkle Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, und die grünen Augen waren hypnotisierend. Mit den hohen Wangenknochen und der makellosen hellen Haut war sie einfach umwerfend. KENDRA stand auf dem kleinen goldenen Namensschild.

„Äh, nein“, erklärte er. „Ich will jemanden für eine besondere Aufgabe buchen. Es ist für meinen Dad.“ Er lachte nervös. „Warum habe ich das Gefühl, dass ich derjenige bin, der sich bewerben muss?“

„Weil es so ist“, antwortete sie. „Wir wählen unsere Kunden sehr genau aus und nehmen bei Weitem nicht jeden, Mister Anderson. Nun wüsste ich gern, warum Sie sich ausgerechnet für mich entschieden haben.“ Sie lächelte ermutigend und zeigte ihm ihre perfekten, ebenmäßigen weißen Zähne.

„Also“, erklärte er, „Sie sind sehr zierlich. Ich suche jemanden, der hier hineinpasst.“ Er holte eine Broschüre aus der Tasche und legte sie vor ihr auf den Tisch. Kendra zog die Augenbrauen hoch.

„Erzählen Sie mir von dieser besonderen Aufgabe, Mister Anderson.“

Er beschrieb ihr, was er brauchte. Als er fertig war, stieß Kendra ein perlendes silberhelles Lachen aus, bei dem er das Gefühl bekam, er betrachtete an einem wunderschönen warmen Strand den Sonnenaufgang.

„Normalerweise nehme ich keine Aufträge auf der Erde an“, entgegnete sie. „Ihre Regierung ist auf Freudenspender nicht gut zu sprechen. Außerdem ist das, was Sie wollen, auf der Erde tatsächlich illegal.“

Sie betrachtete noch einmal die Broschüre und schüttelte lächelnd den Kopf.

„Aber wissen Sie was? Das klingt, als könnte es Spaß machen, und meine Rechtsschutzversicherung kauft mich frei, falls wir erwischt werden. Zahlen Sie mir die wöchentliche Gage plus zwanzig Prozent Risikoaufschlag, und wir sind im Geschäft.“

Seine Hände zitterten vor Erleichterung und Aufregung, als er nach dem Kreditchip in der Hosentasche griff.

„Schön. Ich muss mich für die vielen Fragen entschuldigen, die ich vorhin gestellt habe. Es ist das erste Mal, dass ich eine Hure buche.“

Erschrocken hob er den Kopf, als ihm bewusst wurde, was er gerade gesagt hatte.

„O Mann, es tut mir leid.“

Kendra lächelte nur.

„Das ist nur dort, wo Sie wohnen, ein böses Wort, Mister Anderson. Hier auf dem Mars legen wir Wert darauf, gewisse irdische Begriffe, äh, zu rehabilitieren. Besonders diejenigen, die Ihre Gesellschaft mit der Sünde in Verbindung bringt. Die Wurzel des Wortes ‚Hure’ bedeutet so viel wie ‚Begehren’. Auf dem Mars ist es eine ganz ehrenhafte Berufsbezeichnung. Es ist weder eine Schande noch unmoralisch, begehrt zu werden.“

Erleichtert nickte er und wusste ohne in den Spiegel zu sehen, dass er so puterrot war wie ein Kardinalsgewand. Er reichte Kendra den Kreditchip.

„Buchen Sie ab, was Sie brauchen“, sagte er.

*

„November Zero Acht Eins Fünf Zulu, hier ist die Verkehrskontrolle. Willkommen daheim. Haben Sie etwas zu verzollen?“

Moses überprüfte den Laderaum hinter dem Cockpit. Die versiegelten Abfallkartuschen der Staubsauger, die er in Olympus City gewartet hatte, waren in einer ordentlichen Reihe an der Kabinenwand festgeschnallt und mit Gefahrenschildern versehen.

„Äh, nein, Verkehrskontrolle. Nur einige gebrauchte Müllbehälter und ein paar Geräte, die ich nicht verkauft habe.“

„Verstanden, Fünf Zulu.“ Es gab eine kurze Pause. „Warten Sie auf die Zollinspektoren. Behalten Sie Flugrichtung und Geschwindigkeit bei.“

„Mist“, schimpfte Moses, ohne auf den Sendeknopf zu drücken. Dann erst antwortete er.

„Verkehrskontrolle, Fünf Zulu hat verstanden.“

„Es wird hier hinten etwas ungemütlich“, sagte jemand in der Reihe der Abfallkartuschen. „Hoffentlich ist das Gehäuse nicht luftdicht versiegelt.“

„Das tut mir leid“, erklärte er Kendra. „Ihr Luftaufbereiter sollte aber dreißig Minuten reichen. Das ist genug Zeit für eine Inspektion.“

„Wie schön. Aber wenn mir schwindlig wird, öffne ich den Deckel. Nur damit Sie es wissen.“

„Schon gut“, lenkte Moses ein. Er sah zu, wie das Zollshuttle auf der Backbordseite die Geschwindigkeit anpasste.

*

„Frachtpapiere und Betriebserlaubnis, bitte“, verlangte der Zollbeamte ohne Einleitung, sobald er durch die Andockschleuse getreten war und das Visier des Helms hochgeklappt hatte.

„Hier, bitte, Officer.“ Moses überreichte ihm die verlangten Papiere und wartete. Er versuchte, gelassen zu wirken, obwohl ihm der eigene Herzschlag in den Ohren dröhnte.

Der Zolltrottel marschierte in den Laderaum  und richtete die Helmlampe auf die Abfallkartuschen an den Wänden.

„Das ist Müll, ja?“

„Und vier Staubsauger. Dieses Mal habe ich nur acht verkauft.“

Der Zollbeamte zückte einen Handscanner und strich damit über die Behälter.

„Hier ist Biomasse drin.“

„Ja. Einer meiner Kunden … also, sie behaupten ja, es sei ein Hotel, aber …“ Moses senkte verschwörerisch die Stimme. „Ich glaube, das ist ein Haus mit einem schlechten Leumund. Ich habe keine Ahnung, was sie in den Zimmern machen, aber ihre Müllentsorger gehen ständig kaputt. Einmal musste ich eine Kartusche knacken, weil das Siegel kaputt war, und … Sie wollen gar nicht wissen, was ich darin gefunden habe. Widerlich.“

Der Zolltrottel wich zurück. „Igitt. Und mit diesen Perverslingen machen Sie Geschäfte?“

Moses zuckte mit den Achseln. „Ich muss eben dahin gehen, wohin mich der Boss schickt.“

„Was ist in dem Kasten da drüben? Laut Scanner ist er abgeschirmt. Was für eine Sorte Müll erfordert einen Strahlenschutz der Klasse III?“

„Das ist Plutoniumoxid. Es stammt aus der kleinen Aufbereitungsanlage in Sagan U. Wir haben den Vertrag für die Entsorgung. Wegen der Umweltschutzbestimmungen können sie es nicht auf dem Mars endlagern, deshalb transportieren wir es ab. Keine Sorge, die Abschirmung ist stabil. Sie können sie gefahrlos berühren, wenn Sie wollen. Die Alphastrahlen wärmen das Gehäuse auf. Es ist sogar ganz angenehm.“

„Das glaube ich Ihnen jetzt einfach mal.“ Der Zollbeamte sah sich noch einmal im Lagerraum um, tippte mit dem Handscanner gegen sein Bein und drehte sich zur Andockschleuse um. „Aber wenn wir Sie das nächste Mal für eine Inspektion auswählen, warnen Sie bitte vorher den Zoll, dass Sie radioaktiven Abfall an Bord haben. Einen guten Tag, Mister, und Gott behüte Sie.“

„Ja, Sir. Entschuldigen Sie bitte, Sir. Das passiert nur einmal oder höchstens zweimal im Jahr. Ich hatte es ganz vergessen.“

Moses wartete, bis sich die äußere Luke hinter dem Beamten geschlossen hatte, dann zeigte er dem Schott den ausgestreckten Mittelfinger.

Als sich das Zollshuttle entfernte und den Patrouillenflug wieder aufnahm, kehrte er ins Lager zurück und öffnete den zweiten Behälter mit der Biomasse. Kendra entfaltete sich aus dem unglaublich engen Gefängnis wie eine leicht verwelkte Blume.

„Der Kerl war so dumm wie eine Kiste Steine“, bemerkte sie. „Ich kann gar nicht glauben, dass er die Geschichte geschluckt hat.“

„Tja, also, beim Zoll arbeiten nicht gerade besonders kluge Leute.“ Moses half ihr aus der Abfallkartusche. „Nur gut, dass ihr Marsianer so geschmeidig seid.“

„Das ist einer der Vorteile, wenn man sich an eine Welt mit niedriger Schwerkraft anpasst.“ Sie richtete den Pferdeschwanz und lächelte Moses an. „Lassen Sie uns landen, ja? Ich glaube, Sie müssen noch einen Kuchen backen und ausliefern.“

*

Moses überlegte sich ein halbes Dutzend Pläne, wie er die Geburtstagstorte am Empfang vorbeischmuggeln könnte, und verwarf sie alle, um sich schließlich einfach auf plumpe Bestechung zu verlegen. Als er mit dem Hydrowagen der Firma vor dem Seiteneingang im untersten Stockwerk hielt, öffnete ihm der Nachtwächter wie abgesprochen die Tür.

„Da ist doch nichts Illegales drin, oder? Ich will keinen Ärger.“

„Nein, nein“, versicherte Moses ihm, während er den Werkstattkarren durch die Sicherheitsschleuse schob. „Es ist nur ein Geburtstagsgeschenk für meinen Dad. Ein paar seiner alten Armeesachen. Ich habe sie rahmen lassen und so weiter.“

Die Torte steckte in einer großen Kiste, in der sich früher ein großer Industriestaubsauger befunden hatte. Es war kein großer Kuchen, gerade geräumig genug, um die hockende Kendra aufzunehmen, doch er repräsentierte Zucker und Mehl im Wert von achtzigtausend Neuen Schekel sowie fünfzig Jahre in einer Gefängnisstadt des Ministeriums für die Verhinderung von Sünden.

„Verstehe.“ Der Wächter betrachtete das Etikett auf der Kiste, als Moses den Werkstattkarren in den Korridor hinter der Schleuse schob. Der Geruch von Zucker und Vanilleextrakt war fast schon übermächtig und gewann in der Pflegeheim-Aura von Desinfektionsmitteln und altem Schweiß beinahe die Oberhand.

„He! Der Drek-Sukker von Kenmore! Ich liebe diese Apparate. Ich benutze sie ständig.“

„Ich verkaufe sie.“ Moses beeilte sich, den Karren mit der Kiste und dem Kuchen möglichst weit wegzuschieben, ehe er in die Tasche griff und eine Visitenkarte hervorholte, die er dem Nachtwächter gab. „Rufen Sie mich mal an. Ich kann Ihnen einen guten Preis machen.“

„Klasse. Also dann, viel Spaß mit Ihrem Dad. Ich möchte wetten, dass er sich sehr freuen wird, was?“

„Oh, aber ganz bestimmt.“ Moses schob den Karren zum Aufzug.

„Das waren zwei sehr lukrative Minuten für ihn“, erklärte er dem Kuchen in der Kiste, als sich die Aufzugtüren hinter ihnen geschlossen hatten. „Wenn er bei mir einen Staubsauger bestellt, kann er ihn mit Dads Geld bezahlen. Meine Liebe, sie sind vermutlich die teuerste Geburtstagstorte in der Geschichte der Konditorei.“

Kendras Lachen drang gedämpft durch drei Schichten Kuchen aus der schweren Polyfaserkiste.

„Aber ich bin es wert. Ich bin ein ganz vorzügliches Naschwerk.“

„Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel“, antwortete Moses und drückte auf den Knopf für den fünften Stock.

*

„Du heiliger Bimbam, der kleine Mistkerl hat es tatsächlich geschafft“, sagte Amos, als Moses den Karren in das Zimmer seines Vaters schob. „Anscheinend muss ich dich wohl doch nicht enterben.“

„Auf deinem Kreditchip ist sowieso nicht mehr viel, was ich erben könnte“, schnaufte Moses. „Herzlichen Glückwunsch, Dad. Und nur damit du es weißt – dieses Geburtstagsgeschenk muss für alle restlichen Geburtstage in deinem Leben reichen.“

Amos beäugte die große Kiste auf dem Karren. „Dann will ich mal hoffen, dass da drin ist, was ich mir gewünscht habe.“

„Du wirst schon sehen.“

Moses schloss die Tür hinter sich, holte den Mediaplayer hervor, den Kendra ihm gegeben hatte, und stellte ihn neben der Tür auf den Tisch. Dann umarmte er die Staubsaugerkiste und zog sie hoch.

„Das ist aber ein hässlicher Kuchen“, verkündete sein Dad. „Er sieht aus wie ein Mülleimer mit einem Stück Scheiße oben drauf.“

„Dad, ich bin Staubsaugervertreter und kein Konditor. Besser konnte ich es nicht. Jetzt halt mal einen Moment den Mund.“

Er drückte auf Play, woraufhin ein marsianischer Popsong mit beeindruckend hoher Lautstärke zu plärren begann. Der Deckel der Torte sprang auf, die Glasur zerbarst und flog in alle Richtungen, und Kendra entfaltete sich. Sie trug ein strahlendes Lächeln im Gesicht und sonst nicht viel. Dann bewegte sie sich zur Musik. Auf einmal stellte Moses fest, dass sein Overall im Schritt stark spannte.

„Ich nehme alles zurück“, rief Amos nach ein paar benommenen Momenten. „Das ist die schönste Torte, die ich je im Leben gesehen habe.“

Er steckte sich zwei Finger in den Mund und stieß einen langen, gellenden Pfiff aus. Moses hielt sich entsetzt die Ohren zu.

„Ruhig, Dad!“

Schon flog die Tür auf, und die Nachtschwester schaute herein. Sie warf einen Blick auf den riesigen Kuchen und die nackte Frau, die sich mit sinnlichen Bewegungen darin wand, keuchte entsetzt und floh. Kendra tanzte ungerührt weiter. Moses sah sich um. Die Schwester rannte zum Dienstzimmer am Ende des Flurs.

„Wie schön.“ Er schaltete die Musik ab.

„Sie ruft jetzt die Polizei, Dad. Gleich um die Ecke ist eine Wache der Sündenpolizei. In höchstens fünf Minuten sind die Beamten hier.“

„Also, dann.“ Amos riss sich endlich von Kendras schlanker Gestalt los. Sie stieg aus dem Kuchen und band die Haare wieder zu einem Pferdeschwanz.

„Wir wandern ins Gefängnis“, erklärte Moses. „So viele Beweise können wir gar nicht aufessen, ehe sie hier eintreffen.“

„Warum passt du nicht draußen auf, Junior?“, sagte Amos. „Die Zeit drängt, und ich würde gern ein wenig mit dieser hübschen jungen Dame plaudern. Halt die Inquisition einfach nur ein Weilchen auf.“

„Dad, ich weiß wirklich nicht …“

„Raus mit dir, du Volltrottel. Es sei denn, du willst das hier für die Nachwelt aufzeichnen. Du weißt schon, als eine Art Erinnerungsstück.“

Moses ging ohne ein weiteres Wort hinaus.

*

Die Sündenpolizei kam ein paar Minuten später mit dem Aufzug. Moses ging den beiden Beamten entgegen, wich aber zurück, als er sah, dass sie schon die Taser gezückt hatten.

„Was liegt denn an, Officer …“

„Mund halten“, raunzte der erste Beamte. Seine humorlose Miene wurde anscheinend als Standard-Beigabe für die Taser mitgeliefert. „In dem Zimmer dort sind illegale Drogen. Und es gab Ausschweifungen. Sie sind verhaftet, mein Freund. Todsünde und Unmoral vierten Grades.“

Sie stießen ihn gegen die Wand und legten ihm Handschellen aus Polyplast an. Dann zogen sie ihn zum Zimmer seines Dads, wo inzwischen wieder laute Musik eingesetzt hatte.

Der erste Beamte versuchte es gar nicht erst mit der Türklinke, sondern hob einen mit Nieten bewehrten Stiefel und trat die Tür ein. Dann stürmte er mit erhobenem Taser in den Raum.

Es gab einen ohrenbetäubenden Knall, der Cop blieb wie angewurzelt stehen, und die Überreste des Tasers prasselten auf den schmutzigen Boden.

„Keine Bewegung, du Arsch“, rief Amos. „Los jetzt, Lady. Wir hauen ab.“

Es gab ein Geräusch, als kämpfte ein Staubsaugermotor gegen einen verstopften Schlauch an, und dann schoss Amos’ Bett auf den Flur und rammte den ersten Polizisten um. Der zweite Beamte war wie vor den Kopf gestoßen – was allerdings seinem natürlichen Gesichtsausdruck zu entsprechen schien –, als er das Antigravbett mit einem bewaffneten Hundertfünfzigjährigen und einer spärlich bekleideten marsianischen Hure vorbeisausen sah. Der .45er in Amos’ Hand wirkte erheblich beeindruckender als der Taser des zweiten Cops. Das Bett bog scharf nach links ab und raste den Flur hinunter. Die Musik plärrte aus Kendras Mediaplayer, während Amos begeisterte Schreie ausstieß. Moses hörte noch einmal Kendras silberhelles Lachen, ehe das Bett am Ende des Ganges durch das Fenster brach und verschwand.

Im Flur herrschte tiefes, benommenes Schweigen.

„Soll das ein Witz sein?“, sagte Moses.

Der erste Cop rappelte sich auf. An seinem Handgelenk baumelten die Überreste des Tasers an der Schlaufe. Er hob den Hut auf, setzte ihn sich auf den Kopf und kehrte in Amos’ Zimmer zurück. Der zweite Cop folgte ihm und zerrte Moses hinterher.

Der Kuchen lag auf dem Boden – eine völlig offensichtliche Verletzung der Himmlischen Speisevorschriften. Die Nachttischschublade stand offen und war leer. Oben auf dem Nachttisch befanden sich ein großer Werkzeugsatz in einer abgenutzten Nylontasche, ein Glas mit ein wenig bernsteinfarbener Flüssigkeit und ein halb gegessenes Stück Kuchen. Der erste Cop ging zum Nachttisch, roch an dem Glas und schnitt eine Grimasse.

„Alkohol“, stellte er fest. „Feuerwaffen. Huren. Kuchen. Dafür geht jemand sehr lange in den Bau. Fünfzig Jahre bis lebenslänglich plus ewige Verdammnis.“

Sie liefen den Flur hinunter zu dem zerstörten Fenster. Moses spähte nach draußen und rechnete damit, ein grausiges Durcheinander von Ruheständler, Hure und Antigravbett zu sehen. Da unten war jedoch nichts außer dem unversehrten Beton des Parkplatzes. Es kam ihm so vor, als hörte er in der Ferne marsianische Popmusik verklingen.

Moses unterdrückte den Impuls, sich in den Nasenrücken zu kneifen. Trotz der Handschellen gelang es ihm, den Kreditchip aus der Gesäßtasche seines Overalls zu ziehen. Er bot ihn dem ersten Beamten an.

„Nehmen Sie, was Sie brauchen“, sagte er. „Wahrscheinlich wollen Sie auch die Beweise in dem Zimmer sichern. Es wäre doch eine Schande, wenn sich irgendjemand mit fünfzig Pfund marsianischem Zuckerkuchen davonmachen würde. Das Zeug muss Zehntausende wert sein.“

Der Cop betrachtete ihn mit undurchdringlicher Miene. Dann schnappte er sich den Kreditchip und betrachtete ihn. Er zückte seinen PDA, schob den Chip in den Schlitz und überprüfte das Guthaben. Dann nahm er mit der freien Hand den Hut ab und kratzte sich am Kopf.

„Sam, schließ die Handschellen auf. Dieser Herr hier ist offensichtlich nur ein unschuldiger Passant. Es tut mir leid, dass wir Sie behelligt haben, Sir.“

*

„November Zero Acht Eins Fünf Zulu, hier ist die Verkehrskontrolle. Nennen Sie Ihre Fracht und den Zweck Ihres Fluges.“

Moses drehte sich zu den Passagieren um und hielt die Finger vor das Mikrofon des Headsets.

„Verkehrskontrolle, hier ist Fünf Zulu. Ich habe Ersatzteile für Staubsauger geladen. Ich bin auf einem Serviceflug nach Olympus City.“

Es war Sonnabend, die Freigabe kam rasch. Der Flugleiter klang ungeheuer gelangweilt.

„Fünf Zulu, hier Verkehrskontrolle. Sie können wie beantragt starten. Sie sind Nummer Drei in der Warteschlange. Fliegen Sie mit Gott.“

„Danke, Verkehrskontrolle.“ Moses schaltete die Tonübertragung ab und tippte den Startcode in das Navigationsdisplay des Alcubierre-Antriebs ein. Dann lehnte er sich seufzend zurück.

„Dir ist hoffentlich klar, dass sich meine Schwierigkeiten mit jeder Minute vergrößern“, sagte er über die Schulter. „Ich entziehe einen Flüchtling der Himmlischen Gerechtigkeit und schleuse eine illegale Sexarbeiterin vom Mars durch den Zoll.“

„Eine Freudenspenderin“, berichtigte Kendra ihn.

„Ich verstehe nicht, warum du immer noch so nervös bist, mein Junge“, erklärte Amos. „Am Ende ist doch alles gut gelaufen, oder etwa nicht?“

„Dad, ich musste das restliche Guthaben auf deinem Kreditchip einsetzen, um den Cop zu bestechen. Es ist nichts mehr da. Du bist pleite. Wovon willst du jetzt auf dem Mars leben?“

„Oh, keine Sorge. Kendra kümmert sich eine Weile um mich, bis meine Aufenthaltsgenehmigung durch ist.“

„Erzähl mir ja nicht, ihr hättet euch Hals über Kopf ineinander verliebt und wolltet heiraten. Das wäre im Moment zu viel für mein angeschlagenes Verdauungssystem.“

Kendra lachte. Moses hatte schon vor einer Weile entschieden, dass er ihr den ganzen Tag beim Lachen zuhören konnte.

„Nein, sicher nicht. Mit Kunden gehe ich prinzipiell keine persönlichen Beziehungen ein, ganz zu schweigen vom Heiraten. Und Ihr Dad ist ein bisschen zu alt für mich. Nehmen Sie es nicht persönlich“, fügte sie an Amos gewandt hinzu.

„Kein Problem“, antwortete dieser. „Kendra wird meinen Asylantrag auf dem Mars befürworten. Sobald er genehmigt ist, bekomme ich Unterstützung.“

Moses zog eine Augenbraue hoch. „Asyl? Mit welcher Begründung?“

„Religiöse Verfolgung.“

„Was?“ Moses lachte. „Du bist Atheist, Dad. Welcher Glaubensrichtung willst du denn angeblich angehören?“

„Hedonismus“, erklärte Amos. „Den praktiziere ich schon mein ganzes Leben.“

Das Warnlicht wechselte zu Grün, und Moses drückte auf dem Display des Alcubierre-Antriebs auf „Start“.

„Gott weiß, dass das die Wahrheit ist“, sagte er, als sie zum Mars rasten.
 

___
 

Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski.
Mit seinen „Alien Wars“-Romanen hat Marko Kloos die Bestsellerlisten gestürmt und wurde bereits für namhafte Preise nominiert. Sie sind im Shop erhältlich.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.