21. September 2015 3 Likes

Kochen verboten

Kulinarische Steampunk-Dystopie: Gregor Webers Roman „Stadt der verschwundenen Köche“

Lesezeit: 3 min.

Seemann, „Tatort“-Darsteller, Koch, Pressefeldwebel in Afghanistan, Hörbuchsprecher, Schriftsteller: Der 1968 in Saarbrücken geborene, heute mit seiner Familie in der Nähe von München lebende Gregor Weber war und ist in vielen Gewässern unterwegs. Aus seiner Feder als Autor stammen Sachbücher wie „Kochen ist Krieg“ oder „Krieg ist vorne scheiße, hinten geht’s!“, und natürlich die Krimis um seinen Hauptkommissar Grewe. Mit „Stadt der verschwundenen Köche“ legt Weber nun einen Steampunk-Alternativwelt-Roman vor, den man irgendwo zwischen Jules Verne und George Orwell als kulinarische Dystopie bezeichnen könnte.

Alles beginnt im Sinne einer Alternativwelt/Anderswelt-Geschichte ganz klassisch, ja wenn nicht sogar ein bisschen altmodisch: Carl Juniper erleidet Anfang des 20. Jahrhunderts Schiffbruch und wird durch einen Strudel in eine andere Welt katapultiert. Die ist kein Wunderland, sondern ein London, das der Schiffskoch fast nicht wiedererkennt. Die in eine strenge Struktur aus Arbeit und Vorgaben gepressten Bewohner kennen nichts anderes als die Metropole, und sie kennen auch kein Essen. Wasser, Ale und geschmacklose Nährstoff-Einheiten – weiter reicht der kulinarische Horizont nicht in der Stadt, in der es dafür dampfbetriebene Gefährte, ein Schwebebahnen-Netz, Luftschlitten und riesige Luftschiffe gibt.

Der Parallelwelt-Kulturschock steigert sich, zumal Carl in einer streng regulierten und beobachteten Gesellschaft untertauchen muss, die nichts hinterfragt – niemand fragt, woher das Bier im Glas oder das Leder für die Schuhe kommen. Doch dann stolpert der verzweifelnde Smutje immer der Nase nach in eine Untergrund-Küche, wo seine Zunftgenossen in dieser kargen Welt als Kriminelle für die kulinarische Wonnen sorgen. Prompt hilft Carl dabei, illegale Schmausereien zuzubereiten und anzurichten, damit die feinen Reichen in den Genuss ihrer verbotenen Gelage und Dinner kommen, während der schuftenden Arbeiterklasse Freude und Geschmack fremd sind. Trotz der Ungerechtigkeit fühlt sich Carl hinter dem Herd wohl – der ist sein Anker. Wie er sich so der Gang verpflichtet und in eine Einheimische verliebt, wird der ehemalige Schiffskoch in einen Bandenkrieg der Kochverbrecher hineingezogen und kommt am Ende dem Verschwinden seiner Bratbrüder sowie dem Geheimnis dieses isolierten, kargen, geschmacklosen Londons auf die Spur …

Man kann an den meisten Tagen nicht den Fernseher einschalten, ohne einem Starkoch in irgendeinem der vielen Kochsendungs-Formate im TV sozusagen ins Messer zu laufen. Ein fantastischer, dystopischer Steampunk-Alternativweltroman ums Kochen scheint also genau das zu sein, worauf alle gewartet haben. Schade, dass Weber gut 100 Seiten braucht, bis alles ordentlich köchelt und brutzelt und gut zu riechen anfängt, doch mit den rebellischen Koch-Gangs entstehen genug Würze und Charme im Topf, obwohl erfahrene Genre-Gourmets nicht unbedingt eine literarische Geschmacks-Explosion erleben und keinen ungeahnten Gaumenfreuden des Lesens begegnen.

Die Vorspeise fäll also etwas zu üppig aus, und gleichzeitig fehlt es dem Hauptgang an ein paar Beilagen – in der zweiten Hälfte des Romans hätte Webers Steampunk-London hier und da einige Statisten im Hintergrund vertragen, derweil der Plot ohne Pause abgespult wird. Dafür ist es sehr schön, wie Weber die Impulse, über die Herkunft und Qualität unseres Essens nachzudenken und es vor allem zu genießen, mit seiner Story verstrickt – und überhaupt fasziniert die Idee eines altmodischen ‚anderen Londons’, in dem Kochen eine kriminelle Leistung ist. Vielleicht hätte der Küchen-Tatort-Profi seinen Protagonisten öfter an den Herd stellen und dort schwitzen und schuften lassen sollen, denn hier brodelt das Buch vor Leben.

Selbst wenn es für „Stadt der verschwundenen Köche“ keine drei diezukunft.de-Science-Fiction-Schlemmer-Sterne gibt, findet sich auf den 350 Seiten des E-Books und der Paperback-Klappenbroschur eine schmackhafte Idee aus der Küche des Zeitgeists, deren dampfende Umsetzung durchaus mundet, obgleich das komplette Menü nicht mit der Speisekarte und der Hauptzutat mithalten kann.

Gregor Weber: Stadt der verschwundenen Köche • Knaus, München 2015  • 350 Seiten • € 14,99

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