12. November 2016 3 Likes

Liebe ist ...

... wenn Genre funktioniert: „Equals“

Lesezeit: 4 min.

Enemy, Under The Skin, Ex Machina, Tusk, The Witch, Green Room, The Lobster  – die Liste der Qualitätstitel, für die die amerikanische Produktionsgesellschaft A24 verantwortlich zeichnet, ist lang. Und ließe sich noch verlängern: Seit ihrer Gründung im Jahr 2012 hat die New Yorker Company es geschafft, sich einen nahezu makellosen Ruf zu erarbeiten. Kaum ein zweites unabhängiges Studio hat in den 2010er-Jahren eine derart große Trefferquote im Bereich des gehobenen, klugen Indie-Kinos mit Sinn für Genre und Publikum vorzuweisen. Eine Feststellung, die nicht nur für SF- und Fantasy-affine Stoffe gilt: Exzellente Dramen und Komödien wie The Bling Ring, Spring Breakers, While We’re Young, A Most Violent Year oder The End of the Tour sind ebenfalls im Portfolio zu finden. Nicht zuletzt durch Lenny Abrahamsons Oscar-nominiertes Kammerspiel Raum (2015) mit Brie Larson gelang A24 bereits drei Jahre nach dem Start der Aufstieg in die Champions League des amerikanischen Filmmarktes.

In diesen Tagen erscheint nun hierzulande aus eben jener Qualitätsschmiede mit Equals ein lupenreines SF-Stück als Premiere auf DVD und Blu-ray. Der Film mit Twilight-Bella Kristen Stewart und X-Men-Beast Nicholas Hoult schaffte es trotz Teilnahme am Filmfestival von Venedig und entsprechender medialer Aufmerksamkeit nicht auf deutsche Kinoleinwände. Schade eigentlich, denn die Dystopie von Regisseur Drake Doremus (Like Crazy) hat einiges zu bieten.

Die Geschichte ist schnell erzählt: In einer sterilen, postapokalyptischen Zukunft leben die Menschen als perfekt funktionierende Arbeitsbienen in klinisch weißen Waben vor sich hin. Durch genetisches Engineering ist es dieser Gesellschaft gelungen, Emotionen vollständig auszumerzen. Fortpflanzung ist ein komplett mechanischer Vorgang, alles was zählt ist rein rationales Existieren. Doch es gibt ein Problem: Obwohl man Krebs und sogar die gemeine Erkältung kuriert hat, ist eine besonders heimtückische Seuche nicht in den Griff zu bekommen. Die Krankheit mit dem schreienden Namen S.O.S. (Switched-On-Syndrome) sorgt für langsam fortschreitende und irreversible Regression in die Emotion. Wer davon befallen wird, entwickelt plötzlich wieder Gefühle – eine echte Gefahr für diese postemotionale Welt, weshalb die Betroffenen zunächst mittels Medikation ruhig gestellt, im Endstadium schließlich in ein grauenhaftes Ghetto der Elektroschocks und Massensuizide verbannt werden.

Arbeitsbiene Silas wird eines Tages mit der Krankheit diagnostiziert – eine Fügung, die prompt seinen Blick vom riesenhaften Work-Pad hin zu seiner rehäugigen Kollegin Nia lenkt. Es dauert nicht lange, bis sich herausstellt, dass auch Nia von der Krankheit befallen ist, diese Tatsache jedoch verheimlicht. Natürlich verlieben die beiden sich ineinander. Konfliktpotenzial ohne Ende, denn diese Romanze muss streng geheim bleiben. Als schließlich ein umfassendes Heilmittel gegen das Syndrom gefunden wird, beginnt für die beiden ein Wettlauf gegen die Zeit und der verzweifelte Kampf um ihre Liebe.

Wem das alles sehr vertraut vorkommt, der hat den Basiskanon der dystopischen Literatur und Filmgeschichte wohl verinnerlicht. Motive aus Klassikern wie Lucas’ THX 1138, Niccols’ Gattaca, Andersons Flucht ins 23. Jahrhundert und natürlich dem ewigen Double Feature der schlechten Laune aus Huxleys Brave New World und Orwells 1984 werden hier mit Themen aus dem Romeo & Julia-Universum verknüpft und zu einem Genremix verbunden, der nicht gerade durch thematische Originalität überzeugt. Eine ziemlich banale Erkenntnis, die vielen negativen Kritiken zu Doremus’ Film gemeinsam ist. Und die ein sehr reduziertes Verständnis von Originalität offenbart – vergleichbar mit dem Versuch, Sergio Leones Spiel mir das Lied vom Tod für kalten Kaffee zu halten, weil darin Cowboys mit Pistolen schießen und auf Pferden reiten. Innerhalb eines sehr weiten Spektrums kann Genre viel, und ganz gewiss viel mehr, als die Middlebrow-Elite ihm im allgemeinen zugesteht. Sicher gibt es immer wieder Erweiterungen der Form, gerade die Science Fiction hat hier einige visionäre Fortschreibungen zu bieten – siehe z.B. Kubricks 2001 oder Scotts Alien -, doch der wahre Spaß offenbart sich im Detail, in der individuellen Variation des Ähnlichen.

Durch diese Brille betrachtet ist Equals ein wirklich gelungener Beitrag zum umfangreichenden Dystopie-Katalog. Das gilt zunächst mal für die produktionstechnische Ebene: Locations, Kostüme und Produktionsdesign evozieren angemessen kühle THX-Atmosphäre, Kamera, Sound und Musik sorgen für subtile Dichotomien aus Distanz und Nähe, Uniformität und Individualismus, eiskalter Funktionalität und leidenschaftlicher Intimität, die Darsteller fügen sich perfekt in ihre Rollen. Vor allem Kristen Stewart soll hier ausdrücklich erwähnt werden: Was diese Frau seit einigen Jahren an konstant mitreißenden Leistungen abliefert, muss man einfach gut finden. Und auch Co-Star Nicholas Hoult schafft es, seinem Außenseiter wider Willen einige wunderbar emotionale Momente zu entlocken.

Was Doremus’ Film aber wirklich zu einem großen Genre-Vergnügen macht, ist seine Traditionalität. Denn sind wir mal ehrlich: So richtig brandheiße News sind die oben genannten Vorbilder eigentlich nicht mehr. In Zeiten von ultracleveren Social-Media-Apokalyptikern wie Charlie Brooker und seinem megasmarten Netflix-Hit Black Mirror, der die wahrscheinlich angemessenere Form der negativen Zukunftsutopie repräsentiert, wirken die großen Warner des 20. Jahrhunderts heutzutage ein bisschen angestaubt. Die großen Ängste vor Massenkonsum, Gleichschaltung, Überwachung und Turbokapitalismus sind mittlerweile schlicht Realität geworden, und wer sich in der Tradition der großen literarischen Schwarzmaler sieht, befasst sich heute idealerweise mit Smartphones, Datenkraken und Virtual Reality. Doch darum geht es Doremus nicht – er erzählt eine angenehm altmodische Geschichte voller nostalgischer SF-Tropen mit den technischen Mitteln des gehobenen Indie-Kinos anno 2015/16. Das ist durchaus erfrischend und mit Gewinn anzusehen. Denn was ihm an prophetischer Relevanz und thematischer Vision fehlt, macht er mit feinem Gespür für die fein oszillierenden Grenzen des Genres mehr als wett. Ein weiterer Hit für A24, ein toller Film eines Regisseurs, der sich immer mehr zum Spezialisten für ungewöhnliche Liebesgeschichten mausert – und ein weiterer Beweis dafür, dass sich auch in vermeintlich engen Grenzen viel bewegen lässt.

Equals ist seit dem 10. November auf DVD und Blu-ray erhältlich. Abb. © 2016 Koch Films.

Equals • USA 2016 • Regie: Drake Doremus • Darsteller: Nicholas Hoult, Kristen Stewart, Vanetta Lopez, Guy Pearce, Scott Lawrence

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