1. Dezember 2016

Achtung! Total wichtiger Film im Anmarsch!

„Polder - Tokyo Heidi“ - Versalzenes Kunsthochschulkantinengulasch

Lesezeit: 3 min.

Okay, erstmal keck die Inhaltsangabe kopiert:

„Neuroo-X“ steht für Games, die die Grenze zwischen Wirklichkeit und Realität aufheben. Ein neues Gadget, das sagenumwobene „Rote Buch“, bietet das ultimative Spielerlebnis. Die geheimsten Sehnsüchte der Gamer werden von der Engine gescannt und in phantastische Adventures verwandelt. Marcus, der Chief Development Manager von „Neuroo-X“ stirbt kurz vor der Fertigstellung des „Roten Buchs“. Seine Geliebte Ryuko findet heraus, dass bei der Testreihe des Spiels in China Furchtbares geschehen ist und je tiefer sie in das Geheimnis von „Neuroo-X“ abtaucht, umso mehr verliert auch sie den Bezug zur Realität. Sie vernachlässigt ihren Sohn Walter, der sich in das Game einloggt und in der digitalen Parallelwelt verschwindet. Ryuko findet sich wieder in einer Welt voller Dämonen, Hexen, Rittern und Terroristen.

Klingt schon gut, oder? „Welt am Draht“ (1973) und „Matrix“ (1999) kommen einem in den Sinn und hey, deutschsprachige Sci-Fi-Filme (wobei es sich hier streng genommen um eine deutsch-schweizerische Co-Produktion handelt, aber wollen wir mal nicht kleinlich sein) gibt’s ja eh nicht so häufig. Leider steht in der Vita der beiden Regisseure „Kunsthochschule“ und das merkt man dann auch recht schnell, denn „Polder - Tokyo Heidi“ pisst einen dermaßen dicken Strahl, dass man dabei unweigerlich das Gefühl bekommt, die Macher haben vergessen, dass sich das Ganze nach Fertigstellung auch jemand anschauen soll. Es ist absolut nicht so, dass Grüntal und Schwarz ihr Handwerk nicht verstehen, der Film sieht super aus, ist an vielen Stellen sehr schön ausgeleuchtet, rasiermesserscharf geschnitten und die musikalische Ebene bringt die Ohren immerhin nicht zum bluten. Das Problem allerdings: Die beiden entschieden sich dafür einen halbwegs stringenten Plot mit zunehmender Laufzeit einer reinen Assoziationskette zu opfern, die im Grunde lediglich zeigt, dass man seinen Cronenberg bestens kennt, dass einem das japanische Kino nicht fremd ist, dass man ebenso auf „Star Wars“ steht und eine Cosplay-/Manga-Convention wurde auch schon mal besucht. Trotzdem macht man sich aber mit der aufgeplusterten Hose eines Philosophie-Stundenten im Grundkurs ans Werk: Da geht’s um „den Menschen“, da wird gefragt, „was noch Traum und was Realität ist?“, da gibt’s den „Traum im Traum im Traum“ oder den „Film im Film im Film“ und sowieso: Was bedeutet eigentlich das rote Buch?

Nichts gegen sperrige Film, aber „Polder: Tokyo Heidi“ überschätzt sich einfach maßlos. Er bringt nicht die alles erschlagende audiovisuelle Urgewalt eines „Beyond The Black Rainbow“ (2010) mit um etwaige inhaltliche Probleme vergessen zu machen, er geht nicht so smart mit seinen begrenzten Mitteln wie „We Are The Flesh“ (2016) um, was besonders in der zweiten Hälfte, in der Welt voller Dämonen, Hexen, Rittern und Terroristen“ schmerzhaft deutlich wird, denn da ist Kleinkunstbühne der allergemeinsten Art angesagt, er tischt aber auch nicht die Verspieltheit asiatischer Filme, wie zum Beispiel „I’am a Cyborg, but that’s OK“ (2006) auf.

Sicher, mit gutem Willen könnte man anführen, dass Filme wie „Polder - Tokyo Heidi“ der richtige Weg sind, dass das überraschenderweise unter anderem vom SWR und der Filmförderung Baden-Württemberg finanzierte Werk immerhin mal ein Aufbäumen gegen die hyperbrutale Schweiger-/Schweighöfer-Diktatur ist, doch leider lässt auch diese Art von Wohlwollen eine ganz bestimmte Frage noch nicht mal im Ansatz verstummen: Wer soll das bitte gucken?

„Polder – Tokyo Heidi“ läuft ab dem 1. Dezember 2016 im Kino.

Abb. © 2016 - Camino Filmverleih

Polder – Tokyo Heidi • (Schweiz/Deutschland 2015) • Regie: Julian M. Grüntal & Samuel Schwarz • Darsteller: Christoph Bach, Nina Fog, Nikolai Bosshardt, Philippe Graber, Samuel Schwarz

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