20. Februar 2013

In der Waldarena

„Die Tribute von Panem“ im Kino

Lesezeit: 4 min.

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die schwülen Keuschheits-Fantasien einer mormonischen Jungautorin zu Beginn des 21. Jahrhunderts für Trends im amerikanischen Mainstream-Kino sorgen würden? Stephenie Meyer hat mit ihren Twilight-Romanen nicht nur die Vorlage für die wohl sterilste Vampirfilm-Reihe aller Zeiten geliefert, sondern auch gleich zwei Trends, wenn schon nicht angestoßen, so doch in entscheidendem Maße beschleunigt: produktionstechnisch die von Anfang an als Serie angelegte Verfilmung ganzer, vor allem bei Teenagern erfolgreicher Buchbestseller-Reihen sowie inhaltlich die Prävalenz des pubertierenden Liebesdreiecks. Spätestens seit Edward und Jacob um die schöne Bella rangen, kommt keiner dieser Stoffe mehr ohne emotionale Irrungen und Wirrungen jugendlicher Protagonisten aus. So auch zu lesen in Suzanne Collins’ »Die Tribute von Panem«-Reihe und nun zu sehen in der unvermeidlichen Kinoversion.

Das Amerika einer dystopischen Zukunft ist nach einem neuen Bürgerkrieg, den die Zentralregierung erbarmungslos niederschlug, in zwölf Distrikte aufgeteilt, aus denen einmal jährlich jeweils zwei Teenager in die Hauptstadt entsandt werden, um in einer tödlichen Mischung aus Gladiatorenkampf und Survival-TV-Show, den »Hunger Games«, so lange gegeneinander zu kämpfen, bis nur noch einer übrig bleibt. Die junge, störrische Katniss lebt mit ihrer Familie im schmuddeligsten aller Distrikte, dem Kohleförderbezirk 12. Als bei der öffentlichen Auslosung der »Hunger Games«-Teilnehmer der Name ihrer kleinen Schwester gezogen wird, meldet sie sich an deren Stelle freiwillig. Gemeinsam mit Katniss wird der eher introvertierte Peeta ins Zentrum des Geschehens entsandt – ein Umstand, der Katniss’ Freund Gale gar nicht schmeckt.

Ein Liebesdreieck wie aus dem Lehrbuch, das aber in diesem speziellen Fall nicht annähernd so unangenehm aufdringlich als Identifikationsangebot und billiger Spannungsgenerator eingesetzt wird wie noch in den unfassbar blutleeren Twilight-Kammerspielen. Was zum einen daran liegt, dass es sich bei der Heldin in Hunger Games um keine rehäugige Frau ohne Eigenschaften wie Bella Swan handelt, sondern um eine selbstständige junge Dame, die mehr zu bieten hat als die Tatsache, dass sich attraktive Jungmänner um sie reißen. Zum anderen spielen die Eifersüchteleien zwischen den beiden männlichen Helden hier eine erstaunlich kleine Rolle und sind recht passend in den Plot integriert – ein Gleichgewicht, das im weiteren Verlauf der Reihe jedoch deutlich in Richtung Herzschmerz kippen dürfte. Vorerst jedoch geht es in diesem ersten Teil der Kinoserie um Katniss’ Reise im Rahmen einer linearen Erzählung, die den Zuschauer von ihrem Leben als jagdbegabtes Mädchen in den Wäldern ihres Distriktes über die Ankunft in der Hauptstadt und die Vorbereitung auf die Spiele bis hin zum Spektakel der Kämpfe und ihrem unvermeidlichen Sieg führt.

Diese Erzählung nimmt sich Zeit für ihre einzelnen Akte – Regisseur Gary Ross hat es nicht eilig mit der Darstellung der Beschaffenheit der fiktiven Welt, und das ist gut so. Er schafft Raum für zahlreiche unterhaltsame Momente der Charakterzeichnung, die dank der mehr als soliden Leistungen von Woody Harrelson, Elizabeth Banks und vor allem Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence wirklich Spaß machen. Da verzeiht man ihm gerne die Tatsache, dass dieses dystopische Amerika trotz des hohen Budgets ziemlich billig aussieht, Ausstattung und Kostüme mitunter an BBC-SF-Serien der Achtzigerjahre und die frühen Episoden von Next Generation erinnern – ein Eindruck, der auch durch die seltsame Entscheidung verstärkt wird, mit vorherrschenden Close-ups eine Fernseh-Ästhetik zu etablieren, die wahrscheinlich das behandelte Thema des Reality-TV-Wahns stilistisch reflektieren soll, aber unterm Strich doch in einem seltsamen Missverhältnis zum intendierten Kinospektakel steht. Egal, das bei aller Breite erfrischend straffe Drehbuch sorgt jedenfalls dafür, dass man hier in jeder Minute nah dranbleibt an den Figuren, denen man wirklich gerne zuschaut. Vor allem der zweite Akt des Films, die Ankunft im Kapitol und die Vorbereitung auf die »Hunger Games«, entfaltet eine Menge antizipatorischer Kraft mit durchaus auch humorvollen Momenten.

Wenn es dann in die todbringende Waldarena geht, sind die Fronten etabliert, Identifikationspotenziale klar definiert und die Spannung steigt – die Spiele können beginnen. Leider fällt das Ganze in diesem dritten Akt etwas ab; zwar bieten auch hier das Schmieden neuer Allianzen sowie die zahlreichen potenziell tödlichen Wendungen immer wieder Anlass für kraftvolle Momente, reduzieren Die Tribute von Panem jedoch auf eher klassisches Survival-Kino mit jeder Menge verwackelter Handkamera und atemlosem Rumrennen. Im Rahmen ihres Überlebenskampfes kommen sich nun auch Katniss und Peeta näher – eine beginnende Romanze, die der zu Hause gebliebene Gale besorgt am TV-Schirm beobachtet. Man muss Regisseur Gary Ross dankbar sein, dass er hier nicht allzu lange verweilt, sondern schnell weitermacht – etwas zu schnell vielleicht, denn nachdem wider Erwarten durch eine Mischung aus Regeländerungen und Ungehorsam Katniss und Peeta gemeinsam als Sieger aus den Spielen hervorgehen, ist auch ganz schnell Ende. Klar, die Fortsetzung wird hier weitermachen, aber als Abschluss eines für sich stehenden Films ist das doch etwas dürftig und dramatisch extrem antiklimaktisch.

Die Tribute von Panem hätte wahrhaftig schlechter sein können – angesichts der literarischen Vorlage war hier durchaus Quatsch der Twilight-Preisklasse zu erwarten. Gnädigerweise legte man den Fokus dann doch auf andere Aspekte, verpflichtete wirkliche Schauspieler und konzentrierte sich auf eine kohärente Geschichte, die nicht ausschließlich auf feuchtes Schmachten und keusche Blicke setzt. Wer hätte gedacht, dass man im Rahmen einer solchen Reihe wirklich mal Lust auf Teil 2 haben würde?

Die Tribute von Panem • USA 2012 · Regie: Gary Ross · Darsteller: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Stanley Tucci, Woody Harrelson, Elizabeth Banks, Wes Bentley, Donald Sutherland, Lenny Kravitz

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