9. November 2016 4 Likes

Lo-Fi-Sci-Fi aus Deutschland - Kann das gutgehen?

Sebastian Hilgers „Wir sind die Flut“ zeigt, dass es geht

Lesezeit: 3 min.

Mit „Metropolis“ entstand einst ein nicht nur inhaltlich, sondern vor allem auch visuell bahnbrechender Science-Fiction-Film in Deutschland. Heutzutage wäre so etwas nicht mehr möglich, zumindest auf visueller Ebene: Zu teuer sind moderne, aufwändige Science-Fiction-Filme, mit denen der auf staatliche Förderung angewiesene deutsche Film einfach nicht mithalten kann. Aber es gibt ja auch anderes, andere Formen, andere Möglichkeiten futuristische, dystopische, so oder so ungewöhnliche Geschichten zu erzählen, Welten zu imaginieren.

Lo-Fi ist das Stichwort, dass gerade im Bereich der Science-Fiction in den letzten Jahren zur gerade intellektuellen Alternative für die  immer teurer, immer aufwändigeren Blockbuster-Filme geworden ist. „The Signal“, „I, Origins“ oder „Upstream Color“, um nur einige zu nennen, nutzten einfachste Mittel, um spannende Geschichten zu erzählen, ein Trend, der ganz langsam auch in Deutschland Fuß fasst. Filme von jungen deutschen Regisseuren wie „Der Bunker“, „Der Nachtmahr“ oder „Der Samurai“ waren interessante, teils herausragende Genrefilme, die ihre beschränkten finanziellen Mittel mit Einfallsreichtum und visueller Originalität kaschierten.

Ähnliches lässt sich nun auch von Sebastian Hilgers „Wir sind die Flut“ sagen, der größtenteils auf der Nordseeinsel Pellworm gedreht wurde und das ohnehin magische Wattenmeer auf ganz besondere Weise nutzt. 1994, so die Geschichte, haben die Gezeiten ausgesetzt. Und mit dem Verschwinden von Ebbe und Flut sind auch die Kinder des Dorfes Windholm verschwunden und haben die Bewohner in einen Zustand ewiger Sorge und Misstrauen versetzt. In diese abgeschiedene Welt, die von den Behörden hermetisch abgeriegelt ist, will nun der Physiker Micha (Max Mauff) tauchen, der sich seit Jahren mit Fragen der Gravitationsanomalie beschäftigt. Gegen den Willen seines Doktorvaters beginnt er in Windholm zu forschen, begleitet nur von Jana (Lana Cooper), seiner Ex-Freundin. Bei den älteren Dorfbewohnern stößt das Duo auf wenig Gegenliebe, das Misstrauen ist groß, der rätselhafte Verlust der Kinder schmerzt. Allein das Mädchen Hanna (Gro Swantje Kohlhof), die einzige Überlebende von damals, ist offen und neugierig und versteht die seltsamen Erfahrungen, die Micha bald macht: Geht er über das Watt, in voller Montur wie ein Astronaut wirkend, sieht er mal Fußabdrücke, verlassenes Spielzeug und mal Gestalten, die sich im Nebel verlieren. Und auch die Untersuchungen der Gravitation fördern zunehmend merkwürdige Ergebnisse zu Tage und deuten auf die Existenz einer Art Wurmloch, einer parallelen Welt hin.

Ein wenig erinnert Sebastian Hilgers Film an „The Leftovers“, aber auch viele andere Bezüge kommen in den Sinn, ohne das sie die Eigenständigkeit, die Originalität dieses Diplomfilms einschränken würden, der im Frühjahr in der Perspektive deutsches Kino bei der Berlinale Premiere hatte. Erstaunlich souverän umkurvt Hilger diverse Fallstricke des deutschen Films, hölzerne Dialoge sind kaum zu hören, ebensowenig allzu theatralisches Spiel und wenn, dann unterstützt es eher die mysteriöse, angespannte Atmosphäre. Vor allem aber ist „Wir sind die Flut“ ein mutiger Film, ein Film, der sich traut, groß zu erzählen, eine eigene, ungewöhnliche Welt kreiert und dabei mit einfachen Mitteln viel Kraft entfaltet. Man kann nur hoffen, dass Hilger und seine Produzenten diesen Weg weitergehen und auch fortan versuchen in Deutschland ungewöhnliches, originelles Genrekino zu realisieren.

„Wir sind die Flut“ startet am 10. November im Kino. Abb © derzian pictures

Wir sind die Flut • Deutschland 2016 • Regie: Sebastian Hilger • Darsteller: Max Mauff, Lana Cooper, Gro Swantje Kohlhof, Roland Koch

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