11. März 2016 3 Likes

Im Schutzanzug durch Fukushima

Ein gezeichneter Bericht aus den Ruinen des Atomkraftwerks

Lesezeit: 3 min.

Am 11. März 2011 veränderten sich Japan und seine Zukunft durch die Katstrophe im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi für immer. Heute jähren sich das Beben, der Tsunami und der GAU bereits zum fünften Mal – die Menschen und die Natur haben jedoch nichts vergessen. Während man andernorts nachlesen kann, dass infolge des nuklearen Traumas der Japaner aktuell z. B. Hightech-Salat-Fabriken mit Robotern im Land der aufgehenden Sonne boomen, zeigt ein japanischer Comic-Künstler unter dem Pseudonym Kazuto Tatsuta in seinem Manga „Reaktor 1F – Ein Bericht aus Fukushima“, wie es heute in der zerstörten Anlage zugeht.

Denn zehntausende, zum Teil lediglich angelernte Aufräumarbeiter mühen sich in Diensten zahlreicher Subunternehmer im verstrahlten Kadaver des Kraftwerks ab, um den Rückbau und die Entseuchung voranzutreiben. Die meisten Arbeiter stammen aus der evakuierten Gegend um Fukushima Daiichi und sind wegen ihres persönlichen Verhältnisses zum Werk und der Krise gleichermaßen von Schuld wie von Verlust geplagt – obendrein haben sie gesehen, dass die Natur sich ihre früheren Häuser längst wieder zurückgeholt hat, was ebenfalls Spuren hinterlässt. Der Arbeitsalltag indes ist unspektakulär und klar geregelt, wenn nicht gerade eine entlaufene Kuh mitten in der Sperrzone vor einen Kleinbus voller Arbeiter rennt. Der Feierabend und die Rückkehr in den Erdbebenbunker und die Wohnunterkünfte stehen spätestens an, wenn die Densitometer einmal zu oft gepiept haben, was am besonders schlimmen Tagen schon nach einer Stunde der Fall sein kann. Gleichzeitig wird die Gesamtstrahlenmenge, die ein Arbeiter pro Jahr abkriegen darf, an einem bestimmten Tag zurückgesetzt – den Firmen gingen auf der ‚ewigen Baustelle’ sonst die Arbeiter und denen wiederum das Geld aus. Schockierend paradox angesichts der vorherrschenden gesundheitsschädigenden Umstände …

Auch der erfolglose Comic-Zeichner Kazuto Tatsuta arbeitet nach einigen Anlaufschwierigkeiten direkt am Gefahrenherd. Tatsuta war Mitte 40, ohne Familie, pleite, besorgt, neugierig und sich vollkommen darüber im Klaren, dass die Regierung den Menschen viel verschweigt. Deshalb heuerte er 2012 im nuklear verseuchten Gebiet 200 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt an. Was er erlebt und sieht, hält er in klaren Panels, Textkästen und Sprechblasen fest und lässt die Öffentlichkeit so teilhaben, was beileibe keine Selbstverständlichkeit ist. Die japanische Regierung tat in den letzten Jahren nämlich alles dafür, die Katastrophe zum Staatsgeheimnis zu machen und kleinzureden. Jede kritische Berichterstattung wird verhindert, und Zensur steht an der Tagesordnung, wenn es um das Thema Fukishima Daiichi geht. Tatsutas Bericht, der über den Umweg einer Manga-Geschichte im weitgehend unabhängigen Comic-Medium der staatlichen Beeinflussung entkommen kann, bescherte dem eigentlich gescheiterten Künstler einen späten Erfolg. Schließlich ist der Mangaka, für den Geigerzähler, Maske samt Kohlefilter, Schutzanzug und Zwangspausen wegen der erreichten Strahlenhöchstdosis inzwischen genauso zum Alltag gehören wie Stift und Papier, einer der Wenigen, der offen über das Desaster und seine Nachwirkungen berichtet.

Im Vorwort zum detailfreudigen ersten Band der hoch interessanten Manga-Reportage aus Fukushima, der gerade bei Carlsen auf Deutsch erschienen ist, spricht die französische Journalistin und Japan-Korrespondentin Karyn Nishimura Poupée von einem ‚einzigartigen Zeugnis’, und dieser Einschätzung kann man nach der Lektüre von „Reaktor 1F“ nur zustimmen. Beeindruckend, und mit der dazugehörigen nationalen und persönlichen Hintergrundgeschichte im Kopf geradezu Wahnsinn. An allen Ecken und Enden.

Bilder: © 2014 Kazuto Tatsuta, Kodansha Ltd. / Carlsen Verlag, Hamburg 2016

Kazuto Tatsuta: Reaktor 1F. Ein Bericht aus Fukushima • Carlsen, Hamburg 2016 • 186 Seiten • Paperback: 12,99 Euro

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