25. Mai 2016 1 Likes

In den Ruinen von Fukushima

Sion Sonos wunderbar minimalistischer „The Whispering Star“

Lesezeit: 2 min.

Es müssen nicht immer teure Effekte sein, mit denen dystopische Welten geschaffen werden. Ob es der verbrannte korsische Wald in „Hell“, die verfallenen, verkommenen Apartmentblocks in „Chappie“ oder „Dredd“ waren: Gerade dass es reale Orte waren, die als Schauplatz fiktiver Geschichten dienten, ließ die Dystopien um so realer – und erschreckender erscheinen. Nach ähnlichem Muster verfährt auch der japanische Regisseur Sion Sono in seinem Film „The Whispering Star“, der in und um Fukushima gedreht wurde.

Die verlassenen Ortschaften in der Nähe des Reaktors, menschenleere Städte, in denen kaum noch Leben zu finden ist, einsame Straßen und Strände dienten jedoch nicht nur als quasi von der Natur. bzw. durch die Hybris der Menschen geschaffenes Set, ohne dass der Film aus finanziellen Gründen gar nicht hätte entstehen können. Das Symbol, das Fukushima seit der Katastrophe von 2011 geworden ist, durchzieht den Film und verleiht ihm zusätzliche Relevanz.

Für den Vielfilmer Sion Sono ist „The Whispering Star“ ein ungewöhnliches Projekt: Bekannt ist Sono als Regieberserker, der exzessive Filme voller Gewalt, Yakuza, Popmusik und sexueller Abgründe dreht, in denen eher zu viele Ideen stecken, als zu wenig. Dass er auch anders kann zeigt er hier. Fast meditativ ist sein Ansatz, in schwarzweiß gedreht, mit nur einer Hauptfigur,  einer Androidin namens Yoko Suzuki (Megumi Kagurazaka). Die fliegt auf einem Raumschiff – das im Inneren einer typischen japanischen Wohnung ähnelt – durch das All und liefert den wenigen verbliebenen Menschen in fernen Galaxien Pakete. Unzählige Katastrophen haben die Erde unbewohnbar gemacht, die Menschheit bis an den Rand der Auslöschung gebracht, so dass die meisten Arbeiten von Androiden wie Yoko vollführt werden.

Warum sie aber Pakete auf jahrelanger Mission durchs All fliegt, obwohl es längst Teleportoren gibt, beginnt sich Yoko bald zu fragen. Bisweilen spricht sie ihre Gedanken auf Band, sinniert über das Wesen der Menschen, die sie immer wieder auch persönlich trifft. Eben diese Landgänge, das Ausliefern der Pakete, wurde in Fukushima gedreht, mit Menschen aus der Region, die zum Teil immer noch in den eigentlich verlassenen, gesperrten Ortschaften leben. So überdeutlich diese Metaphorik wirkt, so gut funktioniert sie auf der Leinwand, zumal es Sono ganz entgegen seiner Art bei subtilen Andeutungen belässt.

Im Kern erzählt er vom Wesen der Menschen, wie es Filme mit künstlichen Wesen zu tun pflegen. Um Erinnerungen geht es, das Vergnügen an Photos, Musik, echtem menschlichen Kontakt, all den Dingen also, die zwar nicht unmittelbar überlebensnotwendig sind, aber die Menschen erst zum Menschen machen. Ging es in Sion Sonos Filmen sonst oft eher um Gewalt, oft in der vom japanischen Genrekino so geliebten Form des exaltierten Exzess, zieht sich durch den nachdenklichen, meditativen „The Whispering Star“ die Bedrohung einer anderen Zerstörung, einer menschgemachten, schleichenden und dadurch viel gefährlicheren.

„The Whispering Star“ startet am 26. Mai im Kino.

Abb. © Rapid Eye Movies

The Whispering Star • Japan 2015 • Regie: Sion Sono • Darsteller: Megumi Kagurazaka, Kenji Endo, Yuto Ikeda, Kouko Mori

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