3. Januar 2015 3 Likes 2

An die Gurgel

„Zehnter Dezember“ von George Saunders

Lesezeit: 3 min.

Früher, in kabarettistisch aufgeräumteren Zeiten, hätte man gesagt: Beim Lesen einer Geschichte von George Saunders bleibt das Lachen im Hals stecken. Heißt: Wir lachen solange, bis wir merken, dass wir eigentlich über uns selbst (unsere Heuchelei, unsere Brutalität, unsere Jämmerlichkeit) lachen. Jetzt, da das Über-sich-selbst-Lachen (heuchlerisch, brutal, jämmerlich) zu einem eigenen, grotesk erfolgreichen Geschäftsmodell geworden ist, bleibt nur die Flucht in die Inversion: Beim Lesen einer Geschichte von George Saunders bleibt der Hals im Lachen stecken. Heißt: Das Lachen ist schon da, das Lachen ist die (heuchlerische, brutale, jämmerliche) Welt, die wir geschaffen haben, und es wartet auf uns – das Lachen wartet darauf, uns an die Gurgel zu gehen.

George Saunders, diese Mischung aus Cory Doctorow (im Shop) und Wolf Haas, aus Philip K. Dick (im Shop) und Gerhard Polt: Seit Jahr und Tag haut er eine Erzählung nach der anderen raus (neben dem vorliegenden Sammelband ist auch der davor auf Deutsch erschienene „I CAN SPEAK!™“ unbedingt empfehlenswert), heimst einen Preis nach dem anderen dafür ein und schert sich ein ums andere Mal nicht die Bohne darum, ob sich diese Erzählungen bestimmten Genrevorgaben fügen, ob sie die Erwartungshaltung bestimmter Leserschichten und Kulturkritiker erfüllen, ja ob sie überhaupt das einlösen, was wir mit einer Kurzgeschichte, zumal einer futuristischen, assoziieren: die Volte, die Pointe, die Erklärung. In einer George-Saunders-Geschichte kann die Zukunft lediglich aus einem Objekt, einem Wort oder einer Zahlenkombination bestehen; können sich die Protagonisten auf so hinreißend absurde Weise in ihre Weltsicht verstricken, dass sich jegliches „Außen“ (wo wir uns aufzuhalten meinen) auflöst; strecken sich die melancholisch überdrehten Helden trotzdem mit der Kraft der Verzweiflung nach diesem „Außen“, versuchen es zu erreichen und prallen doch nur gegen einen Spiegel – und das ist die Pointe.

George Saunders ist ein kühler Beobachter und Sezierer der amerikanischen Mittelschicht mit ihren vielfältigen Ausfransungen, wie sie sich zum Beginn des neuen Jahrhunderts darstellt, aber anders als die Heroen der amerikanischen Gegenwartsliteratur – die Fords, Eugenides’, Franzens – greift er dafür nicht zum Mittel des Gesellschaftspanoramas, sondern baut aus dem, was der heißgelaufene, ausgelaugte Spätkapitalismus an Sprache müde und hysterisch vor sich her schiebt, Miniaturen der Alltagspanik. Exposition, sorgfältiges Ausleuchten der Figuren, akribische Realitätskonstruktion? Wozu? Die Sache liegt doch klar auf der Hand: Wir müssen glücklich sein (sagt die Werbung, sagen die Nachbarn, sagt das System), also warum sind wir es nicht? Was zum Teufel ist hier eigentlich schiefgelaufen? Eine solche Saunders-Miniatur kann im Sontag’schen Sinne fantastisch sein – gänzlich verwirrend, desorientierend, hemmungslos übersteigert: der Erzähler etwa stirbt im Laufe der Erzählung und erzählt fröhlich weiter – oder im Dick’schen Sinne: als Möglichkeit, mit den Mitteln der Science Fiction in den Kopf eines Menschen zu blicken und zu erkennen, was für eine fremde, vertraute, beengte, unerschöpfliche Welt sich darin befindet. Zu erkennen, was für eine Sprache sich darin befindet und wo diese Sprache herkommt, wer sie definiert, wer sie wofür verwendet, wessen „Trademark“ sie ist. Und zu erkennen, dass sich das Eigentliche, das Wertvolle, das Menschliche jenseits dieser Sprache befindet – dass wir eine neue Sprache finden müssen, wenn wir aus dem Labyrinth dieser (ach ja: heuchlerischen, brutalen, jämmerlichen) Welt, die wir geschaffen haben, herausfinden wollen. Und hier ist die zweite Pointe: Wir können das. Aber es tut weh. Es geht nicht ohne Verluste ab.

„Zehnter Dezember“ versammelt, großartig übersetzt von Frank Heibert, einige der schrägsten und wahrsten, lustigsten und traurigsten amerikanischen Geschichten des frühen 21. Jahrhunderts. Geschichten aus dem ultimativen Themenpark, den wir Erde nennen und der sich voraussichtlich noch Millionen Jahre weiter um die Sonne drehen wird. Zeit genug, um wieder richtig lachen zu lernen.

George Saunders: Zehnter Dezember • Luchterhand Verlag, München 2014 • 270 Seiten • € 19,99

Kommentare

Bild des Benutzers Horusauge

Das Jahr fängt schon gut an :)
Nachdem ich mich Ende 2014 mit Harlan Ellison bekannt gemacht habe (ein guter Erzähler und Beobachter) wird es Zeit für neue Ufer!

Bild des Benutzers Sebastian Pirling

Ganz weit oben auf meiner Wunschliste. Im New-Yorker-Archiv gibt's übrigens jede Menge George-Saunders-Stories im Original (die deutsche Übersetzung ist aber auch fabelhaft gemacht):
http://www.newyorker.com/contributors/george-saunders

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