Fabelhafte Postapokalypse
„Hinterkind“ – Vertigo zum Dritten
Nach „Trillium“ und “FBP: Federal Bureau of Physics” stellen wir heute mit „Hinterkind“ die dritte neue Serie aus dem Hause Vertigo (DC Comics) vor, das etliche bahnbrechende Comic-Klassiker der letzten zwanzig Jahre hervorgebracht hat, u.a. Sandman, Preacher, Constantine - Hellblazer, Transmetropolitan, Fables, Y: The Last Man und DMZ.
„Hinterkind“ ist in mancherlei Hinsicht erstaunlich old school. Die Idee ist simpel, das Artwork schlicht, die Erzählweise klar und übersichtlich. Eigentlich so gar nicht das, was man bei einem Label erwarten würde, das sich sonst so künstlerisch und anspruchsvoll (gern auch bis in die nebelverhangenen Spinnereien reinster Esoterik und peinlichster Nabelschau) gibt wie Vertigo. Aber die Reihe macht Spaß, und das von der ersten Seite an.
Auch in „Hinterkind“ hat es mal wieder die Menschheit gerissen – jedenfalls bis auf ein paar wenige Immune, die eine verheerende Seuche überlebt haben. Nun sitzen sie in ihren kleinen Enklaven in Großstädten, die ganz buchstäblich zum Dschungel geworden sind. Aber nicht nur die Pflanzen und Tiere haben sich zurückerobert, was einst ihnen gehörte. Auch andere Wesen kommen aus ihren Rückzugsgebieten: Die zahlreichen fabelhaften Völker der keltischen Sagenwelt sind plötzlich wieder da, völlig unmythisch und rasend vor Zorn auf die letzten Menschen, die sie einst an den Rand der Ausrottung getreiben haben. Und schon ist man mittendrin in einem fabelhaften Abenteuergarn, dessen Protagonisten – Menschen wie Fabelwesen – in einen Mahlstrom sich überschlagender Ereignisse hineingerissen werden.
Edginton, ein Routinier, der schon seit 25 Jahren im Geschäft ist (und dabei z.T. wunderbare Comics wie „Kingdom of the Wicked“ und die „War of the Worlds“-Sequels „Scarlet Traces“ und „The Great Game“ verfasst hat), weiß wie man eine Geschichte einfädelt. Da ist kein Herantasten, kein Zuviel, kein Zuwenig, da ist schlicht Erfahrung und handwerkliches Können am Werk. Die einzelnen Plot-Elemente werden sicher parallel eingeführt, die verschiedenen Personen knapp und ohne großes Palaver auf den Punkt gebracht, der Vorwärtsdrive stimmt. Das ist so abgehangen, dass man geradezu mit der Nase darauf gestoßen wird, wie viele moderne Comic-Autoren Schwierigkeiten haben, einfach nur geradeaus zu Erzählen.
Ja gut, vielleicht würde man der Sache einen Hauch mehr Esprit wünschen, ein Funken mehr Originalität. Aber wer weiß, was passiert, wenn Edginton erst mal ins Rollen kommt? Schon jetzt gibt es schließlich eine Reihe von wunderbaren Gags, die so trocken serviert werden, dass man zweimal hinsehen muss, weil man seinen Augen nicht traut.
In mancherlei Hinsicht fühlt man sich beim Lesen von Hinterkind an Y: The Last Man erinnert, eine Reihe mit einer ähnlich simplen Grundidee, die ähnlich solide und unspektakulär eingefädelt wurde. Ein größeres Kompliment kann man kaum noch machen, oder?
Ian Edginton & Francesco Trifogli: Hinterkind 1: The Waking World • Vertigo/DC Comics, New York 2014 • $9,99
Kommentare
Schöne Rezension.
Aber welche Vertigo-Serien meinen sie denn genau, wenn sie von "nebelverhangenen Spinnereien reinster Esoterik und peinlichster Nabelschau" sprechen?
Air? It’s a Bird? Young Liars? Testament? Kid Eternity? Fast alles von Grant Morrison? Sehr willkürlich aufgezählt, da ich diese Titel gerne verdränge :-)
Die Vertigo-Comics von Morrison (The Invisibles, Animal Man, Flex Mentallo...) fand ich eigentlich alle großartig und würde sie nicht unbedingt unter "peinlicher Nabelschau" verbuchen. Ist aber natürlich alles Geschmackssache.
Ich weiß, an Morrison scheiden sich die Geister. (Ich mochte übrigens Joe the Barbarian. Für mich das Beste, was er je geschrieben hat.)