3. April 2015 4 Likes

Into the Wild

Edan Lepuckis gediegene Endzeit-Dystopie „California“

Lesezeit: 4 min.

In den USA war Edan Lepuckis „California“, dieser eindringliche Endzeit-Roman ganz ohne Zombies und Seuchen, der vor Kurzem beim Aufbau-Imprint Blumenbar auf Deutsch erschienen ist, schon vor dem Erstverkaufstag ein Hit. Late-Night-Größe Stephen Colbert baute seinen Feldzug gegen Amazon, das in Zuge einer Rabattschlacht im Sommer 2014 bestimmte Verlagsgruppen boykottierte, nämlich um den Roman-Erstling von Lepucki auf und schwor seine Millionen TV-Zuschauer und Twitter-Follower darauf ein, ausgerechnet „California“ in unabhängigen Buchläden zu bestellen, da der Schlagabtausch zwischen Branchengigant Amazon und den Verlagsriesen für neue Autoren wie Lepucki besonders hart sei, so Colbert damals. In der Folge avancierte „California“ zum Symbol des Kampfes gegen das Amazon-Monopol – und nebenbei zum Bestseller und einem der am häufigsten vorbestellten Bücher in der Geschichte des Original-Verlages Hachette …

Edan Lepucki erzählt im Buch von den Vereinigten Staaten nach den ökologischen und ökonomischen Kollaps: Zahlreiche Naturkatastrophen und der unaufhaltsame Zerfall des Systems haben die Menschheit schwer getroffen und gezeichnet. Die Elite zieht sich schließlich in gut abgeschirmte, streng bewachte und regulierte Communitys zurück, alle anderen harren in den heruntergekommenen Städten im Ausnahmezustand aus, in denen Strom und Medikamente längst Mangelware sind und auch die Hoffnung immer mehr schwindet – oder sie fliehen kurzerhand vor dem Chaos in die Wildnis.

Calvin, manchmal California und lieber Cal genannt, und seine Frau Frida sind zwei derer, die Los Angeles den Rücken zugewandt haben und ihr Heil in der Abgeschiedenheit der kalifornischen Wälder suchen. Es ist nicht einfach und viel mehr ein karges, mühsames Leben, aber die jungen Eheleute kommen klar und halten ihr Glück fest, so gut sie können. Außerdem ist da ja noch August mit seinem Maultierkarren, der in einem halbwegs regelmäßigen Turnus verstreute Siedlungen und Aussiedler wie Cal und Frida abklappert, um mit ihnen zu handeln und zu tauschen.

Dann jedoch wird Frida schwanger, und alles verändert sich, denn nun will sie die Isolation unbedingt durchbrechen und herausfinden, was für Orte und Menschen August noch besucht, wer keine zwei Tagesmärsche weiter noch existiert. So gelangen sie und Cal in die Kommune The Land, wo sie von ihrer Vergangenheit eingeholt werden und obendrein herausfinden müssen, dass sich die Zukunft in einer von Grund auf veränderten Welt nach dem Zusammenbruch von Gesellschaft und Wirtschaft keineswegs gewandelt hat. Der Wesenskern der Menschen ist derselbe wie zuvor, und selbst unter den neuen Umständen gibt es noch ausreichend Platz für Ideologien aller Art, Intrigen und Geheimnisse, und sogar Terrorismus…

Edan Lepucki, die vor ihrem Roman-Debüt bereits diverse Erzählungen veröffentlichte und überdies als Lehrerin für kreatives Schreiben tätig ist, hat mit „California“ einen sehr gediegenen und ruhigen Roman geschaffen. Einen dieser Titel zwischen Endzeit und Dystopie, die sich abseits der boomenden, exportierten Genre-Nische vorzüglich für eine sonst eher genre-phobe Klientel vermarkten lassen, wie Cormac McCarthys „Die Straße“ oder Peter Hellers „Das Ende der Sterne wie Big Hig sie kannte“. Dem klassischen „The Walking Dead“-Fan werden indes vermutlich die Action und der Horror fehlen, und dass sich einige Schlüsselmomente des Romans als Dialog beim morgendlichen Brotbacken abspielen, sagt viel über den Ansatz und den generellen Duktus von Lepuckis Buch.

Dennoch mangelt es nicht an Wirkung – oder Spannung –, wenn Lepucki mit ein paar sanften Zeitsprüngen innerhalb der Anordnung ihrer Szenen beschreibt, wie sich die Welt und die zivilisatorische Ordnung stufenweise verändert haben und zu dieser harten nahen Zukunft wurden. Oder wenn sie die neue Gesellschaft schildert, die in der Kommune wie in den Communitys ganz schön dystopisch daherkommt, oder über das ewige Ungleichgewicht und komplizierte Verhältnis von Männern und Frauen schreibt.

Leise Töne, voller Klang: Edan Lepuckis „California“, das auf Deutsch in einem ausgesprochen hübsch aufgemachten Hardcover in der Übersetzung von Gesine Schröder vorliegt, ringt zwei der momentan populärsten und mainstream-tauglichsten Spielarten der Science-Fiction interessante Impulse, Perspektiven und Gedanken ab, wobei Lepucki ihre Schwerpunkte mutig und eigensinnig setzt und dafür auf typische Tropen verzichtet. Dass ihr Stil und ihre Art des Erzählens an Daniel Woodrell erinnern, hilft ebenso wie ihre Konzentration auf soziale Motive und Aspekte, um mal wieder ein Genre-Werk abseits der Walking-Dead- und Panem-Klone und somit außerhalb des „Ghettos“ zu positionieren, überspitzt formuliert.

Was viele der Leser von „California“ wohl dazu zu sagen hätten, wenn man sie darüber aufklären würde, dass sie gerade endzeitlich-dystopische Science-Fiction gelesen haben?

Foto: Oregonlive

Edan Lepucki: California • Aufbau/Blumenbar, Berlin 2015 • 416 Seiten • 20,00

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