24. Juni 2015 3 Likes

Schwing!

Das Rumpeln der Natur: „Frequencies“ bietet zwingendes Kopfkino

Lesezeit: 5 min.

Man kann natürlich immer ganz viel meckern, aber es geht ja eben doch: Science Fiction im wahren Wortsinn als Wissenschaftsfiktion ist möglich. Was ambitionierte junge Filmemacher wie Shane Carruth, Nacho Vigalondo oder James Ward Byrkit zuletzt mit Low-Budget-Perlen wie Upstream Color, Timecrimes oder Coherence auf die Beine stellten, zeigt, dass es trotz gegenteiliger Annahmen einen Markt gibt für intelligente SF jenseits der großen Hollywood-Starvehikel. Diese Filme schrecken nicht vor großen Ideen zurück – auch auf die Gefahr hin, sich dabei ein wenig im High Concept zu verlieren. Insofern stehen sie in der Tradition der Klassiker von Clarke, Bradbury, Asimov & Co. Hier werden diegetische Welten geschaffen, die ihre eigenen immanenten Gesetzmäßigkeiten aufstellen und ihre dramatischen Effekte aus der spezifisch inhärenten Logik entwickeln. Eine Logik, die wissenschaftliche Spekulation, Charakterentwicklung und dramaturgische Innovation im gleichen Maße verwendet, um das Genre mit wirklich Neuem zu bereichern, statt die immergleichen Muster und Schablonen des klischeeorientierten Mainstreams zu bedienen. Das ist oft schwer zugänglich, aber immer unterhaltsam, spannend und sehenswert. Darren Paul Fishers Frequencies ist so ein Fall. Unter dem Mantel der Spekulativen Fiktion vereint dieses echte Kleinod Teen-Lovestory, Wissenschaftsthriller, Reflektion des englischen Klassensystems, Internatsdrama und Konsumsatire zu einem genuinen SF-Film, der viel wagt – und dabei eine Menge gewinnt.

Wir befinden uns im England einer parallelen Realität, in der Menschen mit verschiedenen Schwingungen ausgestattet sind. Tests bestimmen die persönliche Frequenz, die ermittelten Werte determinieren den weiteren Werdegang bereits im jungen Alter. Je höher die Frequenz, desto schwächer Empathie und emotionale Resonanz – je niedriger die Frequenz, desto geringer der Einklang mit der Natur. Hochfrequente Menschen gleichen exorbitant intelligenten Maschinen, die nahezu perfekt funktionieren, ihre niedrigfrequenten Pendants hingegen repräsentieren emotionale Träumer, die irgendwie immer und überall fehl am Platz sind. Dabei ist das fiktive Konzept der Frequenz kein rein kognitiver Koeffizient wie der IQ, sondern eine physikalische Größe, die auf einer Ebene steht mit den Naturgesetzen des Universums. Wenn hier zwei Menschen mit großer Schwingungsdifferenz aufeinandertreffen, stoßen sie sich ab wie zwei Magnete. Das Resultat ist eine Reaktion der physischen Umwelt – das Wetter ändert sich, Dinge fallen vom Himmel, Hunde bellen. In dieser Welt bleiben bestimmte Menschen unter sich, weil die Natur es so will.

So weit, so deterministisch. Doch bei aller Gesetzmäßigkeit dieses faszinierenden Paralleluniversums bleiben weitere Charakteristika des menschlichen Geistes intakt – und so ist es auch eine Mischung aus Forscherdrang und romantischer Liebe, die hier den Plot in Gang setzt. Die hochfrequente Marie beginnt bereits in der Schule mit einem Experiment zum Thema Abstoßung und Anziehung und sucht sich hierfür den negativ schwingenden Isaac als Versuchsobjekt aus. Über Jahre hinweg initiiert sie wiederholt Treffen mit dem etwas tölpelhaften Niedrigfrequenten und verändert ganz strikt wissenschaftlich Parameter und Variablen, um ihre Neugier zu befriedigen. Isaac dagegen verliebt sich schnell in das hübsche, distanzierte Mädchen, doch als Marie ihr Experiment abbricht, bleibt der scheue junge Mann enttäuscht zurück.

Zumindest will uns der Film das glauben machen, doch der Schein trügt. Denn nach diesem von zahlreichen Zeitsprüngen bestimmten Abriss der jugendlichen „Romanze“ springt die Erzählung wieder an den Anfang und beleuchtet das Gezeigte noch einmal aus der Perspektive des jungen Isaac. Nun wird klar, dass auch der vermeintliche Träumer im Geheimen an einer wissenschaftlichen Lösung des Abstoßungsproblems arbeitet – jedoch nicht aus reiner Neugier, sondern zunehmend romantisch motiviert. Dabei entdeckt er die Möglichkeit, divergierende Schwingungen zwischen den Frequenzen mit Hilfe von Schallwellen in Harmonie zu bringen. Er entwickelt eine Apparatur, die gleichsam Zauberworte ausspuckt, mit deren Hilfe sich das Rumpeln der Natur in Schach halten lässt. Wie ein fremdes Organ in einem Organismus, der auf Abstoßung aus ist, muss Isaac sich nun mithilfe seiner Erfindung anpassen, um das Gleichgewicht zwischen sich und Marie aufrecht zu erhalten. Eine Entwicklung die beiden zugute kommt, denn auch Marie entwickelt nun so etwas wie echte Gefühle für den jungen Mann. Als Nebeneffekt reduziert sich ihre Frequenz, eine Entwicklung die nicht nur ihren Eltern sauer aufstößt.

Doch das ist erst der Beginn einer Geschichte, die von Anfang an immer wieder thematische und dramturgische Haken schlägt. Frequencies ist ein Füllhorn voller Ideen und Konzepte, die weit über die Grundidee hinausreichen – und dabei doch nie die Charaktere aus den Augen lassen, denn auch als die Story vom Persönlichen ins Globalgesellschaftliche umschlägt und der Plot eine dystopische Wendung bekommt, bleibt dies immer die Geschichte von Isaac und Marie. Und das ist das wirklich Bemerkenswerte an diesem klugen, umsichtigen, wenn auch manchmal etwas hölzern gespielten SF-Drama: Die Motivationen der Figuren sind jederzeit nachvollziehbar. Eine nicht zu unterschätzende Qualität, denn bei aller immanenten Logik dieser rein fiktiven Welt werden Identifikationspotenziale auch immer intuitiv realisiert. So umgeht der Film geschickt die Untiefen der reinen Ideen-SF; der Zuschauer bleibt jederzeit bei den Protagonisten und reitet auf der Welle von deren persönlicher Entwicklung durch die Ozeane innovativer Plotwendungen.

Wenn man Frequencies etwas vorwerfen kann, dann höchstens, dass er sich manchmal etwas zu viel zumutet. Denn kaum hat man eine spannende Idee verinnerlicht, kommt bereits die nächste 180-Grad-Drehung um die Ecke und schreibt die Regeln noch einmal neu. Doch da sich all diese Wendungen linear auseinander heraus entwickeln, entsteht dabei zumindest keine Inkohärenz. Man muss halt am Ball bleiben, aber das war auch schon beispielsweise bei Carruths Primer der Fall und schmälerte nicht den Filmgenuss. Im Gegenteil: Bei aller Genre-Konfektionsware jenseits der 100-Millionen-Dollar-Marke, die man sich im Lauf eines Filmjahres so reinzieht, ist es für den SF-Fan unerlässlich, sich ab und an so etwas anzusehen. Dieser Plot passt auf keine Serviette, die zugrundeliegenden Konzepte sind nicht bereits tausendfach zu Tode genudelt – hier haben wir es mit Kopfkino im besten doppelten Wortsinn zu tun. Wer es schafft, Themen wie biologische Determination, physiologische Grundlagen der Attraktion, Romantik als Ausdruck von Naturgesetzen, wissenschaftliche Interpretation basaler Dichotomien wie Harmonie und Chaos sowie destruktives Potenzial innovativer Technologie derart spannend in Szene zu setzen, der hat einiges für den Fortbestand des Genres geleistet. Danach kann man sich dann gerne Terminator: Genysis ansehen. Läuft halt einfach auf einer anderen Frequenz.

Frequencies ist seit dem 23.6. bei uns auf DVD und Blu-ray erhältlich.

Frequencies (Australien/UK 2014) • Regie: Darren Paul Fisher • Darsteller: Daniel Fraser, Eleanor Wyld, Owen Pugh, Dylan Llewellyn, Georgina Minter-Brown, Tom England

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