12. Februar 2016 1 Likes 2

Gravitationswellenreiter

Physiker entdecken Gravitationswellen – und Astronaut Tim Peake weiß prompt etwas damit anzufangen

Lesezeit: 7 min.

Im November 1915 sagte Albert Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie die Existenz von sogenannten Gravitationswellen voraus. Seitdem versuchten Wissenschaftler überall auf der Erde, einen Beweis für ihre Existenz zu finden. Gestern war es soweit: das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) gab in einer Pressekonferenz bekannt, dass der empirische Nachweis endlich gelungen sei. Am 14. September 2015 konnte das LIGO Gravitationswellen auffangen, die von einem Zusammenstoß zweier schwarzer Löcher vor 1,3 Milliarden Jahren entstanden sind. Riesensensation, Meldungen gehen um die Welt, Nobelpreise winken, alle freuen sich. Aber was genau bedeutet das? Was sind eigentlich Gravitationswellen, und was können wir mit diesem Wissen über sie anfangen?

Albert Einstein stellte 1915 ein Konzept vor, das unseren Blick auf das Universum dramatisch verändern sollte: Schwerkraft. 1918 publizierte er einen weiteren Artikel, in dem er seine allgemeine Relativitätstheorie erweiterte, und darin wiederum sagte er die Existenz von Gravitationswellen voraus. Einstein beschreibt Schwerkraft als die Art und Weise, wie Materie mit der flexiblen „Raumzeit“ interagiert, die in sie eingebettet ist. Besonders massive Körper, etwa schwarze Löcher oder Neutronensterne, deformieren die Raumzeit und beeinflussen ihre Krümmung (und dadurch auch die Bewegungen von Objekten, etwa Sonnen). Immer, wenn solche Objekte beschleunigt werden, produzieren sie kleine Fluktuationen in der Struktur der Raumzeit, die Gravitationswellen.


© R. Hurt, Caltech / JPL

Dabei gilt: Je massereicher das Objekt, desto stärker die Wellen. Wenn sich also zwei Neutronensterne oder zwei schwarze Löcher umkreisen oder kollidieren, erzeugt das besonders starke Gravitationswellen. Diese Wellen verformen den ganzen Raum und beeinflussen alles, was sich darin befindet. Sie bewegen sich aber nicht durch den Raum wie beispielsweise Licht oder elektromagnetische Wellen, sondern sie sind Wellen direkt im Raum. Die Veränderung der Krümmung breitet sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit aus. Newton ging davon aus, dass Gravitation unendlich schnell sein kann. Einstein wiederum nahm an, dass sich Gravitationswellen „nur“ mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten können. Würde unsere Sonne plötzlich verschwinden, würde das Licht bei uns auf der Erde erst acht Minuten später ausgehen. Aber auch die Veränderung in der Krümmung der Raumzeit, die sich von dem Ort, an dem sich die Sonne gerade eben noch befunden hat, in alle Richtungen ausbreiten würde, bräuchte Einstein zufolge ebenfalls acht Minuten, bis sie die Erde erreicht hätte.

Erreicht eine Gravitationswelle unsere Erde, läuft sie einfach durch sie hindurch, denn anders als beispielsweise Licht beeinflusst Materie die Gravitationswellen nicht oder zumindest nur kaum. Vereinfacht gesagt, „streckt“ und „staucht“ eine Gravitationswelle die Raumzeit in einem bestimmten Rhythmus, einem Wellenmuster. Das Problem ist, dass auch etwaige Messgeräte ebenfalls gestreckt und wieder zusammengedrückt werden, was eine Messung enorm erschwert. Nur bei extrem starken Gravitationswellen haben wir überhaupt eine Chance, sie zu messen, weswegen Neutronensterne oder schwarze Löcher dabei eine so entscheidende Rolle spielen: Nur sie sind „schwer“ genug, um ausreichend starke Wellen auszulösen.

Bisher haben wir Gravitationswellen nur indirekt nachweisen können. Die beiden Astronomen Russell Hulse und Joseph Taylor erhielten 1993 den Physik-Nobelpreis für ihre Beobachtung zweier Neutronensterne, die einander umkreisen. Sie stellten fest, dass die beiden Sterne einander immer näher kamen, was bedeutet, dass sie „unterwegs“ Energie verlieren. Hulse und Taylor berechneten, dass die verlorene Energie in etwa dem Wert entspricht, den man erwarten würde, würden beide Neutronensterne Gravitationswellen „abstrahlen“. Aber der direkte Nachweis durch eine Messung konnte nicht durchgeführt werden.


Der Livingston-Detektor in Louisiana © Caltech/MIT/LIGO Lab

Dann kam das LIGO ins Spiel. Das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory sind zwei vier Kilometer lange Röhren, die sich an einem Ende rechtwinklig kreuzen. Auf der Kreuzung steht ein Laser, der einen Strahl in beide Röhren schickt. Am Ende der Röhren wird der dann von Spiegeln wieder zurückgeschickt, trifft am entgegengesetzten Punkt erneut auf einen Spiegel, der es wieder zurückwirft, und so weiter. Der Laserstrahl legt damit eine wesentlich längere Strecke zurück als nur die vier Kilometer Länge der Röhren. Das LIGO ist so konstruiert, dass die beiden Röhren exakt gleich lang sind; die Lichtstrahlen sollten also, aus beiden Röhren kommend, exakt gleichzeitig wieder am Ausgangspunkt eintreffen. Die Spiegel sind jedoch so eingestellt, dass die Laserstrahlen nicht gleichzeitig am Detektor ankommen. Stattdessen treffen sie so zeitversetzt ein, dass sie sich (dank der Wellenstruktur des Lichts) gegenseitig aufheben – es wird also kein Licht gemessen. Durchläuft eine Gravitationswelle das LIGO, werden die Röhren gestreckt und getaucht, also etwas länger und dann wieder kürzer. Weil die Röhren im rechten Winkel zueinander stehen, verformt die Gravitationswelle sie nicht gleichermaßen. Die Lichtstrahlen, die dann den Detektor treffen, löschen sich also nicht mehr gegenseitig aus.

Weil die Auswirkungen der Gravitationswellen so gering sind, muss das LIGO extrem genau arbeiten und sehr exakt messen können. Zurzeit ist man dort in der Lage, Längenunterschiede in den Röhren festzustellen, die tausend Mal kleiner als der Durchmesser eines Protons sind. Das reicht gerade so für das Messen der stärksten Gravitationswellen. Eine ganze Menge Faktoren kann das Experiment stören, und sei es nur ein vorbeifahrender Zug. Außerdem vibrieren die Atome in allen Objekten, deren Temperatur über dem absoluten Nullpunkt liegt, was die Sache auch nicht einfacher macht. Deswegen hat man zwei Anlagen in rund dreitausend Kilometern Entfernung voneinander gebaut, eine in Livingston, Louisiana, die andere in Hanford, Washington. Weil sich die Gravitationswellen wahrscheinlich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, wird die eine Anlage ein kleines bisschen später als die andere von der Welle erfasst. Messen beide zeitversetzt eine Längenänderung, die mit der in der anderen Anlage gemessenen übereinstimmt, handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um eine Gravitationswelle.

Die erste Generation LIGO-Experimente war aufgrund der unzureichenden technischen Entwicklung noch nicht erfolgreich. Was auch nicht verwunderlich ist. 2010 bis 2015 rüstete man LIGO mit neuer Messtechnik aus, und im Herbst 2015 ging es wieder an den Start. Doch niemand rechnete damit, dass man sofort eine Gravitationswelle entdecken würde. Allerdings schlug LIGO beinahe sofort Alarm, genauer: Bereits vier Monate vor dem offiziellen Start, im September 2015. Seitdem suchte das Forscherteam nach möglichen anderen Ursachen – externen Störungen, fehlerhafte Messgeräte und so weiter –, um ganz sicher gehen zu können, dass man wirklich Gravitationswellen entdeckt hat.

Was fangen wir jetzt mit dieser Erkenntnis an? Gravitationswellen werden, wie gesagt, von Materie kaum beeinflusst. Sie können sich ungehindert durch das All ausbreiten. Aus den Messwerten können wir Rückschlüsse auf das Ereignis ziehen, das sie ausgelöst hat – und auf das Objekt (oder die Objekte), die an diesem Ereignis beteiligt waren, wie beispielsweise die schwarzen Löcher oder Neutronensterne.

Schwarze Löcher (im Sinne von perfekten Kugeln aus reiner, leerer, verbogener Raumzeit) wurden bisher nur indirekt beobachtet; vor allem mit Hilfe des Verhaltens von Sternen oder Gaswolken in ihrer Nähe. Einstein sagte ihre Existenz voraus und spekulierte auch, dass sie miteinander verschmelzen können. Man kann sich das so vorstellen wie zwei Seifenblasen, die sich aufeinander zubewegen, dann sozusagen aneinander kleben und schließlich zu einer einzigen Seifenblase werden, die kurz danach wieder ihre Kugelform annimmt. Die Gravitationswellen, die dabei ausgelöst werden, könnten diese Theorie bestätigen, wenn sich nachweisen lässt, dass sie sich in einem bestimmten Muster ausbreiten.


Künstlerische Darstellung eines ultramagnetischen Neutronensterns © NASA’s Goddard Space Flight Center

Neutronensterne sind die Überreste großer Sterne, die kollabierten, nachdem ihr „Brennstoff“ aufgebraucht ist. Sie sind sehr klein – nur ein paar hundert Kilometer im Durchmesser –, dabei aber immer noch so schwer wie die Sonnen, die sie früher einmal waren. Durch die enormen Kräfte, die bei der Verdichtung der „Sonnenmaterie“ wirken, müssten sich Neutronensterne eigentlich zu perfekten Kugeln formen. Ob das wirklich so ist, wissen wir allerdings nicht. Es könnte durchaus sein, dass es „Berge“ auf einem Neutronenstern gibt, die nur wenige Millimeter hoch wären. Von einem kugelförmigen Objekt müssten die Gravitationswellen exakt symmetrisch ausgehen. Abweichungen in den Wellen könnten bedeuten, dass manche Neutronensterne keine perfekte Kugelform gebildet haben – und das wiederum könnte uns bei der Beantwortung der Frage helfen, wie sich Materie unter dermaßen extremen Bedingungen wie beim Kollaps eines Sterns verhält. Ober bei einer Explosion, wenn aus der Sonne eine Supernova wird. Das erzeugt ebenfalls Gravitationswellen, aus denen wir schließen könnten, wie die Masse kurz vor der Explosion in der Sonne verteilt war. 


Cassiopeia A, der Überrest einer gewaltigen Supernova, in Falschfarben. NASA/JPL-Caltech

Etwas größer gedacht, könnten Gravitationswellen uns verraten, wie das Universum kurz nach seiner Geburt ausgesehen hat. Kurz nach dem Urknall dehnte es sich der gängigen Theorie zufolge ziemlich schnell aus, was bis heute anhält. Weit von uns entfernte Objekte, die sich weiter entfernen, erscheinen röter, weil bei der Bewegung die Lichtwellen gewissermaßen in die Länge gezogen werden. Kosmologen können abschätzen, wie schnell sich das Universum ausdehnt, indem sie die Rotverschiebung bei beobachteten Galaxien mit ihrer Entfernung von der Erde abgleichen. Dabei werden die Instrumente mit der Helligkeit eines ganz bestimmten Typs von Supernovaexplosion geeicht. Wenn mehrere Gravitationswellendetektoren auf der Erde und im All (wie beispielsweise die LISA-Pathfinder-Missionen der ESA) allesamt Signale von einem hochenergetischen kosmischen Ereignis, etwa dem Verschmelzen zweier schwarzer Löcher, aufzeichnen würden, könnten Wissenschaftler daraus ableiten, in welcher Galaxie dieses Ereignis stattgefunden hat und das dann mit der Rotverschiebung und der gemessenen Entfernung abgleichen – und so zu einer sehr viel genaueren Abschätzung der Ausdehnungsrate des Universums gelangen.

Auch die Grundlagenphysik könnte von den Gravitationswellen auf den Kopf gestellt werden. Ein gängiges Denkmodell der Stringtheorie nimmt an, dass die Schwerkraft durch ein Teilchen, das sogenannte Graviton, vermittelt wird, das analog zu den masselosen Photonen ist, aus denen, vereinfacht gesagt, das Licht besteht. Wenn das Graviton ebenfalls keine Masse hat, sollten sich Gravitationswellen, wie allgemein angenommen, mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Wenn es doch eine klitzekleine Masse hat, beeinflusst es damit die Gravitationswellen – und mit dem Fortschreiten der Technik wären wir in der Lage, das zu messen.

Wir könnten aber auch, wie der britische Astronaut Tim Peake vorschlägt, der sich derzeit an Bord der ISS befindet, die Welle einfach reiten:

 

Mehr Hintergrundinformationen zu Gravitationswellen und was man damit machen könnte finden Sie unter anderem auf scienceblogs.de. Einen der besten (wissenschaftlichen) Romane über Neutronensterne, Das Drachenei von Robert L. Forward, haben wir in unserem Shop. Alles, was ich über diese einzigartigen Sterne weiß, verdanke ich diesem Roman. 

Kommentare

Bild des Benutzers Johann Seidl

"Ich spüre ein Beben der Macht... "
;)

Danke für diesen Überblick!

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Gern geschehen! :)

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