26. September 2016 1 Likes

Zurück zu Taylor Swifts Hamster

Wir haben offenbar die Fähigkeit verloren, uns für den Weltraum zu begeistern

Lesezeit: 4 min.

Wo waren Sie am 21. Dezember 2015?

Ich weiß das noch ganz genau. Ich saß auf meinem Sofa, starrte gebannt auf den Bildschirm und verfolgte, wie die Menschheit etwas bis dato Unmögliches im Weltraum vollbrachte. Wie Millionen anderer Menschen auf der Welt und eine Menge Leute im Kontrollzentrum sah ich eine Pilzwolke aus Rauch und Feuer aufsteigen und eine Rakete gen Himmel fliegen. Auf dem Scheitelpunkt ihrer Flugbahn setzte sie mehrere Satelliten ab, und dann – in einem aufgrund seiner schieren Wahnwitzigkeit bisher nicht erfolgreich durchgeführten Manöver - drehte die Rakete, machte sich auf den Rückweg und landete auf dem Erdboden. Als die Flammen der Bremsraketen erloschen waren und klar wurde, dass die Rakete nicht nur gelandet, sondern unversehrt gelandet war, brachen meine Frau und ich in Jubel aus. Die Menschen im Kontrollzentrum waren ebenfalls völlig aus dem Häuschen. So etwas war noch nie dagewesen. Ein Weltraumereignis, an das man sich noch lange erinnern würde.

Klingt das für Sie verdächtig nach 1969? Nun, warum auch nicht. Es fühlte sich auf jeden Fall so an. 1969 war ich noch nicht dabei – ehrlich, meine dunklen Augenringe sind dem Koffeinmangel und nicht dem hohen Alter geschuldet –, aber ich vermute, dass die Stimmung damals ganz ähnlich war. Dieselbe nervenzerfetzende Vorfreude, dieselbe unerträgliche Spannung. Und dann die orgastische Erleichterung bei den Worten: „Dies ist ein kleiner Schritt …“

Natürlich gibt es einen entscheidenden Unterschied. Die Mondlandung von 1969 war die größte Nachrichtenmeldung, die es je auf dem Planeten gegeben hatte. Mit Abstand. Es war der Höhepunkt des Wettlaufs ins All, der Gipfelpunkt menschlichen Strebens. Was 2015 passierte, war nicht ganz so epochal, aber trotzdem bahnbrechend. Auf jeden Fall ein außergewöhnliches Ereignis. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte verfügt die Menschheit nun über eine wiederverwendbare Rakete: die SpaceX Falcon 9. Und sie ist nicht nur wiederverwendbar, sondern wurde auch von einem reinen Privatunternehmen gebaut. Schon allein das wäre eine Schlagzeile wert gewesen. Jeder Nachrichtensender, jede Internetseite hätte eine Woche lang darüber berichten müssen. In den sozialen Medien hätte es kein anderes Thema geben dürfen.

Aber was waren stattdessen die Aufreger jener Tage? Chris Christie nimmt an den Präsidentschaftsvorwahlen in New Hampshire teil. Europa öffnet die Grenzen für Flüchtlinge. Taylor Swift verspeist einen Hamster. Nur fünf Sekunden nach ihrer Landung war die Falcon 9 kalter Kaffee.

Das soll jetzt keine ungerechtfertigte Kritik an den sozialen Medien oder dem Journalismus im Allgemeinen werden, und ich will mich auch nicht wie ein mürrischer Opa über diesen neumodischen Krempel beschweren. Im Gegenteil, ich bin begeisterter Nutzer der sozialen Medien und weiß, dass sie als natürliche Evolution unserer Kommunikation weitaus mehr positive als negative Seiten haben. Trotzdem: Das war schwach.

Wie konnte eine so dramatische, für unsere Spezies so wichtige Story einfach … verschwinden? Wir sind so sehr an die rasche Abfolge von Nachrichten gewöhnt, dass wir Dingen wie der Weltraumforschung oder erstaunlichen, weltverändernden neuen Technologien gegenüber abgestumpft sind. Würde eine riesige fliegende Untertasse über New York City auftauchen und Will Smith höchstpersönlich hochfliegen, um sie zu zerstören, würden die Medien wahrscheinlich ganze zwei Tage darüber berichten. Die Fliegende Untertasse ist zerstört? Will Smith hat sie in die Luft gejagt? Dann gebt ihm einen Orden und einen Klaps auf die Schulter. Und nun zurück zu Taylor Swifts Hamster …

Wir haben die Fähigkeit verloren, uns für die Weltraumfahrt zu begeistern. Wenn es keine gewaltige Explosion gibt oder sonst irgendetwas fürchterlich schiefgeht, hält sich unsere Faszination im Gegensatz zu früheren Zeiten in Grenzen. Natürlich gibt es Interessengruppen, die sich intensiv mit diesem Thema beschäftigen, aber eine weltumspannende Begeisterung wie 1969 werden wir wohl nicht mehr erleben. Leider.

Das Verwirrende dabei ist, dass es SpaceX wirklich versucht hat. Dort arbeiten nämlich nicht nur Experten, die eine Rakete einen Auerbachsprung vollführen lassen, sondern auch Medienprofis. Was anschauliche Grafiken, Erklärungen und die Nutzung der sozialen Medien anging, war diese Firma vorbildhaft. Man konnte nicht nur den Start überall auf der Welt – ausgenommen Nordkorea – live im Netz miterleben, man wurde auch ausführlich von intelligenten, gut unterrichteten und begeisterten Moderatoren darüber informiert, was da überhaupt passierte. Eine in jeder Hinsicht glänzende Vorstellung. Wert, sie zu teilen. (Eine sehr wichtige Anmerkung: Wie großartig ist es, dass eine schwarze Wissenschaftlerin über den Start berichtete! Lauren Lyons, zuständig für die Projektkoordination bei SpaceX, leistete geradezu galaktische Arbeit. Eine bessere Moderatorin war nicht denkbar. Zugabe!)

SpaceX wird weiterhin Erstaunliches vollbringen. Wenn uns jemand auf den Mars bringen kann, dann Elon Musk und seine Armee aus hochtalentierten Wissenschaftlern. Meine größte Sorge allerdings ist, dass, wenn es erst soweit ist, alle gähnen und sagen werden: Naja, das hab ich alles schon in Der Marsianer gesehen.

Zum Glück ist mir eine Lösung eingefallen: Schicken Sie mich als Astronaut auf die Mars-Mission. Wenn Sie meine Kolumnen, meinen Twitter-Account und meinen YouTube-Channel mögen, dann seien Sie versichert, dass ich ordentlich Wind machen werde, damit die ganze Unternehmung höchstmögliche Verbreitung findet. Und falls Sie mich nicht leiden können, dann freuen Sie sich darüber, dass ich nicht mehr auf demselben Planeten wandle wie Sie. Eine klassische Win-Win-Situation.
 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Sein Debütroman „Tracer“ (im Shop) ist im Heyne Verlag erschienen.

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