23. Juni 2016 2 Likes

Rüstzeug (nicht nur) für Science-Fiction-Historiker

Zwölf klassische Storys aus der „Science Fiction Hall of Fame“

Lesezeit: 4 min.

Dass die Science-Fiction ihre eigenen Klassiker hat, ist bekannt – nicht aber, wie bemerkenswert viele dieser Texte sind. Der kleine Golkonda-Verlag macht nun eine der berühmtesten Sammlungen mit Kurzgeschichten greifbar: die erstmals 1970 erschienene „Hall of Fame“, die Höhepunkte des Genres aus drei Jahrzehnten vereint – und jede Menge Überraschungen bereithält. Der erste Teil der zweibändigen Anthologie enthält zwölf Erzählungen, unter anderem von Isaac Asimov (im Shop), Robert A. Heinlein (im Shop) und Frederic Brown.

„Ich sah, wie sich vom Osten ein Luftschiff näherte. Es glitt mit einem wimmernden Flüstern der Luft heran, wie ein Kind, das im Schlaf leise vor sich hinweint.“ Diese Zeilen stammen aus „Abenddämmerung“ (Twilight, 1934) von John W. Campbell jr., dem einflussreichen Herausgeber und Erneuerer der SF. Er beschreibt in unerwartet poetischen Bildern, wie ein Zeitreisender aus dem 31. Jahrhundert in die ferne Zukunft verschlagen wird und entdecken muss, dass die Technik jede Neugier und Eigeninitiative absterben lässt, weshalb die Menschheit trotz optimierter Versorgung vor dem Niedergang steht. So unmissverständlich (und vorausschauend) Campbells Warnung beispielsweise im Hinblick auf das Auslöschen von Tier- und Pflanzenarten auch sein mag – die Story besticht durch die Leichtigkeit, mit der das Szenario ausgemalt wird, und macht damit auf einen gern übersehenen Aspekt der SF aufmerksam: Auch wenn sie in erster Linie eine Literatur der Ideen ist, so darf sie doch allemal handwerklich gut gemacht sein.

Campbell soll auch Isaac Asimov zu seiner Geschichte „Einbruch der Nacht“ (Nightfall, 1941) angeregt haben. Ein Planet umkreist sechs Sonnen, wobei seine Bahn so komplex ist, dass auf ihm beständig Tag herrscht. Nur alle 2.000 Jahre gerät er in den Schatten eines anderen Trabanten, woraufhin die Bewohner zum ersten Mal eine Nacht erleben. Die Erkenntnis, dass der Kosmos voller Sterne und ihre bisherige Weltsicht vollkommen falsch ist, lässt ihre Zivilisation im Wahnsinn untergehen. Eine Gruppe von Wissenschaftlern versucht, alle Erkenntnisse über diesen Effekt für kommende Generationen zu sichern, wird aber nicht zuletzt von religiösen Fanatikern daran gehindert. Asimov erzählt den Plot überraschend undynamisch und beinahe länglich, aber die Grundidee erweist sich als so stark, dass „Einbruch der Nacht“ zu den herausragenden Leseerlebnissen der SF gehört. Zugleich handelt die Geschichte vom Widerstreit zwischen Glauben und Wissen – der weiterhin Aktualität besitzt.

Ein weiterer Großmeister der Science-Fiction ist Robert A. Heinlein, dessen Story „Die Straßen müssen rollen“ (The Roads must Roll, 1940 – im Shop) ein Beispiel für politisch motivierte SF darstellt. In einem zukünftigen Staat ist die gesamte Wirtschaft von Transportbändern abhängig, die Menschen wie Güter gleichermaßen ans Ziel bringen. Ein Anschlag von „Funktionalisten“, die eine andere Gesellschaftsform wollen, bringt das System in Gefahr, kann aber dank des beherzten Eingreifens eines Chefingenieurs abgewendet werden. Seine Lösung „Überwachen und inspizieren, überprüfen und nochmals überprüfen“ hätte gewiss auch Joe McCarthy gefallen, jenem einflussreichen Senator, dessen paranoider Antikommunismus zu Beginn der 1950er Jahre in den USA für ein Klima des Misstrauens sorgte. Heinleins Beitrag mag als Erzählung zu leicht zu durchschauen sein, ist aber andererseits ein treffender Beleg für Versuche, SF propagandistisch aufzuladen. So gesehen hat sie sich ihren Platz in der „Hall of Fame“ durchaus verdient.

Zeitlos hingegen ist „Arena“ (1944) von Frederic Brown, eine der bekanntesten SF-Storys überhaupt – sie diente als Grundlage für die gleichnamige Star-Trek-Episode. Kurz bevor es zu einer Raumschlacht zwischen den Menschen und den aggressiven „Outsidern“ kommt, finden sich zwei Repräsentanten beider Spezies in einer künstlichen blauen Wüste wieder. Eine überlegene außerirdische Intelligenz hat entschieden, dass der sich anbahnende Krieg mit zu vielen Verlusten verbunden wäre, weswegen er durch einen Zweikampf stellvertretend beendet werden soll. Da die Kontrahenten durch eine unsichtbare Barriere voneinander getrennt sind, spielt Körperkraft dabei nur eine nachrangige Rolle. Brown variiert das bekannte Space-Opera-Motiv eines Weltraumkriegs so gekonnt, dass die Erzählung bis heute nichts von ihrer Spannung eingebüßt hat.

Unentbehrlich ist auch „Gar elump war der Pluckerwank“ (Mimsy Were the Borogoves, 1943) von Lewis Padgett, dem Pseudonym von Catherine L. Moore und ihrem Ehemann Henry Kuttner. Aus einer Million Jahre in der Zukunft werden beim Test einer Zeitmaschine „ausrangierte Spielsachen“ in das Jahr 1942 geschleudert, die die Denkweise der Geschwister Scott und Emma in Bereiche weiterentwickeln, die ihren ratlosen Eltern völlig unverständlich sind. Doch es landet auch eine Sendung im späten 19. Jahrhundert, die Alice Lidell als Muse von Lewis Caroll dazu bringt, dem Autor einen Vers einzuflüstern, der sich für Scott und Emma als nützlich erweisen wird: „Verdaustig warʼs, und glasse Wieben / rotterten gorkicht im Gemank; / Gar elump war der Pluckerwank, / Und die gabben Schweisel frieben“ (aus „Alice hinter den Spiegeln“, 1871). Die Idee, dass zumindest Teile der Carollʼschen Nonsenspoesie eine höhere Wirklichkeit abbilden, ist eine der charmantesten Ideen, die die SF je hervorgebracht hat.

Die „Science Fiction Hall of Fame“ – eine komplette Inhaltsauflistung findet sich hier – gehört zu den wichtigsten Zusammenstellungen ihrer Art. Das ist bereits in ihrer Entstehung begründet: Die „Science Fiction Writers of America“ beschlossen kurz nach ihrer Gründung im Jahr 1965, eine entsprechende Bestenliste zu erstellen. Ein längeres Nominierungs- und Auswahlverfahren war die Folge, an dessen Ende Robert Silverberg stand, der als Herausgeber der Buchausgabe noch einige Feinjustierungen vornahm. Auch wenn nicht jede Geschichte so umwerfend phantasievoll ist wie „Eine Mars-Odyssee“ (A Martian Odyssee, 1934) des viel zu jung gestorbenen Stanley G. Weinbaum oder eine kosmische Vision eröffnet wie „Der Waffenladen“ (The Weapon Shop, 1942) von A. E. van Vogt – lesenswert sind sie alle. Dank durchgesehener Übersetzungen, einem augenfreundlichen Neusatz und einer eleganten Umschlaggestaltung gilt dies auch dann, falls die Geschichten in der eigenen Bibliothek bereits anderweitig vorrätig sein sollten. Der zweite Teilband ist für Oktober angekündigt.
 

Robert Silverberg (Hrsg.): Science Fiction Hall of Fame Bd. 1 • Golkonda • 405 Seiten • € 18,90

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