8. September 2017 3 Likes

Achtung, wichtig!

Dystopie für Dummies: „The Circle“

Lesezeit: 4 min.

Dave Eggers‘ Roman Der Circle erschien 2014 und entwarf die zeitdiagnostisch punktgenaue Dystopie einer vernetzten Welt im Würgegriff des titelgebenden Technologie-Monopolisten. Angesichts des Überschalltempos, mit dem sich gesellschaftliche Entwicklungen mittlerweile vollziehen, wirkt der Roman drei Jahre später zwar immer noch relevant, aber auch bereits ein wenig veraltet. Viele der dargestellten Schreckensszenarien in Bezug auf Social-Media-bedingten Verlust der Privatsphäre sind dank Periscope & Co. mittlerweile längst Realität geworden, die totale Durchleuchtung und Katalogisierung der Menschheit anhand von Online-Profilen längst gang und gäbe. Dennoch ist Der Circle ein immer noch extrem lesenswerter Thriller, was nicht zuletzt an Eggers’ ausscheifendem Ideenreichtum und schriftstellerischer Kompetenz liegt.

Qualitäten, die der Verfilmung des Romans leider völlig abgehen. Um es vorwegzunehmen: The Circle, der Film, ist ein leider ziemlich dummes, aufgeblasenes, selbstverliebtes und stellenweise (unbeabsichtigt) lachhaftes Stück Pseudo-Satire, an dessen Drehbuch erstaunlicherweise Eggers selbst beteiligt war. Gemeinsam mit James Ponsoldt – amerikanischer Indie-Liebling, der zuletzt mit dem David Foster Wallace-Roadmovie The End of the Tour ein wirklich großartiges Charakter-Drama ablieferte – drückte er das Intelligenzlevel seines eigenen Romans auf Grundschulniveau und ist mitverantwortlich für eine der größten Kinoenttäuschungen des Jahres.

Im Mittelpunkt seiner Geschichte steht die junge Mae Holland, die bei dem kalifornischen Techno-Giganten The Circle – eine Art Konglomerat der größten Online-Unternehmen unserer Zeit, Facebook, Google usw. unter einem Dach – ihren heiß ersehnten Traumjob ergattert. Geblendet von der schönen neuen Oberflächenwelt dieses scheinbar durch und durch altruistischen Großkonzerns, der sich sogar um die medizinische Versorgung ihres MS-kranken Vaters kümmert, wird sie schnell zum vollwertigen Mitglied dieses sektenhaften Schwarms junger, bis zur Hirnlosigkeit vernetzter Arbeitnehmer. Schnell steigt sie innerhalb der Unternehmenshierarchie auf und wird schließlich zum Star einer Kampagne für „totale Transparenz“, als sie sich bereit erklärt, 24 Stunden am Tag eine Kamera zu tragen und ihr Leben mit Millionen Followern auf der ganzen Welt zu teilen. Doch als ihre zunehmende Hörigkeit gegenüber dem Circle zu einem tragischen Unglück führt, besinnt sie sich eines Besseren und stellt sich schließlich gegen den jovialen, aber sinistren Firmengründer Eamon Bailey.

Klingt banal? Ist es auch. Denn nicht nur als Verfilmung eines hochbrisanten drei Jahre alten Romans wirkt Ponsoldts Film erschreckend angestaubt, sondern auch als der lauwarme Aufguss uralter Kino-Topoi, der er leider ist. Unerklärlicherweise standen hier offenbar 90er-Jahre-Stoffe wie Die Fima, Edtv, Die Truman Show und sogar Sandra Bullocks Web-Thriller Das Netz Pate für einen ganz müden Rohrkrepierer, der gerne total relevant, klug und visionär wäre, aber in seiner plumpen Durchschaubarkeit für zahlreiche Momente der Peinlichkeit sorgt. Was nicht zuletzt am unentschiedenen und völlig inkonsequenten Tonfall liegt: als beißende Mediensatire zu harmlos, als empathisches Drama zu oberflächlich, als packender Thriller zu öde, als Komödie zu unbeholfen, als Science-Fiction zu blöd. Und immer mit dem unangenehmen, ganz offen zur Schau gestellten Anspruch versehen, etwas wirklich Profundes über die krasse Welt auszusagen, in der wir leben. Das schafften stellenweise brillante, kluge Serien wie Black Mirror und Mr. Robot oder wirklich durchdachte SF wie Spike Jonzes Her zuletzt besser und treffender. Wer die Dynamik unseres völlig vernetzten Alltags und die erschreckenden Implikationen der digitalen Transparenz verdeutlichen möchte, sollte sich vielleicht nicht auf Darstellungsmittel des letzten Jahrtausends verlassen – seien sie auch noch so hübsch aufgetwittert. Dadurch wird aus Western von gestern noch lange kein heißer Scheiß von morgen.

Es hilft nicht, dass die Darsteller offenbar auch nicht so recht wussten, was sie mit dem schnarchigen Stoff anfangen sollten. Emma Watson schlafwandelt mit ihrer Performance durch eine völlig undefinierbare Rolle – abwechselnd naive Unschuld vom Lande, brillante digitale Visionärin mit malevolentem Augenblitzen, empfindsames Emo-Mäuschen und idealistische Streiterin für das Gute. Ausgerechnet hier fehlt die 90er-Jahre-Stringenz beim Ausformulieren von Protagonisten und Identifikationsfiguren. Wer ist Mae Holland? Keine Ahnung, ist auch egal. Tom Hanks gibt in seiner zweiten Eggers-Verfilmung (nach Tom Tykwers um Lichtjahre besserem Ein Hologramm für den König) den Steve Jobs und schafft es permanent teetrinkend beinahe, etwas von der Faszination des legendären Firmengründers zu vermitteln. Leider beschränken sich seine Auftritte fast auschließlich auf bemüht spaßige Pep-Talks und Sorkin-mäßige Walking-and-Talking-Szenen in den Heiligen Hallen des Circle. Das kann funktionieren, wird hier aber aufgrund der blassen Durchschaubarkeit des Stoffes schnell sehr, sehr ermüdend. Wer sowas mag, sollte sich vielleicht doch noch mal The Social Network oder Danny Boyles exzellenten Steve Jobs ansehen. So geht’s nämlich auch.

Der Film ändert schließlich das Ende des Romans; eine Deus-ex-Machina-Wendung der übelsten Sorte sorgt für ein völlig unverdientes Happy End, eine weitere verpasste Chance in einem Film, dem es daran wahrlich nicht mangelt. The Circle ist ein wirklich trauriges Stück Fiktion, ein Paradebeispiel für überanstrengte Behauptung von Relevanz und brennender Aktualität. Dass der Film auf keiner Ebene narrativ funktioniert, niemals einen eigenen Flow entwickelt und ganz einfach als Kino auf ganzer Linie versagt, ist dabei noch viel bedauernswerter. Leider ein Totalabsturz.

The Circle ist seit dem 7. September bei uns im Kino zu sehen.

The Circle • USA 2017 • Regie: James Ponsoldt • Darsteller: Emma Watson, Tom Hanks, Karen Gillan, John Boyega, Poorna Jagannatahn, Patton Oswalt

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