7. Dezember 2017 3 Likes

Postapokalypse mit Schwert, Baby und Ziege

Peter Newmans kerniges SF-Romandebüt „Vagant“ auf Deutsch

Lesezeit: 3 min.

Wenn die Science-Fiction das Bekannte im Unbekannten abbilden und das Mögliche im Unmöglichen erforschen soll, dann steht das populäre postapokalyptische Subgenre eher mit dem Rücken zur Wand in der Sackgasse. Hier gibt es schließlich einen etablierten Standard für Plots und Protagonisten, von dem viel zu selten abgewichen wird. Umso wichtiger ist es, dass noch immer Werke wie Peter Newmans Debütroman „Vagant“ eine Chance bekommen, der inhaltlich und sprachlich voll auf Eigenwilligkeit setzt. Der Auftakt zur „Vagant“-Trilogie wirkt in seinen besten Momenten, als hätte China Miéville (im Shop) einen düsteren, postapokalyptisch-magischen Science-Fantasy-Roman geschrieben, der zu gleichen Teilen von „Lone Wolf & Cub“, „Die Straße“ und einem der abseitigeren „Warhammer“-Ableger inspiriert wurde. Aber „Vagant“ stellt auch eine spannende Frage: Wie viel Fantasy verträgt die Postapokalypse?

Im Buch zieht der titelgebende Vagant durch eine Landschaft aus Wüsten und Städten, deren Elend von den Bruchstücken der entzweigebrochenen Sonne erleuchtet wird. Unter seinem weiten Mantel trägt der stumme Wanderer und Vagabund ein unschuldiges Baby, das er um jeden Preis beschützen will – und ein singendes, magisches Schwert, das womöglich die Rettung bedeuten könnte für diese brutale Welt, die vor einigen Jahren von den Mächten der Hölle in einem Krieg überrannt wurde und deren Bewohner seither auf die eine oder andere Weise zu Monstern mutieren. Die finsteren, schier unaufhaltsamen Agenten des herrschenden Usurpators jagen den Vaganten und das Schwert durch weite Einöden, bis unter die Erde, durch Metropolen voller Gier und Verrat und sogar über das Meer. Allerdings finden der Vagant und das Baby, die von einer störrischen Ziege begleitet werden, unterwegs ein paar Gefährten, die sich ihnen anschließen und an ihrer Seite so etwas wie Hoffnung schöpfen inmitten der allgegenwärtigen Verderbnis, in der jeder irgendwie zu überlebenden versucht …

Peter Newmans Welt nach dem Ende erblüht als ein Friedhof der Technik und der Menschlichkeit. Mal wirkt die Kulisse altertümlich bis archaisch, dann wieder begegnen dem Vaganten, dem Baby, der Ziege und dem Leser Luftschiffe und Kettenfahrzeuge und andere Dinge aus der Abteilung für vergangenen Fortschritt. Die Essenz der Gegner ist hingegen finstere Höllenmagie samt Nekromantie, die Währung der Überlebenden demzufolge Verzweiflung. Newman, Co-Autor des für den Hugo Award nominierten Podcast „Tea and Jeopardy“, erzählt seine eigensinnige Science-Fantasy trotz Erklärungsbedarf selten zu Tode. Er beschreibt im richtigen Moment genug der düsteren Verwachsungen, aber meistens erwartet er, dass sein Leser das stimmungsvolle Puzzle im Kopf zusammensetzt. Auch die Sprache des Engländers, der Schauspiel und Pädagogik studierte, stellt eine permanente, wenngleich reizvolle Herausforderung und Abwechslung dar, die „Vagant“ durchgehend wie ein stilistisches Hervorstellungsmerkmal trägt. Kein Satz, der nicht durch gekonnte Sperrigkeit glänzt – Helga Parmiter, die u. a. diverse „Star Trek“-Romane ins Deutsche übertragen hat, hatte mit ihrer adäquaten Übersetzung sicher einige Arbeit. Als Leser muss man ebenfalls mehr Aufmerksamkeit und Zeit investieren, doch da man überall sonst Gefahr läuft, im Genre-Einheitsbrei zu ertrinken, ist diese sprachliche Schwierigkeit und Kernigkeit mehr als willkommen.

Sogar die zuckersüßen Szenen mit dem Baby, die einen regelrecht kitschigen Kontrast zur rauen Umgebung darstellen, funktionieren innerhalb der Geschichte richtig gut. Dass „Vagant“ am Ende eher unspektakulär ausläuft, wird den starken 350 Seiten vor dem Finale nicht gerecht. Dennoch beantwortet der ursprünglich 2015 erschienene, in sich abgeschlossene Roman, der im Original bereits durch zwei weitere Bücher und zwei Kurzgeschichten fortgesetzt wurde, die Frage nach der Postapokalypse und ihrer Fantasy-Verträglichkeit. Denn wenn Setting und Story so ungewöhnlich und unverbraucht daherkommen wie in Peter Newmans „Vagant“ und sprachlich zudem so interessant abgepackt werden, dann kann man bei der üblichen Standardkost künftig eigentlich nur wie eine Ziege bocken und zugleich wie ein Baby nach mehr Science-Fantasy dieser Machart schreien.

Peter Newman: Vagant (Vagant-Trilogie Bd. 1) • Cross Cult, Ludwigsburg 2017 • 445 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 16,00 Euro

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