9. Januar 2018 2 Likes

Merke: Tentakelmonster sind die besseren Liebhaber

„The Untamed“ – Familiendrama mit Sex-Alien

Lesezeit: 3 min.

„The Untamed“ ist einer dieser Filme, die mit ein paar dermaßen eindrücklichen Was-in-drei-Teufels-Namen-hab-ich-denn-da-bitte-gerade-gesehen-Momenten gewürzt sind, dass man sich, aus Angst ein Partysprenger zu sein, an eine Review fast nicht rantraut, deswegen ein kleiner Hinweis vorweg: Vielleicht erst anschauen, dann den Text lesen – soviel schon mal: Auch der neue Film von „Heli“-Regisseur Amat Escalante  kommt nicht ohne Delle aus, ist aber trotzdem hervorragend gemacht, packend und man wird sich garantiert drei Tage später noch fragen, was in drei Teufels Namen man da eigentlich gerade gesehen hat. Das ist durchaus eine ganze Menge wert.

Der kurze, knallige Anheizer (Frau! nackt! erregt! Andeutung eines Tentakels!) führt in die Irre, in den folgenden sechzig Minuten wird erstmal ein geerdetes, ruhiges Familiendrama aufgefächert, das zwar von subtilen Mystery-Elementen umwabert wird, sich allerdings erstmal weigert die Karten offen auf den Tisch zu legen.

Erzählt wird von der jungen Mutter Alejandra, eine berufstätige, sexuell unterversorgte Hausfrau, die mit dem lieblosen Proll-Ehemann Angel verheiratet ist. Ihr Bruder Fabian ist als Krankenpfleger im örtlichen Krankenhaus tätig und schwul. Letzteres ist im erzkonservativen Mexiko nicht ganz unproblematisch, richtig schwierig wird die Situation allerdings dadurch, dass Fabian ausgerechnet ein Verhältnis mit Angel hat, der seine Homosexualität mit einem betont aggressiven Macho-Auftreten zu übertünchen versucht. Eines Tages gerät Fabian im Krankenhaus an die mysteriöse Veronica, die behauptet von einem Hund gebissen worden zu sein, allerdings ist das nicht die ganze Wahrheit: In einer Hütte im nahe gelegenen Wald lauert ein Tentakelwesen aus dem All, das mittels Meteoriteneinschlag auf die Erde gekommen ist und seinen Opfern, die ihn von einem hippiesken Forscherpärchen zugeführt werden, die Erfüllung aller sexuellen Sehnsüchte verspricht, aber ebenso Gefahr für Leib und Leben bedeuten kann, denn auch außerirdische Sex-Aliens langweilen sich irgendwann mit ihren Geschlechtspartnern.

Wer nun an Andrzej Zulawskis „Possession“ (1983) denkt liegt nicht ganz falsch, allerdings fährt „The Untamed“ dennoch auf einer eigenen Autobahn, ist trotz deutlicher Ambitionen in diese Richtung weniger Kunstfilm als bizarrer Genremix, der es nicht so ganz schafft seine beiden disparaten Elemente komplett unter einen Hut zu bringen. Dass zum Beispiel das Monster für das Animalische im Menschen steht, liegt auf der Hand, ebenso, dass ein rigoroser Katholizismus die Menschen ins Verderben stürzt, aber Escalante strickt die angerissenen Themen nicht weiter, gewinnt keine neuen Erkenntnissen aus dem Gegebenen, weswegen sein Film auf halber Strecke zwischen ambitionierten Drama und Exploitation stehen bleibt.

Dass das leicht bröckelige Fundament aber trotzdem nicht zusammenkracht liegt an der tadellosen Umsetzung. Es ist kaum zu glauben, dass die vier tragenden Rollen von Newcomern gespielt werden, vor allem Jesús Meza lässt als Angel die Angst und Verzweiflung hinter seiner eigentlich unsympathischen Figur mehr und mehr hervorsickern und schafft es so seinen undankbaren Part mit einer gewissen Tragik zu unterfüttern. Eingekleidet ist das zwischen sprödem Realismus und lovecraftscher Morbidität hin- und her pendelnde Kuriosum in tollen Bildern von Manuel Alberto Claro („Melancholia“, „Nymphomaniac“), der in seinen besten Momenten genau die Motive findet, die man beim Genuss der literarischen Hinterlassenschaften des Cosmic-Horror-Gurus aus Providence schon immer im Kopf hatte.    

Auch wenn „The Untamed“ kurz vor der Ziellinie stehen bleibt, handelt es sich doch um einen ungemein faszinierende Film, der sich was traut. In einer besseren Welt sollten dafür deutschlandweit zum Bersten volle Kinosäle zur Belohnung winken, aber natürlich – es ist zum Heulen – gibt’s mal wieder nur extrem wenige Möglichkeiten sich im Lichtspieltheater so richtig durchbügeln zu lassen (alle Termine hier!)

„The Untamed“ startet am 11.01.2017 im Kino.

The Untamed (Mexiko/Dänemark/Frankreich/Deutschland/Norwegen/Schweiz 2016) • Regie: Amat Escalante • Darsteller: Ruth Ramos, Simone Bucio, JesúsMeza, Eden Villavicenio, Andrea Peláez, Oscar Escalante, Bernarda Trueba, Fernando Corona, Kenny Johnston

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