18. Oktober 2016

Quo Vadis, Menschheit?

James Lovelock, Begründer der Gaia-Hypothese, lässt in „Die Erde und Ich“ über Herkunft und Zukunft der Menschheit nachdenken

Lesezeit: 3 min.

Es überrascht nicht, dass die sogenannte „Gaia-Hyphothese“ in den 60er Jahren begründet wurde. Damals postulierten Lynn Margulis und James Lovelock den Gedanken, dass die Erde eine Art selbstregulierender Organismus ist, quasi ein „lebendes“ Wesen. Was sich wie ein esoterisch angehauchter Gedanke anhört, der dem damals zumindest in bestimmten Kreisen geradezu alltäglichem Gebrauch halluzinogener Drogen zu verdanken schien, hat sich inzwischen als eine durchaus respektierte wissenschaftlichen These etabliert. Die angesichts der zunehmenden Umweltzerstörung, dem Raubbau an der Erde, dem drohenden ökologischen Kollaps des (noch) einzigen Planeten, auf dem der Mensch leben kann, neue Relevanz bekommt.

Hier kommt Marlene Taschen ins Spiel, Tochter von Benedikt, Gründer des Taschen-Verlags, der eher für ausschweifende Bild- und Fotobände bekannt ist, als für ökologisch und wissenschaftlich relevante Werke. Als Tochter eines Verlags-Mogul hat Marlene Taschen jedoch die Beziehungen, eine ebenso ungewöhnliche wie ambitionierte Idee in die Tat umzusetzen. Und diese Idee war es, James Lovelock mit der Herausgabe eines Buchs zu beauftragen, in dem allerlei Wissenschaftler sich Gedanken über die Erde machen, über ihr Wesen, den Umgang der Menschen mit seinem Heimatplaneten und vor allem der Zukunft, die uns und unserem Planeten blühen mag. Das Ergebnis liegt nun in Form des ungewöhnlichen Bandes „Die Erde und Ich“ vor, in dem in zwölf Kapiteln ein weiter Bogen von der Vergangenheit in die Zukunft geschlagen wird.

Der inzwischen 97jährige Lovelock trägt zwar nur kurze Vor- und Nachworte bei, doch sein Ruf dürfte dazu beigetragen haben, das renommierte Wissenschaftler wie der Philosoph John Gray, die Naturwissenschaftlerin Lisa Randall und mit Eric Kandel sogar ein Nobelpreisträger Beiträge abgeliefert haben. In zwei großen Teilen – „Gaia, die lebende Erde“ und „Homo Sapiens und das Anthropozän“ – geht es um die großen Fragen der Menschheit: Wer sind wir, wo ist unser Platz im Universum, welchen Einfluss nehmen wir auf das Biosystem der Erde, welches Verhältnis haben wir zur Natur und anderen Lebewesen, wohin führt der Weg der Menschheit?

Nicht nur im Design des Buchs, auch in den Texten spielt dabei immer wieder der Kreislauf des Lebens eine Rolle, wie sie etwa der Journalist Tim Radford in seinem Beitrag „Immer im Kreis herum“ beschreibt, der – ähnlich wie Lisa Randall in ihrem Artikel „Maßstäbe der Realität“ – die Verflechtung von Großem und Kleinem, von Mensch und Tier postuliert. Dieser quasi ganzheitliche Blick auf den Mensch und die Erde zieht sich durch sämtliche Texte, der zunehmend akzeptierte Gedanke, dass der Mensch intellektuell zwar das am weitesten entwickelte Wesen der Erdgeschichte sein mag, er aber dennoch immer noch nur Teil des Ganzen ist.

Wo einst der Gedanke herrschte, dass der Mensch sich die Erde dank seiner Fähigkeiten untertan machen kann, es kein Ende der Ressourcen und Möglichkeiten gibt, setzt sich langsam eine kritischere Haltung durch: Die Endlichkeit der Ressourcen wird immer deutlicher, die Folgen des kapitalistischen Postulats von unendlichem Wachstum und ständig steigendem Konsum. Vor allem letzteres beschreibt der Autor Fred Pearce in „Zwei Zeitbomben“ als größtes Problem der Menschheit.

Trotz all der kaum lösbar erscheinenden Probleme der Erde, ist „Die Erde und ich“ nicht von Pessimismus geprägt, im Gegenteil. Ein tiefer Glaube an die Fähigkeiten der Menschheit, ihre Probleme zu erkennen und Lösungen zu finden, durchzieht den Band, der das Kunststück vollbringt, gleichermaßen komplex und doch leichtfüßig zu wirken. Dazu trägt vor allem das Design bei, in dem vollständig auf Fotos verzichtet wurde und statt dessen Zeichnungen des Illustratoren Jack Hudson auch komplizierte Konzepte verständlich machen.

Lösungen bieten die Autoren am Ende nicht an, zum Glück, der Tenor des Buchs ist ein Anderer: die Aufsätze in „Die Erde und Ich“ regen zum Nachdenken über die Erde an, zum Wahrnehmen der Komplexität unserer Welt, in der der Mensch einerseits herausragen mag, in Wirklichkeit aber nur ein Teil von Vielen ist. Das mag eine esoterisch angehauchte Erkenntnis sein, doch sie zu akzeptieren und dementsprechend zu agieren ist wohl die einzige Hoffnung, soll die Erde und damit die Menschheit eine Zukunft haben.

Abb: Jack Hudson © TASCHEN

James Lovelock (Hrsg.): Die Erde und ich • Taschen, Köln, 2016 • 168 Seiten • € 29,99

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