7. März 2016 1 Likes

Die Wissenschaftlichkeit der Sprichwörter

Wir sollten besser darauf achten, was wir so dahinsagen

Lesezeit: 3 min.

Wir waren auf Pferdefuhrwerke angewiesen, bis die Wissenschaft und ihre Handlangerin, die Technologie, unsere Mobilität revolutionierten. Wir versuchten, Kranke mit Blutegeln und Zaubersprüchen zu heilen, bis uns die Wissenschaft lehrte, dass wir auf dem Holzweg waren. Wäre es da nicht an der Zeit, die vielen alten Sprichwörterfossilien, die wir nach wie vor unverändert und unreflektiert gebrauchen, ebenfalls einer wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen? Hier einige Beispiele:

„Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Die moderne Wissenschaft hat schon lange bewiesen, dass die Erde nicht der Mittelpunkt unseres Sonnensystems ist. Daher ist die Vorstellung, dass die Sonne „dort oben“, „oben am Himmel“, „über uns“ ist und „auf uns herabsieht“ schlichtweg falsch. Die Begriffe „oben“ und „unten“ ergeben nur in einem Gravitationsfeld einen Sinn, und auch wenn das Feld, auf das wir uns beziehen, nicht absolut ist, ist es zulässig, solche Orientierungsangaben innerhalb dieses Feldes zu machen. Unser Gravitationsfeld wird von der Sonne selbst erzeugt. Man muss sich das wie eine Steilwand oder Trommel auf einem Jahrmarkt vorstellen, nur dass statt Motorrädern Planeten im Kreis eine Wand entlang fahren. Es lässt sich also mit Fug und Recht behaupten, dass sich die Erde und ihre Bewohner nicht „unter“, sondern „über“ der Sonne befinden. Deshalb müsste dieses Sprichwort eigentlich lauten: „Es gibt nichts Neues über der Sonne.“

Besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.“ Seit der Etablierung der Eurozone gehören komplizierte Währungsumrechnungstabellen der Vergangenheit an. Spatzen und Tauben wurden durch Eurotkehlchen ersetzt. (Lustigerweise bedient sich ausgerechnet die britische Version dieses Sprichworts – „a bird in the hand is worth two in the bush“, also „Ein Vogel in der Hand ist besser als zwei im Busch“ – einer allgemeingültigen Geflügelwährung. Und dabei haben wir nicht mal den Euro.)

Mit Spitzbuben fängt man Spitzbuben.“ Oder: „Man braucht einen Dieb, um einen Dieb zu fangen“, wie wir Engländer sagen. Dieses Sprichwort beißt sich selbst in den Schwanz. Um den Dieb zu fangen, der den Dieb gefangen hat, wäre ja wieder ein Dieb nötig usw. Außerdem kann man schon dem zweiten Dieb nicht trauen, denn er oder sie ist ja – per Definition – ein Dieb. Das Problem dabei ist, dass auch der dritte Dieb, der den zweiten fangen soll, ein Dieb ist und deshalb ebenfalls gefangen werden muss. Uns bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder eine endlose Reihe von Dieben, von denen einer den anderen fangen soll; oder eine Art Kuhhandel mit dem ersten Dieb, damit dieser den zweiten Dieb, der eigentlich den ersten fangen soll, fängt. Clever.

Wo Rauch ist, da ist auch Feuer.“ Die alltägliche Erfahrung lehrt uns, dass es sehr wohl Rauch ohne Feuer und auch Feuer ohne Rauch gibt. Wenn man Rauch als „weitverstreute Einzelteile einer festen oder flüssigen Substanz“ definiert, besteht der Großteil des Universums aus Rauch – beispielsweise kosmischer Nebel oder interstellare Wolken –, ohne dass es einen entsprechenden Verbrennungsvorgang, gemeinhin auch als Feuer bekannt, gegeben hätte. Wir müssen dieses Sprichwort also umformulieren: „Die Wahrscheinlichkeit, dass sichtbarer Rauch das Resultat eines Feuers ist, tendiert vom kosmischen Standpunkt aus gesehen gegen Null.“ Oder etwas prägnanter: „Von kosmischer Warte aus betrachtet ist viel Rauch und so gut wie kein Feuer.“

Unter den Blinden ist der Einäugige König.“ Dieses Sprichwort hat H. G. Wells bereits widerlegt.

Morgenstund hat Gold im Mund.“ Alle schweren Elemente sind im Inneren eines Sterns entstanden und wurden dann durch Novae und Supernovae im Kosmos verteilt; dieses Sprichwort verortet das Gold – eines der schwersten natürlich vorkommenden Elemente – korrekterweise in dem uns am nächsten gelegenen Stern. Weder die moderne Wissenschaft noch die Science-Fiction können dagegen etwas einwenden. Dieses Sprichwort darf ausnahmsweise so bleiben, wie es ist.
 

Adam Roberts ist eine der vielversprechendsten Stimmen in der neueren britischen Science-Fiction. Geboren 1965, studierte er Englische Literatur in Aberdeen und Cambridge und arbeitet derzeit als Dozent an der University of London. Alle Kolumnen von Adam Roberts finden Sie hier.

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