31. Oktober 2016 1 Likes

Aha, die Strahlen

Mit Tante Hilde und Willi unterwegs (Zweiter, verschwörungstheoretischer Teil)

Lesezeit: 4 min.

Wir sind wieder mit Tante Hilde und ihrem Sohn Willi unterwegs; wieder ist es ein VW Käfer, der rollt und rollt, und dieses Mal rollt er uns schnurstracks nach Österreich, durch den Felbertauerntunnel und beinahe bis nach Matrei in Osttirol, in ein kleines Dorf, dessen Name mir entfallen ist. Vielleicht bestand das Dorf auch aus einem einzigen Bauernhof, war gar kein Dorf und hatte deswegen keinen Namen.

Der Felbertauerntunnel ist im Jahr 1967 eröffnet worden; unsere Urlaubsreise muss also 1967 oder später stattgefunden haben. Später, vermute ich: Der PERRY RHODAN-Roman Nummer 400 – „Menschheit im Zwielicht“ – war bereits erschienen, Superman und Batman las ich seit einiger Zeit, Fix und Foxi kalauerten sich durch Fuxholzen, Oma Eusebia schwang das Nudelholz, und der gelernte Kleinkriminelle Lupo, der im Mäuseturm hauste, fraß schon keine Blutwurst mehr in sich hinein, sondern biedere Torten. War Mischa schon in den Weltraum gestartet, Seit an Seit mit der kessen Astronautin Connie und zusammen mit Professor Turbino (Raumschiffserfinder) und Faktotum Max (Raumschiffsschlosser)?

Ich weiß es nicht mehr.

Ich mag es auch nicht rekonstruieren. Mir ist, als wäre Armstrong damals schon auf dem Mond gelandet gewesen, und in kühnen Worten berichtete ich Tante Hilde, dass demnächst der Mars auf der Tagesordnung der Weltraumfahrt stünde.

Der Mars? Wie weit denn der entfernt sei?

Zwischen fünfundsechzig und vierhundert Millionen Kilometer, antwortete ich – „Was ist Was“ konnte ziemlich hilfreich sein. Mir schien die Entfernung jedenfalls angemessen. Für den Flug veranschlagte ich zwei, drei Jahre. In diesen zwei, drei Jahren würden es die Herren Astronauten vielleicht etwas beengt, hernach aber würden sie ausgesorgt haben: Geschenke des dankbaren Volkes der USA, Präsente der Queen, Vortragsreisen, Auftritte auf Kongressen, und für gute Zwecke (Förderung des astronautischen Nachwuchses) in Quizshows.

Die Reaktion von Tante Hilde kam unerwartet: Sie lachte lauthals: Vierhundert Millionen Kilometer? Unsinn! So viele Kilometer gibt es gar nicht!

Ich hatte nie darüber nachgedacht, ob die Menge an Kilometern in unserem Universum limitiert sein könnte; Tante Hilde jedenfalls bestritt sie im Brustton der Überzeugung. Und es ärgerte mich, dass ich ihr nicht das Gegenteil beweisen konnte. Es steht in Büchern? Was wissen die schon! Man weiß es aus dem Fernsehen? Was wird da nicht alles behauptet!

Überhaupt war Tante Hilde in diesem Urlaub ziemlich auf Krawall gebürstet. Das Wetter war schlecht, ihre Laune auch. Es regnete in Strömen, und wenn es mal nicht regnete, schleppten wir uns über knöcheltief vermatschte Gebirgspfade. Einmal, wir ruhten gerade von einer solchen Strapaze auf einer nassen Bank aus, verdunkelte sich das Gewölk erneut und wollte regnen. Tante Hilde reagierte empört: Dieser Dauerregen, wetterte sie, das ist die Schuld der Amerikaner!

Wie das?

Nun, die machen mit ihren Strahlen das Wetter kaputt.

Aha, die Strahlen.

Soviel Futurismus hatte ich meiner Tante gar nicht zu getraut. Gab es in jenen heiteren 1960er Jahren bereits den Begriff der Verschwörungstheorie? Vielleicht. Tante Hilde war jedenfalls eine Meisterin dieses Fachs, eine Naturbegabung. Wie bei jeder guten Verschwörungstheorie war auch Tantes Strahlentheorie unwiderlegbar, ja, diese Theorie saugte ihre Argumente aus jedem Gegenargument. Wissenschaftler wüssten nichts von diesen Strahlen? Na bitte! Hatte das meine Tante nicht prophezeit? So unsichtbar waren diese Strahlen eben, dass selbst Wissenschaftler sie nicht bemerkten, und dabei waren sie von erschreckender Effizienz: Oder wollte ich gegen das schlechte Wetter argumentieren? Dieser Regen war eine Tatsache.

Am nächsten Tag regnete es – danke, USA! – wieder Katzen und Hunde; wir fuhren nach Matrei und schlenderten durch die Geschäfte. Es gab dort einen wunderbaren Buchladen, lauter Drehregale voller Science-Fiction-Taschenbücher. Ich glaube, ich habe mir etwas von Poul Anderson gekauft, vielleicht „Raumfahrer, Vorsicht!“, „Die Sternenhändler“ oder, dem Wetter angemessen, „Die unsichtbare Sonne“.

Ein paar Tage später schien besagte Sonne; Willi chauffierte uns im VW nach Kaprun, von dort ging es hoch zum Stausee Mooserboden. Alles ganz nett.

Auf dem Rückweg gerieten wir in ein Unwetter, wie ich es noch nie erlebt habe: Die Welt verdunkelte sich, alle Farben drifteten ab in ein Tiefseeflaschengrün, wir saßen im Auto wie in einem umgekehrten Aquarium. Trotz der weltumfassenden Düsternis konnte ich in meinem neuen Buch lesen: Blitze erhellten das Land immerzu, und während meine Tante einen vorwurfsvollen Blick in die Richtung warf, in der sie die USA mit ihren meteorologischen Wetterverschlechterungsstrahlensendeanlagen vermutete, verschlang ich Poul Anderson. Und freute mich über diesen rundum gelungenen Urlaub.
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist. Alle Kolumnen von Hartmut Kasper finden Sie hier.

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