11. November 2015 3 Likes 1

Per Trail und per Treck in die Zukunft

Monica Byrnes preisgekrönter Roman „Die Brücke“

Lesezeit: 3 min.

In ihrem Romandebüt „Die Brücke“ (im Shop) schildert die studierte Bio- und Geo-Chemikerin Monica Byrne die Reisen zweier Frauen. Angesiedelt sind beide Trips bzw. Erzählstränge in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts, wo die Ordnung der Welt unter anderem wegen der Folgen des gestiegenen Meeresspiegels neu geschrieben wurde und wo Indien und Äthiopien mittlerweile wirtschaftliche Supermächte sind. Während das junge, unerfahrene Mädchen Mariama in dieser umsortierten Zukunft mit einem Lastwagen-Treck eine afrikanische Landesgrenze nach der nächsten hinter sich lässt, macht sich Meena von Indien aus daran, zu Fuß den so genannten Trail zu bezwingen: Eine schwimmende, segmentierte Hightech-Brücke über das Arabische Meer, die Indien und Äthiopien verbindet und aus der Sonne und den Wellen jene Energie gewinnt, die für die Megastädte an Land benötigt wird.

Derweil die kleine Mariama viele staunenswerte und ein paar alles andere denn ungefährliche oder süße Erfahrungen macht, wird Meenas fast viertausend Kilometer langer Trip über den Trail, der mitunter von schrägen Aussteigern bevölkert ist, für die junge Frau zur allesumfassenden Zerreißprobe. Schließlich muss sie es nicht bloß mit der schaukelnden Pontonbrücke, den Launen der Elemente oder den Leistungs- und Belastungsgrenzen ihres Körpers aufnehmen, sondern auch mit den Dämonen ihrer Vergangenheit, denen sie einerseits davon, andererseits entgegen läuft. So wird der Trail für Meena zu einer ebenso körperlichen wie seelischen Zerreißrobe …


Foto: Donald E. Byrne

Keine Frage: Monica Byrne, die vor ihrem Roman-Einstand hauptsächlich Theaterstücke und journalistische Texte verfasst hat und wie Ann Leckie (im Shop) eine Story im Magazin „Electric Velocipede“ veröffentlichte, macht es einem besonders am Anfang schwer. Die ersten Kapitel muss man ihr einfach vertrauen, sich an der guten Prosa erfreuen und mit vielen offenen Fragen, noch mehr Tatsachen sowie einigen seltsamen Sexszenen und Metaphern leben und sich aufmerksam an den viel versprechenden SF-Komponenten festzuklammern. Es lohnt sich, durchzuhalten und sich Meenas Beispiel folgend voranzukämpfen. Denn wie Byrne anhand ihrer beiden Handlungsfäden, die am Ende natürlich miteinander verwoben werden, ihre Zukunft um die boomenden afrikanischen und asiatischen Nationen zwischen persönlichen Dramen, Kultur, Politik, Religion und Wirtschaft zeichnet, ist schon äußerst unkonventionell und ausgesprochen faszinierend.

Das hat im Kern des Settings und der Exploration viel von Autoren wie Ian McDonald (im Shop) und Paolo Bacigalupi  (im Shop), tickt letztlich jedoch vollkommen anders, da man als Leser einen kindlich-subjektiven, verständnislosen Blick aus dem fahrenden Lastwagen und auf die Wunder Afrikas wirft, alles durch persönliche Gefühle und verschleierte Beobachtungen und Erinnerungen gefiltert wird. Es ist eine faszinierende Erfahrung, sich Byrnes Zukunftsvision wie ein Reisender anhand der flüchtigen Eindrücke selbst zu erarbeiten und oft aus Bruchstücken zusammenzusetzen und eigenständig zu erklären. Dasselbe gilt für den Plot und wie Meenas und Mariams Schicksale verbunden sind – Byrne deckt ihre Karten spät auf und bindet ihrem Leser nie etwas auf die Nase.

„Die Brücke“ ist keineswegs perfekt und will vermutlich genau das nie sein, wenn man perfekt mit konventionell und glatt und einfach gleichsetzt. Wer trotz des schwierigen Einstiegs und der manchmal etwas merkwürdigen sexuellen Komponente nicht von der Brücke springt, erliegt allerdings eher früher als später der Faszination dieses ungewöhnlichen, andersartigen Zukunftspanoramas und der befremdlichen Art und Weise, wie es präsentiert wird. Am Ende versteht man durchaus, wieso sich „The Girl in the Road“ alias „Die Brücke“ den James Tiptree Jr. Award für den besten Roman des Jahres 2014 mit Jo Waltons „In einer anderen Welt“ teilte oder wieso Monica Byrnes Erstling von etablierten Kollegen wie John Scalzi (im Shop) und Kim Stanley Robinson (im Shop) nicht zu knapp gelobt wird.

Monica Byrne: Die Brücke • Heyne, München 2015 • 447 Seiten • 11,99 Euro

Kommentare

Bild des Benutzers Johann Seidl

Ich habe den Roman mit wirklich großem Genuss gelesen. Der großartige „Sense of wonder“ sprengt Genregrenzen, ein Glücksfall für die Science-Fiction. "Seltsame Sexszenen und Metaphern" habe ich nicht gefunden, nur anrührende menschliche Begegnungen und großartige Bilder.

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