21. März 2016 5 Likes

It’s the future, stupid!

Der amerikanische Vorwahlkampf wirft ein grelles Licht auf den Stand unserer Zivilisation

Lesezeit: 4 min.

J. G. Ballard sagte einmal, dass die Zukunft der bessere Schlüssel zur Gegenwart sei als die Vergangenheit. Ich habe lange gerätselt, was der große Psychoharuspex damit eigentlich wirklich meinte. Dann hörte ich eine Rede von Donald Trump.

Trump, weiterhin aussichtsreichster Anwerber auf die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner, hielt die Rede kurz nach einer Fernsehdebatte mit seinen parteiinternen Konkurrenten, und es ging ihm einzig und allein darum, den Sieg in der Debatte für sich zu reklamieren. Zu diesem Zweck schüttete er Hohn und Spott über seine Konkurrenten aus, vor allem über Marco Rubio, den Senator aus Florida. Trump feixte, grimassierte, machte Witze. Dann nahm er eine Wasserflasche, rief „This is Rubio!“, verspritzte etwas Wasser auf der Bühne und pfefferte die Flasche nach hinten. Es war keine politische Rede, es war pure Pöbelei.

Marco Rubio ist inzwischen aus dem Rennen um die Präsidentschaft ausgestiegen, was kein großer Verlust ist, stand er doch wie praktisch alle republikanischen Kandidaten für den politischen Autismus, in den sich die Partei spätestens seit Obamas Amtsantritt verrannt hat. Nun hat es Trump – Stand: 21. März – mit nur noch zwei Gegenkandidaten zu tun, und das kann durchaus noch spannend werden, aber wie auch immer dieses bizarre Spektakel ausgeht, man kann jetzt schon konstatieren, dass es eine politische Zäsur ist, nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt. Denn um den Erfolg dieses Mannes, der mit Immobilien reich wurde und seinen Reichtum als politische Tugend anpreist, zu erklären, drängen sich zwei Lesarten auf.

In der einen Lesart personifiziert Trump das letzte Aufbäumen einer vor allem weißen, männlichen, nicht mehr ganz jungen Wählerschicht, die ihre Felle davonschwimmen sieht. Politische und kulturelle Verschiebungen – Zuwanderung, gleichgeschlechtliche Ehen, Abbau von Arbeitsplätzen, you name it – führen bei der seit Jahrzehnten (eigentlich Jahrhunderten) dominierenden Bevölkerungsgruppe zu massiven Verlustängsten, die sich in Zorn und Paranoia entladen. Diese „Misstrauensbewegungen“, wie Heinz Bude sie nennt, sind nicht USA-spezifisch; man findet sie in allen westlichen Industriestaaten (etwas verspätet, aber seit den letzten Landtagswahlen unübersehbar auch in Deutschland). Bedrängt von Entwicklungen, die sie kurioserweise selbst mit verursacht haben, wünschen sich die Wähler in eine diffuse gute, alte Zeit zurück, und Donald Trump („Make America great again!“) ist ihr Mann dafür: ein komplexitätsminimierender Manufactum-Politiker, dem sie seine Grobheit, seinen Sexismus, seinen Rassismus gerne verzeihen, wenn sie das alles nicht ohnehin billigen. Dieser Trump allerdings ist ein Mann der Vergangenheit, ein Anachronismus; sämtliche Trends, insbesondere der demographische, deuten darauf hin, dass dieser Typ Politiker im diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf seine letzte große Party feiert.

Die zweite Lesart steht dem diametral gegenüber. Hier ist Donald Trump ein Mann der Zukunft, ein Anachronismus ganz anderer Art, der es uns nahezu unmöglich macht, ihn zu kategorisieren. Ein Demagoge, ein Extremist, gar ein Faschist? Kein Etikett bleibt haften, weil keines wirklich passt: Hinter dem Dampf und Rauch des Vorwahlkampfs, hinter dem verbalen Furor und der intellektuellen Schlichtheit, verbirgt sich nämlich die politikgewordene Anti-Politik. Trump ist kein Geschäftsmann, der zum Politiker mutiert ist, er ist: ein Geschäftsmann. Das heißt nicht unbedingt, dass er, wie Silvio Berlusconi, in die Politik gegangen ist, um seine persönlichen geschäftlichen Interessen durchzusetzen. Sondern dass sein politisches Universum ausschließlich aus geschäftlichen Interessen besteht. Trumps Kandidatur ist die ohrenbetäubende Steigerung jenes Slogans, mit dem einst Bill Clinton seine Wahlkampagne befeuerte: „It’s the economy, stupid!“

Nicht nur ein ganzes Land hat sich inzwischen in diese Logik gefügt und delektiert sich an einem Kandidaten, der sich wie ein Wall-Street-Freak breitärschig, gierig und rücksichtslos durch die politische Landschaft bulldozert. Nein, fast der ganze Planet hat sich in diese Logik gefügt: Wladimir Putin etwa mag noch so sehr die glorreiche russische Kultur beschwören, der tatsächliche Ruhm seines Reichs ist auf Gedeih und Verderb an die weltweiten Öl- und Gaspreise gekettet. Und China hat seinen leninistischen Staatsapparat in den letzten Jahren mit einem Wirtschaftssystem verbunden, das wie der feuchte Traum der Chicago Boys anmutet. Irgendwelche anderen Ordnungsprinzipien in Sicht?

Ob Trump das kühl analysiert und sich dann entsprechend positioniert hat, ist zu bezweifeln. Eher steht zu vermuten, dass er genau das will: eine sich nach sozialdarwinistischen Prinzipien globalisierende Marktgesellschaft, in der nichts mehr von politischer Bedeutung ist, weil es im Kampf um die verbliebenen Ressourcen keine politische Bedeutung mehr braucht. Alles, was es braucht, sind Marktanteile.

Dass eine so praktizierte Art der Globalisierung katastrophale Folgen zeitigen wird – Folgen, von denen wir gegenwärtig einen ersten Eindruck bekommen –, ficht die Trumps dieser Welt nicht an, denn sie sind ja diese Zukunft. Eine Zukunft, die vor unseren Augen feixt, grimassiert, Witze macht. Eine Zukunft, die Hohn und Spott über uns ausschüttet.

Und wir sehen ihr wie blöd dabei zu.
 

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