29. Juli 2014

Das Judas-Testament

„Cross Fire“ – Ein Genre-Mashup-Comic von Sala und Chan

Lesezeit: 3 min.

Für Puristen ist es ein Elend, für Literaturwissenschaftler eine Herausforderung und für Drehbuch-Autoren und Hollywood-Agenten ein Segen: Die Genre-Grenzen wurden schon vor langer Zeit aufgelöst, ganz ohne Kriege oder langwierige Verhandlungsrunden mit unendlich vielen Diplomaten. Sie sind gefallen, weil ein allzu enges Korsett irgendwann stört und dringend gelüftet werden muss.

Erst waren es nur Kleinigkeiten. Ein Western mit Krimi-Einflüssen. Ein Krimi mit Science-Fiction-Elementen. Ein Western im All. So oder ähnlich klang es, wenn PR- und Marketing-Abteilungen diese Mischwesen verkaufen wollten. Heute sieht ein Durchschnitts-Pitch eher so aus: „Roboter kämpft gegen Zombies kämpft gegen Zauberer kämpft gegen Ritter kämpft gegen Piraten kämpft gegen Nazis kämpft gegen Aliens kämpft gegen Monster kämpft gegen Helikopter – im Weltraum!“ (aus Jan Philipp Zymnys herrlichem Awesome-Text beim NightWash Talent Award 2013 – gibt’s auf YouTube)

Gerne werden natürlich auch Erfolgsformeln vermischt. Wenn Harry Potter und Twilight sich gut verkaufen, muss sich der Mix aus beidem doch doppelt so gut verkaufen, oder? Diesem Gedanken sind teilweise wunderbar irrsinnige, manchmal hochnotpeinliche Bücher oder Filme entsprungen. Wenn hübsche Mädchen sich plötzlich in verwesende Zombies verlieben, gerät die Teenie-Romanze arg an ihre Grenzen. Wenn „Cowboys gegen Aliens“ antreten, kann das auch ziemlich langweilig sein. Und wenn Tornados Haie aus dem Meer saugen und auf die Städte speien, schreien Genre-Fans entrüstet auf und finden das einfach nur blöd – weil Fans sich eben schwer tun mit Parodien, die die Nerdkultur auf die Schippe nimmt.

„Cross Fire“ ist so ein Mashup – aber, um das gleich vorwegzunehmen, eins in dem das Konzept aufgeht. Jean-Luc Sala und Pierre-Mony Chan hatten wohl etwa Folgendes im Sinn: „Wir kombinieren Tomb Raider, Assassin’s Creed, Da Vinci Code – und James Bond und Killerspiele – plus Humor!“ Nun, warum nicht?

Es beginnt im frühen 14. Jahrhundert mit der Zerschlagung des Templerordens, dem es aber noch gelingt, seine wichtigsten Schätze und Reliquien in Sicherheit zu bringen. Wenn die Handlung dann nach vier Seiten in die Gegenwart springt, müssen wir nicht lange darüber nachdenken, um was es gehen wird. Und schon sind wir an der Seite von Sofia D’Agostino, die in jeder Beziehung an die klassische Lara Croft erinnert, mitten drin in einer dramatischen Aktion, um die Reliquien der Templer im Auftrag des Vatikans zu finden. Zurück in Rom wird rasch klar, dass die Sache viel größer ist als angenommen – es wird u.a. vom Judas-Testament gemunkelt–, und Sofia bekommt einen Leibwächter zur Seite gestellt, der einige Erfahrung im „Schutz“ von Menschen besitzt, schließlich gehört Angelo Costanza zur Mafia. Denn jetzt geht es ans Eingemachte, an die Wurzel des christlichen Glaubens, an den Machtanspruch des Vatikans. Und da wird nicht mit Weihwasser gespritzt, sondern mit Blei. Denn es geht schließlich um das eine große, systembildende Mysterium der Kirche.

Schon der Auftakt der Serie zeigt, das hier alles möglich ist. Schattenregierungen, Geheimgesellschaften, Verschwörungen, High-Tech, bei der Navy Seals vor Neid erblassen würden. Und als Antwort auf die große Frage ist von „Jesus gab es nicht“ bis „Jesus war ein Außerirdischer“ eigentlich alles drin. Zeitreisen, Gen-Manipulation, Dimensionstore und virtuelle Welten explizit nicht ausgeschlossen.

Denn eigentlich geht es in „Cross Fire“ natürlich um eine Parallelwelt der Fantasie, in die man packen kann, was das Herz begehrt, Hauptsache es langweilt nicht. Neben Action gehört dazu auch eine knallige Romanze, und in bester Screwball-Tradition kriegen sich Sofia und Angelo selbst mitten im heftigsten Bleigewitter noch an die Köpfe, obwohl man weiß, dass sie seinem Macho-Charme längst erlegen ist.

Grenzen spielen in diesem bunten Kosmos keine Rolle mehr. Weder Landesgrenzen, noch ökonomische, noch juristische und schon gar nicht Grenzen der Wahrscheinlichkeit oder Logik. Und demzufolge stellt sich auch nicht mehr die Frage, ob das nun Science-Fiction, Fantasy oder die Zukunft der Genre-Literatur ist. „Cross Fire“ will nur eins sein: ein Vehikel für größtmöglichen Spaß. Und der kennt bekanntlich eh keine Grenzen.

Jean-Luc Sala/Pierre-Mony Chan: Cross Fire 1: Operation Judas • Splitter Verlag, Bielefeld 2014 • 48 Seiten • € 13,80

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