5. Dezember 2016 3 Likes

Der Mond, die Zahlen und der ganze Rest

Ist es wirklich Zufall, dass der Erdtrabant so ist, wie er ist?

Lesezeit: 6 min.

Walter Benjamin hat einmal gesagt, dass nichts den gewöhnlichen Menschen mehr langweile als der Kosmos. Dem ist wenig entgegenzusetzen, wird doch das Universum verständlicherweise dem Nachthimmel gleichgesetzt, dessen Unterhaltungswert sich meist in Grenzen hält: Sternschnuppen sind selten und kommen in der Regel nur als nadelfeine Striche darnieder; die ISS überfliegt zwar regelmäßig meinen Kreuzberger Balkon, eine Venus im Sauseschritt – würde sie blinken, wäre sie aber von einem Flugzeug kaum zu unterscheiden. Bemerkenswerter wird der Überflug der Raumstation höchstens durch jene App, die ihre aktuelle Position auf einer Karte anzeigt: Taucht die ISS nämlich über Neukölln auf, befindet sie sich in Wahrheit über Belgien, über dem Görlitzer Park ist sie eigentlich noch über Hannover, und wenn der Lichtpunkt hinter unserem Haus in Richtung Friedrichshain verschwindet, hat er beinahe schon Polen erreicht.

Arne Ahlert: MoonaticsUnd dann gibt es noch die Darbietungen des Mondes: Er geht auf und unter, nimmt zu und ab, und hat ganz selten tagsüber seinen großen Auftritt, wenn er die Sonne verdeckt, die Vögel für einen Moment verstummen und wir mit Schweißerbrillen nach oben schauen. Aber – wieso eigentlich hat der Mond am Himmel exakt die gleiche Größe wie die Sonne? Bei den Recherchen zu meinem Roman „Moonatics“, der von einem lunaren Luxushotel und seinen Gästen handelt, bin ich auf Leute gestoßen, die sich diese Frage auch schon gestellt haben und deren unterhaltsame Gedankenmodelle ich hier kurz vorstellen möchte.

Vor einigen Jahren wurde mir an einem nächtlichen Strand in Thailand von einem altgedienten Hippie namens Bongo-Paul (dessen Namensvetter sich übrigens auch auf dem Mond herumtreibt) zugeraunt, dass der Mond ein künstliches Objekt und außerdem innen hohl sei. Als ich erstaunt die Augenbrauen hochzog, wurde mir im flackernden Licht des Lagerfeuers die entsprechende Lektüre empfohlen.

Die Briten Christopher Knight und Alan Butler weisen in ihrem 2005 veröffentlichten Buch „Who built the Moon?“ darauf hin, dass Sonne und Mond nicht nur in gleicher Größe am Firmament vorüberziehen, sondern dass die Sonne auch 400 Mal größer als der Mond und zugleich 400 Mal weiter von der Erde entfernt sei. Isaac Asimov habe dies als „den unwahrscheinlichsten Zufall, den man sich vorstellen kann“ bezeichnet.

Solch bemerkenswerte numerische Verknüpfungen gibt es aber nicht nur zwischen Mond und Sonne, sondern auch zwischen Mond und Erde: Die Erde rotiert 366 Mal pro Sonnenumlauf, und ihr Radius ist zugleich auch 366 Prozent größer als der des Mondes. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Mond 0,2732 Prozent der irdischen Größe besitzt. Und was ist die Umlaufzahl des Mondes? 27,32 Tage – der sogenannte siderische Monat.

Dazu käme noch, dass der Mond beim Aufprall der Apollo 13-Trägerrakete wie eine „Glocke geschwungen“ haben soll, was zumindest so von den zurückgelassenen seismographischen Instrumenten der Apollo 12-Mission registriert worden sei – nach Ansicht der Verfasser ein Indiz dafür, dass der Mond innen hohl und somit ein künstlich geschaffenes Gebilde ist.

Und warum, bitteschön, sollte jemand vor Milliarden von Jahren die schöne Schwester des Todessterns vor unserer Haustür installiert haben?

Ganz klar, weil ohne den Mond auf der Erde kein Leben möglich wäre: Er hält die geneigte Erdachse stabil (ohne die wir keine Jahreszeiten und kaum bewohnbare Klimazonen hätten), und er sorgt für Gezeiten und Plattentektonik, angeblich eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung irdischen Lebens. Da hat es also jemand gut mit uns gemeint. Vielleicht sitzt ja wirklich der Mann im Mond mit einem Fernglas in einem lunaren Regieraum und schüttelt entsetzt den Kopf. Truman Show, anyone?

Das zweite Gedankenmodell stammt von einem älteren Herrn aus Düsseldorf, Dr. Dr. Dr. Dr. Peter Plichta. Vier Doktortitel (kein Witz) und der Inbegriff des Mad Scientist, aber im Maßanzug. Vor einigen Jahren habe ich mit ihm zu tun gehabt, wir waren sogar mal gemeinsam bei einem Schweizer Patentanwalt. Es ging, wenn ich mich recht erinnere, um die Patente für ein silanbetriebenes Raumschiff. Silane sind Siliziumöle, die Peter Plichta 1971 in Köln erstmalig synthetisiert hat – äußerst potente Treibstoffe, die (das klingt zunächst nach einem Knüller) aus Silizium hergestellt werden, also aus Sand. Ja, Benzin aus Sand.

Die Zeitschrift Stern hatte Plichta deswegen sogar eine gleichnamige Titelgeschichte spendiert, das muss etwa 1990 gewesen sein. Der Haken ist nur, dass für die Herstellung der Silane mehr Energie aufgewendet werden muss, als nachher wieder herauskommt. Da hatte beim Stern wohl jemand vergessen, die entscheidende Frage zu stellen.

Jedenfalls ist Herr Plichta ein höchst kreativer und origineller Denker, ein guter Unterhalter, vielleicht sogar ein Genie, auf jeden Fall sehr charmant: Mathematiker, Physiker, Chemiker und sogar Pharmazeut; in der Dienstwohnung über seiner Düsseldorfer Apotheke hat er jahrelang über die Ursache allen Seins nachgedacht – die Zahlen. Ich maße mir keineswegs an, seine Gedankengänge vollständig zu verstehen, geschweige denn sie wiedergeben zu können, aber ich wage einen kurzen Versuch: In seinem Buch „Das Primzahlkreuz“ wickelt Plichta den üblicherweise geradlinigen Zahlenstrahl zu einer Spirale – mit dem erstaunlichen Resultat, dass die sonst irregulär verteilten Primzahlen plötzlich ein Muster ergeben, einem Malteserkreuz nicht unähnlich. Interessanterweise entspricht dabei die Anzahl der Primzahlen pro Spiralkreis der Anzahl der Elektronen in den jeweiligen Schalen der Atome. Das sei insofern bemerkenswert, da zuvor weder die Anordnung und Verteilung der Primzahlen, noch die Anzahl von Elektronen in den Atomhüllen einem erkennbaren Muster gefolgt, geschweige denn miteinander verknüpft waren.

Im weiteren Verlauf kommt Plichta zu dem Schluss, dass der Zahlenraum an sich (und die daraus resultierende Unendlichkeit) für nichts weniger verantwortlich sei als für die Existenz der Welt, den Aufbau der Materie und die Beschaffenheit der Naturgesetze, was zu so wunderbaren Sätzen führt wie „Materielle Substanz ist die Verendlichung des Unendlichen“ und „Energie ist umgekehrte Zeit“.

Da überrascht es nicht, dass die Zahlen nicht nur für den Aufbau der Atome verantwortlich sein sollen, sondern auch für Größe und Anordnung von Himmelskörpern. Und da wären wir wieder beim Mond.

Genau wie Knight und Butler weist Plichta auf die reziproke Verknüpfung der Umdrehungszahlen von Mond und Erde hin und darauf, dass der Mondradius 0,273 Erdradien beträgt. Er fügt aber noch hinzu, dass die Beschleunigung, die der Mond auf seiner Bahn um die Erde erhält, 0,273 cm:s² beträgt und hat diese Zahl noch an weiteren Stellen entdeckt: So liegt der absolute Nullpunkt bei -273,2 Grad Celsius, die durchschnittliche Dauer der menschlichen Schwangerschaft beträgt 273 Tage, und Gase expandieren bzw. kontrahieren pro Grad Abkühlung oder Erwärmung um 1:273,2 des Volumens. Diese weit verstreuten Zahlen und Fakten werden durch die Tatsache zusammengehalten, dass das Verhältnis der Fläche einer eineckigen Kappe zum dazugehörigen Viertelkreis 0,2732 beträgt – weil die Raum-Zeit-Zahlenstruktur vierdimensional sei. Oder so ähnlich. (Wer es genauer wissen möchte, dem sei die Lektüre von Dr. Plichtas „Primzahlkreuz“ anempfohlen – oder die etwas weniger neurotische Fassung „Gottes geheime Formel“.)

Die Gemeinsamkeit der beiden Gedankenmodelle, wenn doch nicht unbedingt zur Herkunft des Mondes, aber doch zu dessen Größe und Position, liegt nicht im Zufall begründet, sondern bei einer höheren Macht. Bei Knight und Butler mögen es Außerirdische gewesen sein, bei Plichta die Macht der Zahlen. Die geht bei ihm soweit, dass sich sogar die Gottesfrage erübrigt, da diese höchstens auf die Frage anwendbar wäre, warum es überhaupt die Zahl eins gibt, also Etwas und somit das Universum und den ganzen Rest – denn das Nichts kann es angeblich nicht geben, das hat zumindest der Philosoph Johann Gottlieb Fichte behauptet.

Den Mond gibt es jedenfalls. Und er ist natürlich aus Käse.
 

Arne Ahlert wurde 1968 in Lüneburg geboren, lebte mehrere Jahre in den USA, Kanada und Australien und wohnt inzwischen in Berlin. Sein Debütroman „Moonatics“ (im Shop) ist bei Heyne erschienen.

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