15. Januar 2018 3 Likes

Hoffnungsvoll in eine dunkle Zukunft

„Black Mirrors“ - Die vierte Staffel im Blickpunkt

Lesezeit: 6 min.

Dass wir bei diezukunft.de für technologischen Fortschritt einstehen, sollte jedem ersichtlich sein. Dass wir bei den rasanten Entwicklungen jedoch schnell den Überblick verlieren können, passiert wohl jedem von uns. Um unsere Moral in einer technisierten Welt zu sichern, muss uns hin und wieder vielleicht etwas Einhalt geboten werden mit einem Blick in einen düsteren Spiegel. Und genau hier setzt die britische Erfolgsserie „Black Mirror“ das I-Tüpfelchen und offenbart uns makabere, aber äußerst spitzfindige Versionen von technisch versierten, dystopischen Zukünften, die nicht so weit entfernt scheinen.

Längst aus dem Nischenbereich eines Geheimtipps entstiegen, richtet „Black Mirror“ den Blick auf ein technisches Konzept, oder soziale Strukturentwicklungen, die sich aus unseren heutigen Gepflogenheiten entwickeln könnten. Sei es Cyberterrorismus, der Wahn um Social Media und soziale Netzwerke oder gar Alterssterblichkeit. Jede Folge funktioniert eigenständig und unabhängig voneinander und beleuchtet einen Aspekt unserer Gesellschaft auf dramaturgisch überspitzte Weise. Nach drei Staffeln, einem Special und insgesamt 13 Episoden ist nun auch die gesamte vierte Staffel erschienen (in Deutschland beim Streaming-Dienst Netflix in einem Happen zu verschlingen) und bietet sechs weitere Stunden die Möglichkeit per Fernrohr in eine noch abwendbare, dunkle Zukunft zu blicken. Aber wie schlägt sie sich?

Nach einer durchwachsenen dritten Staffel, die viel zu häufig auf Plottwists beharrte, richtet sich die vierte Staffel wieder an alten Werten der ersten zwei Staffeln aus, prescht mutig in ungeahnte Weiten voran – und hinterlässt sogar ein unerwartetes Fünkchen Hoffnung.


„USS Callister“

Die erste Episode, „USS Callister“, wirkt zunächst absichtlich wie eine blanke „Star Trek“-Homage. Aber „Black Mirror“ wäre nicht „Black Mirror“, wenn nicht nach kurzer Zeit der Teppich unter den Füßen entrissen wird und wir in die wahren Hintergründe blicken: Die virtuelle Realität des Videogames „Infinity“ und den einsamen und übergangenen Chefentwickler Robert Daly. Während Daly ein Leben auf dem Abstellgleis führt, tyrannisiert er seine KI-Mitarbeiter in der virtuellen Welt und ergreift sich so die ihm fehlende Autorität. Mit der Folge „USS Callister“ bringt „Black Mirror“ ein Novum in die sonst so düstere Atmosphäre, welche die drei vorhergegangenen Staffeln durchdrang: Humor und gar ein Funken Hoffnung. Neben Wortwitz und hervorstechenden Figuren prahlt die erste Episode aber allem voran mit ihren Spezialeffekten. Wenn Bordpersonal auf Planetenoberflächen gebeamt wird oder sich die „USS Callister“ durch tiefen Weltraum bewegt: Für eine britische TV-Serie sehen die Effekte phänomenal aus. Wenn es um einen umwerfenden Ersteindruck geht, trifft Serien-Erfinder Charlie Brooker mit „USS Callister“ voll ins Schwarze.

„Arkangel“, die zweite Episode, besinnt sich am meisten alter Stärken der ersten Staffeln, indem ein bereits heute diskutiertes Thema als Grundlage genommen und dramaturgisch auf die Spitze getrieben wird. Die junge Sara wird auf Geheiß ihrer Mutter mit einem Chip ausgestattet, der nicht nur sämtliche Vitalwerte Saras überwacht, sondern sie jederzeit aufspüren kann und sogar ihr direktes Sichtfeld auf einer Steuereinheit projiziert und dieses beeinflusst mit einem „Filter“ gegen Gewalt und „verstörende“ Eindrücke. Jodie Foster führte bei der Episode Regie und ist die erste weibliche Regisseurin bei „Black Mirror“. In ihrer strukturiert-aufgebrochenen Erzählweise, die diverse Lebensabschnitte Saras zeigt, ist die Folge zwar erfolgreich, fühlt sich aber hier und da eher wie eine Coming-Of-Age-Story an. Die Reaktionen Saras und ihrer Mutter sind zunächst verständlich und nachvollziehbar, werden aber mit voranschreitender Zeit immer absurder und wirken wie ein reines Mittel zum Zweck um den Plot voranzutreiben.


„Krokodil“

In der dritten Episode, „Krokodil“, wird die erfolgreiche Architektin Mia von einem folgenschweren Fehler ihrer Vergangenheit heimgesucht, während Versicherungsagentin Shazia mit Hilfe eines „Recallers“, einer Maschine, die Erinnerungen per Monitor einsehbar macht, einen Unfall klären will. Auf dem Regiestuhl befindete sich John Hillcoat (The Road) und führt gekonnt die beiden unwissenden Kontrahentinnen Mia und Shazia schleichend zueinander. Das Aufeinandertreffen ist unausweichlich, aber dennoch ist das „wie“ und „warum“ letztlich der spannendste Aspekt der Folge, während man eine fantastische Andrea Riseborough (Oblivion) als Mia langsam in den Abgrund driften sieht. Besonders Mias besagter verzweifelter Abstieg wird durch das Ende hervorragend auf den Punkt gebracht. Da tut selbst das voraussehbare Skript der Spannung keinen Abbruch.


„Metallkopf“

Das Herzstück der Staffel erwartet den Zuschauer jedoch im äußerst charmanten „Hang the DJ“, der vierten Folge. Eine neue Dating-App, samt hilfsbereitem Gizmo, verspricht dem User den perfekten Partner zu finden. Dazu müssen jedoch angeordnete Beziehungen geführt werden, die von einem wenige Stunden andauernden Flirt bis hin zur jahrelangen quälenden Partnerschaft gehen können. Die User erfahren die angeordnete Dauer erst, wenn sie auf den Datingpartner treffen und müssen dem System Folge leisten, um irgendwann den „perfekten Partner“ zugeteilt zu bekommen. Siri, Amazons Echo und Tinder kommen sofort in den Sinn und „Hang the DJ“ wirft intelligente Fragen auf und liefert zudem zufriedenstellende Antworten. Aber die Show stehlen im wahrsten Sinne die beiden App-User Amy und Frank, die über die Jahre immer wieder zueinander finden und sich nicht loslösen können. Die brodelnde Chemie zwischen den Figuren und Schauspielern ist unverkennbar und löst sich von den oft tristen, verzweifelten und brütenden Charakteren der Serie komplett los. Der vordergründige Humor Franks und Amys kecke, liebreizende Art geben der Episode einen unerwarteten Aufwind, den man so nicht von „Black Mirror“ gewohnt ist und als Zuschauer sehnt man sich nach dem nächsten Aufeinandertreffen der beiden und der logischen aber cleveren Auflösung der Story.

Mit Episode 5, „Metallkopf“, zeigt „Black Mirror“ wohl am deutlichsten seine Wurzeln der klassischen Anthologie-Serie der 60er - „Twilight Zone“ von Rod Serling. An Rod Serlings Klassiker erinnert jedoch nicht nur die hervorstechende Schwarz-Weiß-Optik der Folge. Auch die Handlung wird auf ihr wesentlichstes reduziert und funktioniert fast gänzlich mit einer einzigen Protagonistin, die von einem hundeähnlichen Roboter gejagt und malträtiert wird. Stilistisch ist „Metallkopf“ wohl eine der auffälligsten Folgen „Black Mirrors“ und erinnert eher an einen Hitchcock-Thriller als an eine Sci-Fi-Story. Wäre da eben nicht besagter Roboter.


„Black Museum“

Auch mit der letzten Episode, „Black Museum“ wird Neuland beschritten, indem es die erste Folge der Serie ist, die offensichtliche Bezüge zu anderen Einstündern „Black Mirrors“ herstellt. Das titelgebende „Black Museum“ ist im Besitz von Kurator Rolo Haynes, der „authentische kriminologische Artefakte“ ausstellt und Besuch von einer jungen in der Wüste gestrandeten Frau bekommt. Die Episode ist in mehrere kleine, zunächst unabhängige Geschichten unterteilt, die Haynes der jungen Frau erzählt, welche selbst an und für sich Plots für eigenständige „Black Mirror“-Folgen hätten sein können. Rolo Haynes erinnert an eine enigmatische Version Rod Serlings in seiner Rolle als Kurator und man könnte sich die Figur als wiederkehrende Rolle in „Black Mirror“ gut vorstellen. „Black Museum“ klingt auf dem Papier zunächst etwas zusammenhangslos, entpuppt sich durch äußerst cleveres Writing und ein funktionierendes Ende als eine der besten Episoden der neuen Staffel.

Mit der vierten Staffel betritt „Black Mirror“ erneut neue Dimensionen und zeigt viel Mut, der sich in fast allen Fällen bezahlt macht. Ein Gefühl von Frische macht sich breit, wie es seit der ersten Staffel nicht mehr vorhanden war. Und auch die gewagteren Experimente wie „Metallkopf“ zeigen, dass die Regeln, die einst „Twilight Zone“ setzte, heute immer noch funktionieren: Nämlich mit wenigen Ressourcen etwas Fantastisches zu schaffen.

Die vierte Staffel von „Black Mirror“ ist seit dem 29. Dezember 2017 auf Netflix erhältlich.

Black Mirror: Season 4 • Großbritannien 2017 • Regie: u.a. Jodie Foster • Darsteller: Jesse Plemons, Cristin Milioti, Georgina Campbell, Joe Cole, u.v.m

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