27. Dezember 2017 1 Likes

Haben wir nicht alle Peters Problem?

Marc-Uwe Klings „QualityLand“ ist eine hinreißende SF-Satire

Lesezeit: 4 min.

„Come to where the quality is! Come to QualityLand!“ Wer so einen Claim hat, braucht keine Konkurrenz zu fürchten. Denn nichts klingt besser als „Made in QualityLand“! Im Zuge der Umstrukturierung eines uns wohlbekannten Landes wurde eben jenes zu „QualityLand“. Auch Städte und Bewohner wurden einem marketinggerechtem Facelifting unterworfen und bekamen neue Namen zugeteilt. Dadurch ist nun jederzeit sichtbar, welchen Beruf Vater oder Mutter beim Zeugungsakt des Kindes ausgeübt haben. QualityLand verspricht das Paradies auf Erden, in dem alle glücklich sind und jeder unbewusste Wunsch sofort von den allgegenwärtigen Algorithmen der großen Techkonzerne erfüllt wird. Jeder? Zumindest Peter Arbeitsloser hat damit ein Problem. Er bekommt eines Tages von einer Paketdrohne des Onlineversandhändlers TheShop einen Gegenstand zugeschickt, den er sich nie im Leben gewünscht hat…

Kennen Sie das Känguru? Nicht irgendeines, sondern das kommunistisch veranlagte Beuteltier, das in einer WG mit dem Kleinkünstler Kling lebt? Falls nein, sollten Sie die „Känguru Chroniken“ lesen, um die ein oder andere Anspielung in Marc-Uwe Klings erstem Roman „QualityLand“ zu erkennen. Doch auch ohne Vorkenntnisse ist das Buch unterhaltsame und intelligente Science-Fiction – und der wahrscheinlich utopischste Roman seit langer Zeit.

Bereits in der Känguru-Trilogie beschrieb Kling eine sich langsam verändernde Gesellschaft. Die Geschichten um den rhetorisch gewandten Hüpfer, seine kritische Haltung zu Allem und Jedem und der Feindschaft mit dem Pinguin erscheinen nur leicht der Realität entrückt und in einer nahen Zukunft oder Parallelwelt zu spielen. Die größte Gemeinsamkeit zwischen den Werken findet sich jedoch in der Form. Genauso wie die Chroniken lebt „QualityLand“ von den Dialogen – und hier läuft Kling zur Höchstform auf. Akribisch und sehr präzise entlarvt er die Absurditäten (und auch die Gefahren), mit denen die Menschen in einer vollautomatisierten, von künstlichen Intelligenzen betreuten Welt konfrontiert werden. In seiner Zukunftsvision ist das Individuum längst gläsern und kaum noch relevant. Wegen des Datenstroms werden nicht mehr nur Produkte und Dienstleistungen bewertet, sondern auch Menschen. Wer ein hohes Level erreicht, ist nahezu unantastbar. Ein einstellig Sortierter gilt hingegen offiziell als „nutzlos“.

Der sympathische Held des Romans ist Peter Arbeitsloser. Als Maschinenverschrotter fällt ihm die Aufgabe zu, nicht mehr benötigte technische Geräte zu entsorgen. Seit die Konsumschutzgesetze gelten ist nämlich jede Art von Reparatur verboten. Doch so ganz kann sich Peter mit der Situation nicht abfinden und rettet die Gerätschaften, Drohnen und Androiden, die in seiner Maschinenpresse zerstört werden sollten. Darunter befindet sich ein rebellisches QualityPad, ein ausgemusterter Sexdroide, eine Drohne mit Flugangst, eine E-Poetin mit Schreibblockade und ein unter PTBS leidender 2,56m großer panzerbrechender Kampfroboter. Als Peter zum Nutzlosen degradiert wird und einen Delphinvibrator von TheShop zugesandt bekommt, beginnt er noch weiter das System zu hinterfragen. Gemeinsam mit seinem bunten Haufen von elektronischen Gefährten und der geheimnisvollen Kiki macht er sich daran, das Unmögliche zu versuchen: ein ungewollt zugesandtes Produkt zu reklamieren.

Währenddessen hat QualityLand gänzlich andere Probleme zu bewältigen. Die geliebte Präsidentin liegt im Sterben und dank der Technik ist auch klar, in wie vielen Tagen sie das Zeitliche segnen wird und Neuwahlen veranstaltet werden müssen. Im Land des Superlativs herrscht eigentlich eine  Koalitionsallianz (die größte und beste, versteht sich). Doch statt sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu verständigen, stellt die Fortschrittspartei ihren eigenen auf und bricht damit ein Tabu: der Spitzenkandidat ist John of Us, ein Androide.

„QualityLand“ ist einer dieser Romane, über dessen Querverweise, Ideen und Zitate aus der Popkultur ganze Abhandlungen geschrieben werden könnten, bei dem von Rezensentenseite aus jedwede weitere Bemerkung über den Inhalt das Lesevergnügen jedoch deutlich schmälern würde. Kling hat das fast Unmögliche geschafft: auf knapp 400 Seiten zeigt er, wohin zu viel Fortschrittsoptimismus führen kann – und dass sich mit dem bloßen Vertrauen auf eine bessere Zukunft nur die wenigstens Probleme lösen lassen. Er liefert eine humorvolle und zugleich schmerzhafte Analyse der Verheißungen des Silicon Valleys und unserer dem digitalen Wandel unterworfenen Gegenwart. Bis ins kleinste Detail erforscht der Berliner Kabarettist, was es bedeutet, wenn das Leben komplett von Algorithmen abhängt, die höchstens noch von Superintelligenzen verstanden werden können. Damit steht er in direkter Tradition zu Thomas Morus, der fünfhundert Jahre zuvor in seiner „Utopia“ satirisch beleuchtete, warum das Streben nach kollektivem Glück und gesamtgesellschaftlichen Nutzen äußerst problematisch sein kann. Dennoch verfällt der Roman zu keiner Zeit in Kulturpessimismus, sondern gibt Denkanstöße, damit die Sehnsucht nach Glück nicht in einem totalitären Albtraum endet. Somit ist „QualityLand“ eine utopische Erzählung erster Güte – und Pflichtlektüre nicht nur, sondern auch für SF-Fans.

Marc Uwe-Kling: QualityLand • Ullstein, Berlin, 2017 •  384 Seiten • 18,00 € • Die „helle“ und die „dunkle“ Edition unterscheiden sich nur in den abgedruckten Nachrichtenbeiträgen, Kommentaren und Werbeanzeigen, die online nachgelesen werden können. • „QualityLand“ ist auch als ungekürzte Live-Lesung bei Hörbuch Hamburg erhältlich.

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