27. Juni 2016 1 Likes

Quo vadis, TV?

Wie straffällig gewordene Mitbürger dem Fernsehen die Zukunft weisen

Lesezeit: 4 min.

Kürzlich war ich im Gefängnis. Das Haus ist recht idyllisch gelegen, am Rand eines verschlafenen Städtchens in fruchtbarer Bördelandschaft. Etwa siebzig Hexen sollen hier verbrannt worden sein (im Städtchen, versteht sich, nicht im Gefängnis); sie wurden allerdings kurz vor Weihnachten 2011 allesamt vom Rat der Stadt rehabilitiert.

Einhundert Jahre alt wird das Gefängnisgebäude im Jahre des Herrn 2016, ein vierflügliger und viergeschossiger Kreuzbau in panoptischer Anordnung, ein Panoptikum also. Der britische Philosoph Jeremy Bentham hat dieses Konzept für Gefängnisse und Fabriken entwickelt; es sollte gewährleisten, dass möglichst viele Menschen von möglichst wenigen Wächtern bestens zu kontrollieren waren. Der Überwachungsdruck sollte hoch sein, die Kosten für die Überwachung dementsprechend niedrig. Gefängnisökonomie.

Ich plauderte mit dem Anstaltsarzt. Ein warmer Spätsommertag neigte sich; wir saßen bei Sprudelwasser in seinem kühlen Garten. Das Licht war mild, die Bäume knorrig. Der freundliche Mann erzählte, dass er früher viel Zeit damit verbracht habe, Medikamente zu verschreiben, deren Substanzen sich beruhigend auf das Gemüt seiner Patienten auswirkten. Diazepam beispielsweise, angstlösendes und die Muskulatur entspannendes Midazolam oder andere Sedativa. Das aber sei seit Jahren vorbei. Seit man dazu übergegangen ist, die Zellen mit Fernsehgeräten auszustatten, habe sich der pharmazeutische Konsum minimiert.

Warum?

Nun, die Herren Straftäter schauten gerne fern, und vor allem schauten sie ‒ nein, nicht Inspektor Columbo, Tatort oder Räuber Hotzenplotz, überhaupt nichts, woran sie auch nur im weitesten Sinne ein professionelles Interesse haben könnten.

Sie schauten QVC.

QVC ist ein Teleshopping-Programm; die drei Buchstaben stehen für Quality, Value & Convenience, also für Qualität, Wert & Bequemlichkeit. Die Firma befindet sich im Besitz des Medienkonzerns Liberty Media; der Konzern wiederum befindet sich mehrheitlich im Besitz von John Malone. Der Milliardär John Malone gehört nicht nur zu den zweihundert reichsten US-Amerikanern, sondern als Privatperson auch zu ihren größten Landbesitzern ‒ Liberty, so weit das Auge reicht.

Wir schlenderten über den umzäunten Gefängnishof; mein Gastgeber hantierte mit dem Schlüssel, schloss auf, schloss ab, winkte den Gefangenen zu, die winkten zurück. „Lassen Sie die Tür ruhig auf!“, rief uns einer der Häftlinge munter zu. Aber mein Gastgeber ließ sich nicht überlisten.

Zuhause setzte ich mich vor den Fernseher und schaute QVC. Ja, das Ganze hat durchaus etwas ungemein Sedatives, obwohl viel Pling und Plong. Da wird pausenlos gejuchzt und gejauchzt und ungläubig in die Kamera gestaunt, weil alles so unbegreiflich preiswert daherkommt, all die Cremes und Parfüms, die Goldwolke-Sommerdecken mit Daunenfeeling und Klimabalance, die Früchtepürees und Nutrition-Mixer, Ohrstecker, Wecker und Kreativsets. Zehn Minuten, und mir war, als hätte ich mein Gehirn eine Weile dem Nutrition-Mixer 700 Watt für 54,32 Euro ausgesetzt (früher 59,75 Euro), und der hätte es in eine Art Früchtepüree vermatscht. Die Kraft reichte gerade noch, um umzuschalten.

Ich landete auf DOGTV, das Fernsehen für den Hund. Auch nicht schlecht: Da schaute ich eine Weile zu, wie orangefarbene Basketbälle aus dem Himmel fielen, mal hierhin, mal dorthin rollten, während der Soundtrack Vogelgezwitscher zu Gehör brachte, Lockrufe von Frauchen und Herrchen, gelegentliches entlegenes Bellen. Gab es in der idyllischen Haftanstalt eigentlich Wachhunde? Und war es diesen Wachhunden gegebenenfalls gestattet, in ihrer Freizeit DOGTV zu schauen? Schauten dann die Hundeführer mit?

Oder schauten die Hundeführer währenddessen QVC?

Mir kam in den Sinn: Der größte private Betreiber von Haftanstalten in den USA ist die Corrections Corporation of America (CCA) aus Nashville, Tennessee. Das Dienstleistungsunternehmen betreibt zurzeit über sechzig Gefängnisse in den Vereinigten Staaten von Amerika mit 75.000 Insassen und ist damit einer der größten Dienstleister der florierenden Gefängnisindustrie. Gegründet wurde die Firma anno 1983 unter anderem von Thomas W. Beasley, einem in Tennessee führenden Republikaner, und von Doctor Robert Crants (wobei „Doctor“ nicht etwa ein Titel ist, sondern der Vorname – darauf muss man erst einmal kommen). Correction ‒ das englische Wort bezeichnet (unter anderem) die Korrektur, die Verbesserung, die Zucht und die Züchtigung.

Ob die Zellen der Besserungs-Corporation mit TV-Geräten ausgerüstet sind? Mit Bildschirmen, über die die Angebote von QVC flimmern, Schnäppchen aus den Bereichen Beauty & Vitalität, Hobby & Basteln, Kochen & Genießen, Haus & Garten?

Wäre es nicht überhaupt pfiffig, wenn die CCA mit QVC fusionierte? Der Straffällige & Verbesserungsbedürftige als Kunde & Klient der Quality, Value, Convenience & Corrections Corporation of America?

Und wäre es nicht noch pfiffiger, wenn sich diese QVCCCA auch präventiv betätigte, wenn zur Verbrechensvorbeugung jedem Haushalt eine Pflichtstundenzahl an QVC-TV-Konsum auferlegt würde, ersatzweise die Betrachtung von DOGTV?

Dann senkt sich endlich Stille über das sedierte Land.

Psst.
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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