21. Dezember 2017

Dosenwerfen in der Überkopfwelt

Christopher Eckers Kurzprosaband „Andere Häfen“ spielt mit Genrekonventionen

Lesezeit: 3 min.

Als die Röhn’gl zur Erde gelangen, verlangen sie nach Yvonne Karl, da nur diese in der Lage sei, sie vollständig zu verstehen. Doch die Betreffende fühlt sich wie in einem schlechten Science-Fiction-Roman und zieht es vor, ein Bad zu nehmen, anstatt Übersetzungsdienste zu leisten. „Fremdkontakt“ aus „Andere Häfen“ ist nur eine von siebenundachtzig zumeist sehr kurzen Geschichten, die beinahe durchgehend zur Phantastik gehören. Mit ihnen zeigt der Romanautor Christopher Ecker nicht nur, dass er sich auch auf die kleine Form versteht; er lässt auch seiner Vorliebe für Science-Fiction freie Bahn.

Christopher Ecker: Andere HäfenEckers Genreverständnis ist wie sein bisheriges Gesamtwerk erfrischend unkonventionell. In „Dosenwerfen für Terra“ bauen irdische Wissenschaftler eine Art Jahrmarkt auf, um mit fremden Planetenbewohnern in Kontakt zu treten; doch als die Besatzung des Kugelraumers Hesiod eine halbhumanoide Spezies mit dem Dosenwerfen bekannt macht, können sie nicht ahnen, was sie damit auslösen. „Im Treppenhaus“ hingegen handelt von einer Familie, die sich damit konfrontiert sieht, dass ihre Wohnung mit einer teigartigen Substanz aufgefüllt wurde, durch die man sich nur mit Mühe bewegen kann; allerdings fördert der Vater bei einem ersten mühevollen Vorstoß nur Belanglosigkeiten zu Tage – eine Schale mit Schokokeksen, die Fernbedienung der Stereoanlage, Mutters Lesebrille. In „Die Überkopf-Welt“ hingegen erwacht ein Mann in den Trümmern seines Betts an der Zimmerdecke, um sich dann langsam in die Außenwelt vorzuarbeiten, wobei ein leicht hysterischer Erzähler fortwährend Zwiesprache mit dem Leser hält.

 „Außerirdische nahm man mir nicht ab. Aber Außerirdische waren doch das Einzige, was zählte!“, heißt es in Eckers Tausendseitenroman „Fahlmann“ (2012), dessen schriftstellernde Hauptfigur nur deswegen keine Science-Fiction schreibt, weil sie weiß, dass dies ihre Chancen bei der Kritik schmälern würde. Christopher Ecker ist in dieser Hinsicht als bekennender Leser von Thomas M. Disch und Jack Vance einen Schritt weiter. Seine Bücher – wie beispielsweise „Der Bahnhof von Plön“ (2016) – speisen sich aus den unterschiedlichsten Quellen, zu denen seit seinem Debüt „Sulewskis Tag“ (1994) auch Science-Fiction gehört. Speziell die New Wave hat es ihm angetan: In „Letzte Durchsage“ – einer weiteren Erzählung aus „Andere Häfen“ – etwa wird von einer Romantrilogie berichtet, in der eine Familie durch einen endlosen Supermarkt zieht, ohne dies für ungewöhnlich zu halten; es kommt zu einem Treck, der sich mit selbstgebastelten Waffen verteidigt und über die Jahre zunehmend verwildert. Schließlich geht es darum, „Waren, die lebendig verkauft werden, oder andere Kunden (man weiß es nicht genau) zu zähmen oder in eine Abteilung zu treiben, wo diese Waren oder Kunden gegen etwas eingetauscht werden können, das für alle Beteiligten eine beinahe religiöse Bedeutung besitzt“. Das klingt spannend, doch der Erzähler der Geschichte konstatiert nüchtern: „Die Folgebände der Trilogie habe ich nicht gelesen.“

Spätestens an dieser Stelle ist unübersehbar, wie sehr Ecker über das Erzählen erzählt, wenn er seine pointierten Plots entwickelt. Realität wird nicht einfach entworfen, sondern stets gebrochen und durchreflektiert. Die Geschichten versanden, entwickeln sich in ungeahnte Richtungen oder treten in einen Dialog untereinander, etwa wenn sich bestimmte Elemente oder Formulierungen wiederholen. Dies geschieht jedoch so leichtfüßig, dass man sie auch als stilistisch herausragende Miniaturen genießen kann. Hinzu kommen zahlreiche Anspielungen aus dem SF-Bereich, etwa auf Philip K. Dick, R. A. Lafferty oder Robert Silverberg und seinen Roman „Der Gesang der Neuronen“ (im Shop); nach James Tiptree jr, ist in der Geschichte „Invasionen“ ein Drink benannt.

„Andere Häfen“ – der Titel spielt auf Eckers früheren Kurzprosaband „Der Hafen von Herakleion“ (2006) an – ist im selben Maß Bestandteil der phantastischen Literatur, wie er über Genrekonventionen hinausragt. Das Buch zeigt, was mit den Mitteln der Science-Fiction möglich ist, wenn man sie als Sprungbrett und nicht ausschließlich als lauwarm temperiertes Planschbecken begreift.

Christopher Ecker: Andere Häfen • Kurzgeschichten • Mitteldeutscher Verlag • Halle 2017 • 240 Seiten • € 16,95

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