4. März 2015

Die Kraft der Elektrizität und die Magie des Rock ’n’ Roll

Stephen Kings neuer Roman „Revival“

Lesezeit: 3 min.

„The King is back!“ ist wohl eine Redewendung, die in letzter Zeit häufig fiel angesichts des ungeheuren Schreibflusses, den der König des Horrors an den Tag legt. Aber wie bei allen aktuellen Werken Stephen Kings ertönt der freudige Ausruf völlig zu Recht. „Doctor Sleep“ übertraf vielen Stimmen zufolge das Prequel „Shining“, und auch „Mr. Mercedes“ war ein überdurchschnittlich guter King-Roman. Der neue Roman „Revival“ (im Shop) steht dem in nichts nach.

Wie auch in den beiden Vorgängerromanen bildet bei „Revival“ eine Schüler-Mentor-Beziehung den Mittelpunkt des Geschehens. Jamie Morton, ein kleiner Junge aus einer King-typischen Kleinstadt in New England, trifft auf den neu zugezogenen Pastor Charles Jacobs. Jamie und Jacobs verbindet sofort ein beinahe unzertrennliches Band aus Freundschaft, welche zwar mit der Zeit schwinden soll, das Band zwischen den beiden aber nicht auflöst. Neben seiner pastoralen Arbeit und seiner jungen Familie widmet sich der enigmatische und beliebte Jacobs einer unbändigen Leidenschaft: der Elektrizität. Es kommt jedoch zu einer Tragödie, die den jungen Pastor vom Glauben abfallen lässt, und ihm bleibt nur noch seine Faszination für Elektrizität und deren von ihm gepriesene inhärente Heilkraft. Jacobs verlässt New England, und Jamie Morton, die Hauptfigur des Romans, bleibt seiner Jugend überlassen und findet zum Rock ’n’ Roll, nicht ahnend, dass er Charles Jacobs’ Weg noch viele weitere Male in seinem späteren Leben kreuzen und ihn dies zutiefst erschüttern und verändern wird.

Wie kein anderer schafft es Stephen King, verzaubernde Coming-of-Age-Stories zu erzählen, besonders wenn Musik und wilder Rock ’n’ Roll eine tragende Rolle spielen. Jamies Geschichte, die der Charakter selbst rückblickend erzählt, ist besonders in den Jugendjahren ergreifend, mitfühlend und einfach magisch. Szenen wie sein erster Kontakt mit einer Gitarre und dem Rock, seiner ersten Band oder seiner ersten großen Liebe werden fantastisch dargeboten. Man wünscht sich fast, dass dieser Teil der Geschichte nie endet. Aber wie auch Jamie erwachsen wird, so verschwindet auch irgendwann der Zauber der Jugend und die auf Papier gebannte Magie des Rock ’n’ Roll. Drogen übernehmen Jamies Leben, und Stephen King macht weiterhin das, was er aus eigener Erfahrung am besten kann: von Exzessen, Sucht und Scham erzählen.

Auf einem Jahrmarkt trifft Jamie auf seinen alten Jugendfreund Charles Jacobs, der unter einem Pseudonym als Wunderheiler tätig ist und Jamie prompt von seiner Drogensucht heilt. Offensichtlich folgt der ehemalige Pastor jedoch immer noch seiner Faszination, welche fast in Wahn umschlägt. Das Thema der Schüler-Mentor-Beziehung tritt erneut in den Mittelpunkt, und Jamie sieht sich verpflichtet, dem Heiler unter die Arme zu greifen. Und hier leuchtet ein weiteres von Kings Talenten, die er sich erst im hohen Alter und durch eigene Erfahrungen angeeignet hat, ungemein: Jamie und besonders „Reverend“ Jacobs werden zu vielschichtigen Persönlichkeiten, denen man ihre gegenseitige Anziehung und den Einfluss, den sie aufeinander haben, unmittelbar abnimmt. Man könnte anhand dieses wiederholten Fokus‘ von Kings letzten Romanen glatt meinen, dass King selbst seinen Lesern ein Mentor sein und ihnen die Zauberhaftigkeiten und den Schrecken diverser Laster und ausufernder Faszination klarmachen will. Und es gelingt ihm wie selten zuvor, was seine aktuellen Romane zu außerordentlichen Lesevergnügen macht. Stephen King ist im Alter sowie als Erzähler ein ordentliches Stück gereift – diese Anerkennung muss man ihm zollen!

Natürlich kommt ein guter King-Schinken letztlich nicht ohne einen übernatürlichen Aspekt aus, der sich selbstverständlich in der Kraft der Elektrizität widerspiegelt und begründet findet. Der Roman endet in einem buchstäblich elektrisierenden Finale, das endlich einmal Kings Vision des Cosmic Horror nach H.P. Lovecraft präsentiert und auch konsequent zu Ende denkt. Dieses übernatürliche Element kommt jedoch leider erst sehr spät wirklich zum Tragen, und die großen „Enthüllungen“ fallen auf den letzten paar Seiten, von denen man manche nicht mal mehr erwartet – oder gar benötigt – hätte. Beinahe hätte man einen – man verzeihe das Wortspiel – geerdeten Stephen-King-Roman bekommen. Etwas weniger show und mehr just tell wäre im Finale schön gewesen. Dies nimmt „Revival“ aber trotz allem nichts von seiner Fulminanz oder seinem erzählerischen Wert.

Stephen King: Revival • Roman • Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt • Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 • 512 Seiten • € 18,99 • im Shop

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