24. Februar 2016 4 Likes

Terraforming Mars - Dürfen wir das?

Die ethischen Probleme des Terraformings in Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie

Lesezeit: 8 min.

Am Ende von Kim Stanley Robinsons preisgekrönter Mars-Trilogie (im Shop), die jetzt wieder vollständig und neu überarbeitet auf Deutsch vorliegt, ist aus dem roten ein blauer Planet geworden. Terraforming ist eines der zentralen Themen der Trilogie. Die menschengemachten Veränderungen auf dem Mars wirken sich auf alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens aus, darunter auch die politische Haltung der Marsianer der Erde gegenüber. Was wir tun müssten, um das Klima auf dem Mars wärmer zu machen und dem Planeten eine Atmosphäre zu geben, die für irdisches Leben verträglich ist, wissen wir, zumindest theoretisch: Wir kennen effektive Treibhausgase, die die Atmosphäre anheizen (von Robinson „Russell-Cocktail“ genannt).

Die Frage ist nur: Dürfen wir das überhaupt? Haben wir das Recht, einen fremden Planeten zu verändern? Oder haben wir nicht vielmehr die Pflicht, die Natur auf diesem Planeten zu schützen – selbst wenn es sich um eine kalte und offenbar tote Steinwüste handelt? Aus dieser Frage entbrennt in Robinsons Mars-Trilogie ein jahrzehntelanger Streit zwischen Ann Clayborne, der Geologin und „Ökozentristin“, die den Mars so bewahren will, wie er ist, und Sax Russell, dem „Anthropozentristen“ und damit Terraforming-Befürworter. Beide vertreten Positionen, die es auch in der heutigen Wissenschaft gibt. Jenseits der unterschiedlichen Meinungen zu diesem Thema gibt es allerdings keine konkreten, rechtlichen Regelungen, und weil eine Kolonie auf dem Mars angesichts technischer und finanzieller Herausforderungen bisher nur ein wagemutiger Traum ist, scheint es damit auch nicht eilig zu sein.

Der „Weltraumvertrag“ von 1967 ist zwar eine Art rudimentäres Gesetz, sollte allerdings primär verhindern, dass sich der Kalte Krieg ins All ausweitet. Ethische Fragen klammert der Vertrag aus. Deswegen bedienen sich die Terraforming-Gegner in Robinsons Roman wie auch in der realen Welt einer anderen internationalen Vereinbarung als Vorlage für einen „Marsvertrag“: dem „Antarktisvertrag“ von 1961. Er besagt im Kern, dass die Antarktis von den Staaten der Erde nur gemeinsam, friedlich und zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden darf. Das Erheben von Gebietsansprüchen und der Abbau von Rohstoffen sind verboten, und die antarktische Umwelt muss geschützt werden.
Auch der britische Jurist Laurence Lustgarten bezieht sich in seinem Nachwort zu dem Roman Weißer Mars von Brian W. Aldiss und Roger Penrose aus dem Jahr 1999, in dem er eine „Charta für die Besiedlung des Mars“ postuliert, auf den Antarktisvertrag. Weißer Mars entstand als Reaktion auf Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie und schildert das Schicksal einer Mars-Kolonie, die infolge einer Wirtschaftskrise auf der Erde nicht mehr finanziert werden kann und daher sich selbst überlassen wird. Die Siedler bauen eine eigene Gesellschaft auf und beschließen, ihre Beziehung zum Mars völlig neu zu gestalten, in einer Art und Weise, die Ann Clayborne sicherlich gefallen würde. Lustgartens Charta fasst das noch einmal zusammen, geprägt von der Angst, dass der Mars durch Terraforming zu einer „zweiten Erde“ wird - und damit schlimmstenfalls zu einer zweiten Müllhalde.
Lustgarten, Aldiss und Penrose lassen dem Terraforming allerdings ein Hintertürchen offen. In Artikel II der Charta heißt es: »Die Umwelt des Mars ist unantastbar. Alle Projekte, die eine Bedrohung seiner spezifischen Natur darstellen könnten … bleiben zumindest so lange untersagt, bis der ganze Planet wissenschaftlich untersucht und erforscht ist.« Aber wie lange dauert es, bis ein ganzer Planet wissenschaftlich erforscht ist? Wir leben schon ziemlich lange auf der Erde und studieren sie, können aber wohl kaum behaupten, die Erde wirklich komplett erforscht zu haben. Ann Clayborne könnte also auch nach Jahrhunderten noch argumentieren, dass die Erforschung des Mars nicht abgeschlossen sei.

Grundsätzlich ist dieser Ansatz durchaus sinnvoll: Wir sehen erst einmal nach, was auf dem Mars ist, bevor wir uns entschließen, ihn zu verändern. Der Erfolg möglicher Terraforming-Projekte hängt ja nicht zuletzt auch davon ab, welche Mengen an bestimmten Chemikalien und anderen Rohstoffen tatsächlich auf dem Mars vorhanden sind. Wir können das anhand der von den Orbitern, Landern und Rovern übermittelten Daten bisher lediglich abschätzen; was wirklich dort oben ist, wird sich erst zeigen, wenn wir selbst nachgesehen haben.
Was aber, wenn unserem Heimatplaneten eines Tages die Zerstörung droht, sei es durch unser eigenes Verschulden, sei es durch einen verheerenden Asteroideneinschlag? Weil Leben nach allem, was wir wissen, äußerst selten und kostbar ist, müssen wir es schützen, indem wir unseren Planeten schützen – aber auch über ein mögliches „Ausweichquartier“ nachdenken. Ein terrageformter Mars könnte sicherstellen, dass die Menschheit selbst nach einer kosmischen Katastrophe fortbestehen kann. So argumentieren die Befürworter des Terraformings wie Carl Sagan, der Gründer der Mars Society Robert Zubrin oder der britische Geologe Martyn J. Fogg. Ihnen zufolge sollten wir nicht nur alles tun, um kommenden Generationen eine stabile und vielfältige Umwelt auf der Erde zu hinterlassen, sondern haben auch die Pflicht, dem Leben zu helfen, sich auszubreiten. Und dabei denken sie in erster Linie an den Mars.


Die gewundenen Nanedi Valles auf dem Mars: ehemalige Flussbetten (Bild: NASA)

Dem könnten wir womöglich mit Terraforming sogar etwas zurückgeben, was er vor Jahrmillionen verloren hat. In der marsianischen Geologie finden sich zahlreiche Hinweise darauf, dass der rote Planet tatsächlich einst ein blauer war: Ausflusskanäle wie die Ares Valles und lange, gewundene Flussbetten wie Nanedi Vallis zeigen, dass über einen längeren Zeitraum hinweg flüssiges Wasser an der Marsoberfläche existiert hat, was nur bei einer dichteren, wärmeren Atmosphäre möglich ist. Vieles deutet darauf hin, dass die heutige Vastitas Borealis in der Noachischen Periode, also vor rund viertausend Millionen Jahren, ein Oceanus Borealis war. Spuren dieses Nordmeeres sind bis heute zu finden. In den ehemaligen Ozean gespülte Sedimente bildeten Riffe, die der Mars Global Surveyor der NASA unter anderem in der Cydonia-Region entdeckt hat. Berechnungen zufolge wäre der ehemalige Mars-Ozean durchschnittlich 570 Meter tief gewesen. Auf Satellitenbilder erkennt man auch mit Sedimenten aufgefüllte Krater. Diese zeigen, dass der Mars-Ozean nicht lange Bestand hatte, denn sonst wären die Kraterränder komplett erodiert. Ein Teil dieser gewaltigen Wassermassen ist vermutlich verdunstet und als Schnee auf die Polkappen gefallen. Der Großteil liegt heute vermutlich als Permafrost unter der Oberfläche.
Mars und Erde hatten also in etwa zur selben Zeit flüssige Ozeane, und es ist nicht auszuschließen, dass sich auf beiden Planeten Leben entwickelt hat. Was also, wenn wir bei der Erforschung des roten Planeten – vielleicht in einer unterirdischen, mit flüssigem Wasser gefüllten Höhle – tatsächlich auf kleine grüne Mikroben stoßen? Sogenannte extremophile Mikroorganismen auf der Erde sind in der Lage, ohne Sauerstoff oder Sonnenlicht zu überleben, ja, einige von ihnen können sogar die lebensfeindlichen Bedingungen im Vakuum des Weltalls überdauern, indem sie in eine Art Winterstarre verfallen und erst wieder erwachen, wenn die Bedingungen günstiger sind. Das könnte auch die Überlebensstrategie der Mars-Mikroben sein. Was also, wenn wir damit beginnen, die Atmosphäre des Mars aufzuheizen, und plötzlich feststellen müssen, dass wir damit schlafende Mikroben geweckt haben, die jetzt an die Oberfläche zurückkehren? Sollten wir dann unsere Terraforming-Bemühungen einstellen, um das außerirdische Leben zu schützen? Oder sollten wir angesichts der Tatsache, dass es sich ja »nur« um Mikroben handelt, damit fortfahren, den Planeten zu verändern, auch wenn das bedeuten würde, dass wir die erste außerirdische Spezies, der wir begegnen, vernichten?

Der Planetologe Chris McKay schlägt für diesen Fall eine andere Variante des Terraformings vor, die sich nicht darauf konzentriert, den Mars für Menschen bewohnbar zu machen. Stattdessen hätten wir die Pflicht, der ersten Alien-Spezies, der wir begegnen, zu helfen und den Mars so zu verändern, dass sich diese Spezies dort besser entwickeln kann. Natürlich wäre aber auch das eine Art Terraforming, das dem Leben auf dem Mars das Recht nähme, sich ungestört in seiner eigenen Geschwindigkeit zu entwickeln; eine bessere Alternative zur Ausrottung durch den Menschen ist sein Vorschlag jedoch allemal.
Ob er allerdings für den Fall, dass es tatsächlich Leben auf dem Mars gibt, zur Anwendung gebracht wird, ist fraglich. Denn es kann sein, dass wir den Mars aus sehr viel profaneren Gründen verändern werden: Geld und Profit. Diese Gründe treiben nicht nur Firmen auf der Erde an, die an den Rohstoffen, die auf dem Mars vermutet werden, interessiert sind, sondern auch die Raumfahrtagenturen. Mars-Missionen sind teuer. Die NASA rechnete 2014 mit Kosten zwischen 80 bis 100 Milliarden Dollar für mehrere bemannte Missionen über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt; Elon Musk, SpaceX-Gründer und Mars-Enthusiast, bezifferte dank der wiederverwendbaren Raketen, an denen das Unternehmen derzeit arbeitet, die Kosten für eine Marskolonie in Zusammenarbeit mit den Raumfahrtagenturen mit rund 36 Milliarden Dollar. Die aktuellen Missionsentwürfe der NASA sehen folglich vor, dass von Anfang an Ressourcen vor Ort genutzt werden sollen, um die Kosten zu senken. Eine dauerhafte Forschungsstation oder gar eine Kolonie auf dem Mars sollte so autark wie möglich sein, damit sich der immense Aufwand wirklich lohnt. Also wird es früher oder später in einem gewissen Umfang durch Rohstoffabbau zu einer Veränderung des Mars kommen. Und irgendwann könnten Kolonisten und Bergbaufirmen ihr Interesse, den Planeten zu terraformen, zur Politik machen. Das »Unternehmen Mars« soll sich ja schließlich auch irgendwann rentieren. Es scheint also nicht unwahrscheinlich, dass wir den Mars eines Tages terraformen werden.

Aber selbst, wenn wir beschließen sollten, den roten Planeten im Großen und Ganzen so zu belassen, wie er jetzt ist, können wir unmöglich ausschließen, dass wir ihn nicht doch verändern. Allein unsere Anwesenheit wird den Mars zu einem anderen Planeten machen. Denn überall, wo die ersten Menschen auf dem Mars hingehen, nehmen sie ihr ganz persönliches Bio-Gepäck mit: Mikroben. Wie die Bilder der mit Mondstaub bedeckten Apollo-Astronauten deutlich zeigen, sind Druckanzüge nie ganz dicht; an den Verschlüssen entweicht konstant Luft, die vom Sauerstofftank nachgepumpt werden muss. Obwohl diese »Lecks« mikroskopisch klein sind, reichen sie doch aus, um unsere Mikroben – jeder Mensch trägt durchschnittlich neun Billionen davon mit sich herum – nach außen dringen zu lassen. Auch unsere organischen Abfälle wie Haare und Fäkalien wimmeln nur so von Kleinstlebewesen, die ins Marsgestein gelangen könnten. Sollte es dort flüssiges Grundwasser geben, könnten sie dort durchaus überleben. Unter günstigeren, etwa durch Terraforming initiierten Verhältnissen könnten sie sich Schätzungen zufolge binnen zwanzig bis dreißig Jahren über den ganzen Planeten ausbreiten. Dabei wären die Mikroben zu einem gewissen Grad harter Strahlung ausgesetzt; sie könnten mutieren und damit zu jenen Mars-Mikroben werden, nach denen wir schon so lange suchen. Außerirdisches Leben – entstanden aus menschlichen Pathogenen und Symbionten.

Ein gewisses Maß an Terraforming wird auf dem Mars also eingeleitet werden, sobald der erste Mensch seinen Stiefelabdruck im roten Staub hinterlässt. Danach werden wir keine Kontrolle mehr darüber haben. Schließlich ist der Mars nicht die Erde, sondern ein fremder Planet. Das von der Erde importierte Leben wird sich an den Mars anpassen und irgendwann eine ganz eigene Lebensform hervorbringen, was Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie mehr als deutlich macht. Wir können diesen Vorgang nicht steuern – wir können ihn allenfalls anstoßen und dann beobachten, was sich daraus entwickelt. Ob wir den Mars zu einer zweiten Müllhalde machen, wie Brian W. Aldiss befürchtet, oder zu einem blauen Planeten, wie Kim Stanley Robinson hofft, liegt an uns.

Kim Stanley Robinson: Blauer Mars • Roman • Aus dem Amerikanischen von Winfried Petri • Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 • 992 Seiten • Paperback • € 15,99 • im Shop

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