15. März 2016 2 Likes

Der gelungene Weltuntergang

Neal Stephenson erzählt in seinem aktuellen Roman „Amalthea“ vom Ende der Welt – und vom Überlebenswillen der Menschheit

Lesezeit: 3 min.

Neal Stephenson hat wieder einen Science-Fiction-Roman geschrieben. Wer einen Blick auf sein bisheriges Oeuvre wirft, weiß also sofort, dass allein diese Tatsache bereits dreierlei bedeutet. Erstens: Wir haben es mit einem breit angelegten Tausendseiter zu tun, auf dem Neal Stephenson uns eine überbordende Fülle an großen Ideen entgegenwirft. Zweitens: Der Autor belässt es nicht dabei, einfach nur sein Garn zu spinnen, sondern breitet vor unseren Augen ein Abbild der gesamten Menschheit, des Menschseins an sich aus – drunter tut er’s einfach nicht. Und drittens schließlich: Dieses gewaltige Wandgemälde von einem Roman ist durchsetzt mit wundervollen erzählerischen Details, die seine ansonsten eher nüchterne, stringente Prosa zum Funkeln bringen.

Das mir persönlich liebste von diesen kleinen Details verknüpft auf wunderbare Weise den weitgreifenden Zukunftsentwurf von „Amalthea“ (im Shop) mit unserer unmittelbaren Gegenwart. Der Roman beginnt an Bord der Internationalen Raumstation ISS, die immer noch um die Erde kreist, aber inzwischen mit einem Asteroiden namens Amalthea zusammengekoppelt wurde. Bei Stephenson wurde der Name der Raumstation inzwischen zu dem liebevollen Kosewort „Izzy“ verballhornt, und genauso nah führt uns Stephenson in die Welt der Astronauten und Raumfahrttechniker, der Raketenkonstrukteure und Asteroidenbergleute ein.

Die Geschichte, oder zumindest der Beginn der Geschichte von „Amathea“, beginnt damit, dass eines Tages der Mond explodiert. Irgendein mit hoher Geschwindigkeit durchs All fliegendes Fragment trifft den Erdtrabanten, woraufhin dieser in mehrere große und kleine Brocken auseinanderbricht. Einer der Astrophysiker auf der Erde namens Dr. Dubois Jerome Xavier Harris (eine nur zart verhüllte Hommage an den derzeit bekanntesten TV-Wissenschaftler Neil DeGrasse Tyson) erkennt recht schnell, dass eine globale Katastrophe bevorsteht. Die Mondfragmente werden kollidieren, weiter auseinanderbrechen und sich auf der Mondumlaufbahn um die Erde verteilen. Nach und nach, in immer schnellerer und häufigerer Folge, werden sie dann auf die Erde stürzen – ein „harter Regen“ setzt ein, dessen glühende Meteoritenschauer alles Leben auf dem Planeten auslöschen und die Erde in eine zweite Urzeit zurückschießen werden.

Die einzige Überlebenschance für die Menschheit liegt nun in der ISS – und so beginnt in den knapp zwei Jahren bis zum Harten Regen ein fieberhaftes Raumbesiedelungsprogramm samt Umbau von „Izzy“. Das ist allerdings erst der Anfang, und Neil Stephenson führt uns vor Augen, welche globalen, politischen, ethischen und persönlichen Folgen eine solche globale Katastrophe und ein „Arche“-Programm haben können.

In diesem Monat, März 2016, fliegt der NASA-Astronaut Scott Kelly von der ISS wieder zurück zur Erde – nach über einem Jahr Aufenthalt im All. So wie es aussieht, war die #OneYearInSpace-Mission ein voller Erfolg, soll sie doch Erkenntnisse für noch viel längere Flüge und Aufenthalte bringen. Neal Stephenson ist da schon einen Schritt weiter, und ein Jahr ist in „Amalthea“ nur ein Zwinkern der Zeit. Zur Spannweite von Stephensons Zukunftsvision sei nur so viel erwähnt (Achtung, Minimal-Spoiler): Nach zirka zwei Dritteln des Romans beginnt ein neuer Abschnitt mit dem Zwischentitel „5000 Jahre später“.

Mehr muss an dieser Stelle über „Amalthea“ nicht gesagt werden. Seit „Anathem“ bin ich von Neil Stephensons Science-Fiction begeistert, und sein aktueller Roman enttäuscht in keiner Hinsicht. Allein die Lesezeit ist vielleicht ein kritischer Faktor – aber noch steht der Mond am Himmel …
 

Neil Stephenson: Amalthea ∙ Roman ∙ Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller und Nikolaus Stingl ∙ Manhattan Verlag:  € 23,99 (E-Book)

Die Story des Monats März finden Sie hier.

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