13. April 2016 2 Likes

Geschmacklos – aber gut

Ilya Naishullers First Person Shooter-Movie „Hardcore“ ist ein einziger Exzess

Lesezeit: 3 min.

„Tonight I’m gonna have myself a real good time/ I feel alive and the world it’s turning inside out - yeah!“ - Wenn die ersten Takte der Queen-Hymne „Don’t stop me now“ aus den Boxen dröhnen und Henry sich bereit macht, einer weiteren Horde von Gegnern den blutigen Garaus zu machen, dann ist man entweder schon vollkommen angeekelt (und hat vermutlich das Kino verlassen) oder freut sich mit einem Grinsen im Gesicht auf das bevorstehende Gemetzel. Zu diesem Zeitpunkt, nach gut 70 Minuten von Ilya Naishullers ebenso atemberaubenden wie geschmacklosen, exzessiven wie gewaltverherrlichendem Experiment „Hardcore“ hat man schon alles gesehen: Allein in der Credit-Sequenz konnte man bewundern, wie nacheinander Messer, Äxte und Kugeln in Superzeitlupe in Köpfe eindrangen, sah danach einen Exzess an Gewalt, Sexismus, Originalität, schierem visuellen, nihilistischem Vergnügen.

Seit der erste Trailer die Runde im Netz machte stieg die Spannung, aber auch die Skepsis: Würde es Ilya Naishuller tatsächlich gelingen, einen Film zu drehen, der komplett aus der Ich-Perspektive gefilmt ist und dabei doch nicht nur ein Gimmick ist? Dass der russische Regisseur bislang vor allem Videoclips drehte, die wegen ihres POV-Konzepts als auch ihrer Gewalt bekannt wurden – etwa das subtil betitelte „Bad Motherfucker“ –, macht da eher noch skeptischer.

Wie jeder visuell originelle Regisseur erregte auch Naishuller das Interesse der Filmindustrie, zumal er es mit seinem Markenzeichen schaffen könnte, zwei Dinge zusammenzubringen, die eigentlich offensichtliche Parallelen haben, aber bislang eher selten zusammenfanden: Filme und Computerspiele. Oft wurde schon versucht, ein Spiel zu verfilmen, die Ergebnisse reichen von „Super Mario Bros.“ bis zum Oeuvre von Uwe Boll, waren also eher weniger gelungen. Umgekehrt nähern sich Games mit immer elaborierteren, filmischen Anfangs- und Zwischensequenzen zunehmend dem Kino an und sind in ihrer visuellen Qualität auf einem Level, der dem vieler Filme kaum nachsteht. Und dann ist da jenes Genre, das ebenso beliebt wie umstritten ist: die First Person Shooters, kurz FPS.

Dank ihrer auf reine Gewalt reduzierten „Handlung“ gern auf den Index gesetzt, macht sie genau diese Reduktion auf einfachste Muster für das Genrekino so interessant. Gerade der Horror-Thriller hat immer wieder POV-Shots eingesetzt, die den Zuschauer mit den Augen eines Killers blicken ließen, allen voran die „Halloween“-Reihe. Doch längere POV-Sequenzen sind rar. Mal werden sie verwendet, um den Blick von Cyberwesen wie Robocop oder dem Terminator zu visualisieren; auch die beste Szene der verunglückten „Doom“-Verfilmung war wenig überraschend eine POV-Sequenz, die andeutete, was machbar war.

Es brauchte wohl vor allem den Mut eines Außenseiters wie Ilya Naishuller, um die Idee eines POV-Films umzusetzen; um einen Film zu drehen, der von einer rudimentären Geschichte zusammengehalten wird, im Kern aber ein visuelles Experiment ist, ja geradezu ein Experimentalfilm. Eine Art Cyberwesen ist Henry, der Held, mit dessen Augen der Zuschauer die Geschehnisse verfolgt; wiederbelebt und genetisch mutiert, eine Version des Universal Soldiers. Im Stile einer Schnitzeljagd bewegt sich der stumme Henry durch Moskau und Umgebung, trifft immer wieder auf Jimmy (Sharlto Copley), der ihm in unterschiedlichen Masken begegnet, am Leben und auf Kurs hält. Erstaunlichen Humor entfaltet „Hardcore“ in diesen Momenten oft, gerade wenn Copley seine Show abzieht, singt und tanzt oder wie ein typischer britischer Oberst klingt.

Diese Momente relativer Ruhe tun dem Film gut, bilden Verschnaufpausen zwischen den Actionszenen, die natürlich im Mittelpunkt stehen. Teils von Parkour-Spezialisten gefilmt, mit Helmkameras und Weitwinkelobjektiven, immer in typischer FPS-Manier, mit unterschiedlichen Waffen, die ins Bild ragen – und dementsprechend blutig. Moralisch sollte man „Hardcore“ nicht bewerten, der Exzess kennt keine Grenzen, zur Gewalt hinzu kommt der in Gamer-Kreisen zuletzt viel diskutierte Sexismus, der auch hier sämtliche Frauen zu leichtbekleideten, vollbusigen Bimbos reduziert.

Ja, „Hardcore“ ist pubertär und nihilistisch, aber auch ein großes Vergnügen, ein 90minütiger Rausch, der sein extremes visuelles Konzept technisch brillant umsetzt, es vor allem aber auch in eine zwar rudimentäre, aber ausreichende Geschichte einbettet. Angesichts des offensichtlichen Kultstatus, den „Hardcore“ unweigerlich erlangen wird, dürften sich bald viele Nachahmer an ähnlichen Filmen versuchen. Auf Dauer dürfte das POV-Konzept zwar zu wenig Variationsmöglichkeiten hergeben, um einen größeren Trend auszulösen, zumal Ilya Naishuller die Messlatte an visueller Originalität und nicht zuletzt an Exzess mit seinem bemerkenswerten Debütfilm sehr, sehr hoch gelegt hat.

Hardcore startet am 14. April in den Kinos.

Abb © Capelight Pictures

Hardcore • Russland/ USA 2015 • Regie: Ilya Naishuller, Darsteller: Sharlto Copley, Haley Bennett, Tim Roth

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