20. September 2014 2 Likes 2

Unsere Wünsche halten uns am Leben

Fosco Dubinis „Die innere Zone“

Lesezeit: 5 min.

Wer sich an Dauerexplosionen im Weltraum und umherschießenden Waschbären schon stattgesehen hat und lieber einen Gang zurückschalten möchte, sollte sich ins Münchner Maxim-Kino aufmachen, in dem noch bis zum 25.09. das dystopische Near-Future-Psycho-Drama „Die innere Zone“ des Schweizer Regisseurs Fosco Dubini zu sehen ist.

Die Psychologin Marta, großartig gespielt von Jeanette Hain, ereilt ein Notruf: Bei einem Tunnelbauprojekt tritt ein seltsames Luftgemisch aus, das zu psychischen Schäden führt. Drei Wissenschaftler sind verschwunden, Marta soll die Männer finden, doch sie ist selbst angeschlagen: Zum einen hat sie gerade ihren Sohn verloren – er verschwand von einem Tag auf den anderen. Zum anderen nahm sie vor Jahren am Biosphären-Projekt Aurora teil, bei dem der Sauerstoffgehalt in der Atemluft sank und Martas Gehirn geschädigt wurde, sodass sie nicht mehr zwischen der Realität und halluzinierten Echos unterscheiden kann. Immer wieder gleitet sie aus der Wirklichkeit in Traumwelten ab, angedeutet durch einen Wechsel des Kostüms, das in den Echo-Sequenzen in überirdischem Rot leuchtet. Beide Welten sind durch Orte und Figuren untrennbar miteinander verbunden, und eine klare Bestimmung von Realität und Echo wird zunehmend unmöglich.

Das erste, was man in „Die innere Zone“ verliert, ist das Raumgefühl: Bergszenerien, Strand und Meer, prächtige Hotelbauten – alles wird so montiert, als seien diese ganz unterschiedlichen Orte an einem einzigen Fleck, was nach dem ohnehin geheimnisvollen Einstieg noch eine Schippe Surrealismus drauflegt. Kurz darauf folgt auch der Verlust des Zeitgefühls, und einzig Martas Off-Stimme, emotionslos wie unter Hypnose, suggeriert einen chronologischen Handlungsablauf, der dank der Echos permanent unterminiert wird. Klingt entfernt nach Tarkowskis „Solaris“, nimmt aber eine ganz andere Richtung.

Zusammen mit dem Wissenschaftler Beta (Dietmar Mössmer), den sie am Tunneleingang in einer Wellblechhütte findet, und der Krankenschwester Natascha (Lili Fichtner), die nach der Evakuierung des Ortes noch im Sanatorium blieb und literweise Suppe für Patienten kocht, die nicht mehr da sind, steigt Marta in den Tunnel hinab. Sie suchen die Wissenschaftler Cappa (Nikolai Kinski) und Abramowitsch (Heinrich Rolfing). Was zu Beginn noch halbwegs gewohnt aussieht – man denke an die Bilder vom Bau des Gotthardtunnels –, wird zu einem unterirdischen Labyrinth und spiegelt so die Reise in die psychische innere Zone, die Marta zeitgleich antritt. Sie durchstreift gigantische Anlagen, halb Bunker, halb Straßentunnel, überall verlassene Maschinen, Autos, Züge; mit Atemluft gefüllte Tüten, seltsame Geräte, die aussehen wie aus den Siebzigerjahren und deren Funktion man bestenfalls erahnen kann.

Ebenso geheimnisvoll und dunkel sind die Erklärungen für die Katastrophe: Ein Jahrzehnte zurückliegender Atomunfall habe das Gasgemisch erzeugt; der Tunnelbau setzte es frei, sodass es jetzt Menschen und Umwelt verändert. Die Auswirkungen dieser Katastrophe entdeckt Marta bereits, als sie das verlassene Dorf erkundet: Dort trifft sie auf einen Jungen, der beinahe wie ein Greis wirkt, sich unheimlich abgehackt bewegt und kein Wort spricht. Mit seinem entsozialisiertem Verhalten zeigt er überdeutlich, wie das idyllische Bergdorf-Ambiente durch den Menschen grotesk verzerrt wurde.

Je tiefer Marta, Natascha und Beta in die Tunnel vordringen, desto verstörender wird die Reise in Martas Inneres – gespiegelt in dem, was sie vorfinden: Als sie Cappas Zelt erreichen und Natascha eines der Geräte darin einschaltet, erklingt Musik, und sie und Beta beginnen wie unter Zwang zu tanzen, dem Marta ebenso wie der Kinobesucher lediglich irritiert zusehen können. Diese Momente machen das, was wir für Realität halten, so absurd, dass wir es kaum glauben können.

Schließlich findet Marta Abramowitsch, der damals ebenfalls am Aurora-Projekt beteiligt war und von dem sich Marta Hinweise auf ihren verschwundenen Sohn erhofft: Er residiert in einem unterirdischen Büro, das nach den ganzen hoffnungslos veralteten Technik-Artefakten mit seinen glatten, konturlosen weißen Wänden seltsam aus der Zeit gefallen scheint – und das im Jahr 2023. Er kann ihr in der Tat Auskunft zu Martas Sohn geben – aber die fällt anders aus, als gehofft. Ab hier bricht schließlich das bisschen Orientierung, das der Film seinen Zuschauern erlaubt hat, zusammen: Martas Kostüm ist plötzlich weiß, sodass es spätestens jetzt keinerlei Anhaltspunkt mehr gibt, ob wir uns in der Realität (dunkle Hosenanzüge) oder den Echos (knallrotes Kleid) aufhalten.

Viele Elemente in „Die innere Zone“ lassen sich schnell verorten: Die bereits angesprochene Anlehnung an Tarkowski, auch im Retro-Look der gezeigten Technik; das Aurora-Projekt, das sich auf die Biosphären-Experimente in Arizona zu Beginn der Neunzigerjahre bezieht; Tunnelbau in der Schweiz, auch zu militärischen Zwecken; und natürlich die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl (Stichwort „Zone“, aber auch der verlassene ukrainische Rummelplatz, den Marta in ihren Gedanken immer wieder besucht, erinnert an die Geisterstadt Pripjat), der Zwischenfall im Versuchsreaktor Lucens von 1969 und Fukushima („Sie begruben die Erde in der Erde“, sagt Natascha) – alles vereint sich in „Die innere Zone“ zu einer alles durchdringenden Katastrophe, die selbst vor dem Innersten des Menschen nicht Halt macht.

Die Zerstörung der Umwelt überträgt Fosco Dubini auf das Innenleben seiner Protagonistin, die sich in ihrem eigenen Kopf so wenig zurechtfindet wie das verstörte Kind in seiner zerstörten Umwelt. Wie außen, so auch innen, könnte, in Abwandlung eines hermetischen Prinzips, das Motto des Films lauten. Ebenso hermetisch verschlossen sind auch die Figuren: Sie bleiben opak und schablonenhaft (beispielsweise die Wissenschaftler Beta und Cappa – allein die Tatsache, dass ihre Namen auf bloße Buchstaben beschränkt sind, spricht für sich). Diese Reduktion erlaubt uns keine andere Identifikationsfigur als Marta, wobei von vornherein explizit auf ihre Unzuverlässigkeit in Bezug auf ihre Wahrnehmung hingewiesen wird. Als Zuschauer ist man gezwungen, sich trotzdem auf ihre Perspektive, real oder halluziniert, einzulassen – sie steht alternativlos im absoluten Fokus unserer Aufmerksamkeit, und wir sind ihr ausgeliefert, müssen schlicht glauben, was wir sehen und hören. Je mehr wir uns also freiwillig jeder Täuschung unterziehen lassen, die Marta heimsuchen, desto besser funktioniert der Film.

Was bleibt übrig nach Zerstörung und Dissoziation? „Unsere Wünsche halten uns am Leben“, sagt Natascha am Ende zu Marta – ob das zum Überleben ausreicht, nachdem wir unsere Welt und damit uns selbst zerstört haben?

Die innere Zone • Schweiz 2013 • Regie: Fosco Dubini • Darsteller: Jeanette Hain, Lili Fichtner, Dietmar Mössmer, Nikolai Kinski, Heinrich Rolfing

Kommentare

Bild des Benutzers Sebastian Pirling

Wow, da hab ich Freitag wohl echt was verpasst. Klingt ganz nach einem Film nach meinem Geschmack. Ich harre dann der DVD (oder dem direkten Amygdala-Upload).

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Noch läuft der Film im Maxim-Kino, eine Chance hast du also noch, ihn auf der großen Leinwand zu sehen ...

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