6. Oktober 2015 2 Likes

Die virtuelle Zukunft ist kein Spiel

Vielversprechendes Worldbuilding in Nate Simpsons Comic-Debüt „Nonplayer“

Lesezeit: 4 min.

Als im April 2011 das erste US-Heft von „Nonplayer“ beim Image Verlag veröffentlicht wurde, schien das der Beginn einer wunderbaren Erfolgsgeschichte zu sein. Noch bevor „Saga“, „Low“, „Black Science“, „Lazarus“ und andere Top-SF-Titel von Image zum neuen Genre-Standard in Sachen grafisches Erzählen wurden, war das von Comic-Debütant Nate Simpson geschriebene, gezeichnete und kolorierte „Nonplayer“ mit seiner Mischung aus Science-Fiction-Zukunft und virtueller Fantasy-Rollenspiel-Realität schon etwas, auf das man sofort anspringen konnte. Das Ergebnis: Heft #1 musste drei Mal nachgedruckt werden, Warner Brothers sicherte sich noch im Sommer 2011 die Filmreche, und der 1975 in Los Angeles geborene Nate Simpson wurde für seinen Zeichenstil, der irgendwo zwischen zeitgenössischen europäischen Alben-Produktionen und dem britischen, auf dem US-Markt aktiven Zeichner Jamie McKelvie liegt, bei den Eisner Awards 2011 mit dem Russ Manning Award als bester Nachwuchs-Künstler ausgezeichnet.

Und dann: Stille. Frustrierende, lang anhaltende, schweigsame Stille. Und keine Fortsetzung bis Juni 2015. Was war geschehen? Das Leben schlug gleich mehrfach zu, und der heute mit seiner Familie in Seattle lebende Simpson benötigte glatte bzw. satte vier Jahre, um US-Heft #2 fertigzustellen. Die Film-Option ist inzwischen erloschen, und Simpson wurde nicht reich und arbeitet noch immer hauptberuflich in der Videogame-Branche, wo er seit 1993 tätig ist. Jetzt hofft er, dass Heftnummer 3 nicht wieder vier Jahre braucht, und dass vielleicht noch mal ein Film-Studio Interesse bekundet und in der Folge noch etwas Hollywood-Geld fließt, was die Fertigstellung der dritten englischsprachigen Ausgabe erheblich beschleunigen könnte.

So weit also die ungewöhnliche Vorgeschichte von „Nonplayer“, dessen erster deutscher Band als Album dieser Tage beim Bielefelder Splitter Verlag erschienen ist, wo man das Hardcover mit den bisher vorliegenden US-Ausgaben gefüllt hat – im großzügigen Format des derzeit deutschland-exklusiven Albums kommt Simpsons Artwork dabei noch um einiges besser herüber. In den beiden Kapiteln seiner Story macht Simpson indes vor allem eines: Er betreibt exzessives Worldbuilding – und er gibt ein großes Versprechen.

Zunächst zeigt er die Zukunft, in der die junge Dana aus L. A. bei einem Lieferservice jobbt und die meiste, wichtige Zeit ihres Lebens – wie eine Milliarde anderer Menschen – in der Welt des Fantasy-Online-Rollenspiels Warriors of Jarvath verbringt, einer gigantischen, komplexen, lebendigen Welt voller Elfen, Krieger, Abenteurer und Fabelwesen. Allerdings sind die Nonplayer – die computer-generierten Statisten im riesigen Game-Kosmos, deren Leben von Anfang bis Ende berechnet und gerendert werden – realer und selbstbewusster als erlaubt und letztlich weit mehr als bloße Nichtspieler und programmierte Rand-Routinen. Gleichzeitig ist zu frei denkende und agierende Künstliche Intelligenz auch in der Realität ein Problem, wie die gut ausgerüstete Polizei immer wieder zu spüren bekommt, wenn eine KI trotz aller Gesetze und Vorkehrungen mal wieder Amok läuft …

Und weiter sind Simpson und „Nonplayer“ nach vier Jahren und zwei englischen Erzähleinheiten bzw. einem druckfrischen deutschen Album noch nicht. Ironischerweise stand das erste US-Heft – die erste Hälfte des Splitter-Auftaktbandes – allein noch ein bisschen besser da als die Kombination aus beiden amerikanischen Ausgaben. Denn dadurch, dass Simpson die zweite US-Nummer weiterhin zum Worldbuilding nutzt und den Fokus dafür fast komplett von seiner Protagonistin Dana und Warriors of Jarvath fortwandern lässt, spürt man schon einen Bruch. Das könnte sich im weiteren Verlauf der Story sicher noch auszahlen, doch angesichts von Simpsons bisheriger ‚Schnelligkeit’ auf das große Ganze zu spekulieren, ist im Augenblick lediglich bedingt befriedigend und nicht ganz unproblematisch. Zumal Simpson erneut betonte, dass er momentan nur morgens von drei bis sechs am dritten US-Heft arbeiten könne und „Nonplayer“ für ihn nach wie vor ein Vergnügen und kein Job sei. Schwierig und schade angesichts des Potentials, das „Nonplayer Buch 1“ erkennen lässt – die Doppelseite in der Mitte des Albums, die für all die Ideen und Möglichkeiten zwischen Simpsons Welten steht, hat noch heute, vier Jahre nach der ersten Begeisterungs-Explosion, eine irrsinnige Wirkung.

Nate Simpsons interessante Near Future mit ihrer gigantischen virtuellen Fantasy-Realität und ihren hoch entwickelten Schnittstellen, Robotern und künstlichen Intelligenzen ist definitiv vielversprechend, jedoch auch ein riesiges Versprechen. Das muss der Amerikaner jetzt allerdings einlösen, ohne der George R. R. Martin der SF-Comic-Szene zu werden. Auf dieser Seite des großen Teichs sind Leser frankobelgischer Alben-Serien größere Abstände zwischen den einzelnen Bänden zwar gewohnt, doch man muss es ja nicht übertreiben.

Damit geht jetzt erst mal das Warten auf die nächsten beiden US-Hefte los, die dann ein theoretisches zweites deutsches Album füllen würden.

Hoffentlich nicht erst in acht Jahren.

Eine Leseprobe findet sich hier und hier.

Nate Simpson: Nonplayer 1 • Splitter, Bielefeld 2015 • 64 Seiten • € 15,80

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