15. Januar 2015 3 Likes

Vom wahren Jakob

Einige Gründe, Christian Keßlers Buch über den Trashfilm zu lieben

Lesezeit: 3 min.

Der Untertitel von Christian Keßlers neuem Buch „Wurmparade auf dem Zombiehof. Vierzig Gründe, den Trashfilm zu lieben“ scheint zunächst ein irritierendes terminologisches Ärgernis zu bieten. Trashfilm, das ist doch eigentlich diese direkt nach „Kultfilm“ und nicht erst seit gestern tiefstmöglich auf den Hund gekommene Deppen-Kategorie, mithilfe derer bedauernswert geschmacksunsichere Menschen versuchen, vulgärironische Distanz zwischen sich und all dem eiskalt kalkulierten Mist, den sie sich permanent reintun, zu schaffen? Ein Wort, das viel zu oft die Unfähigkeit zu kaschieren versucht, leidenschaftlich und horizonterweiternd Missglücktes von Werken, von deren liebloser Banalität nur noch ihr Einhalten zeitgemäßer Produktionsstandards ablenkt, überhaupt unterscheiden zu können? Etwas, das (als „absichtsvoller Trash“) längst im kulturindustriellen Verblendungszusammenhang steht? Und keine besonders nette Bezeichnung für etwas, das man liebt?

Doch genau darauf geht der Autor ohne Umschweife in seinem Vorwort ein. B-Movie, Baddie, Exploitationkino – das wären eventuell wert- und assoziationsfreiere, aber auch latent spezialadressierte Begriffe für „Zelluloidbelichtungen, denen das mangelnde Talent ihrer Hersteller oder ein bedauerliches Fehlen von Produktionswerten ein Erscheinen im Kaisergewand verwehrt hat.“ Keßler geht es nicht nur um den Ausdruck seiner Liebe zur Sache, sondern darüber hinaus um die Rehabilitation des Namens dieser Sache bzw. darum, den Begriff „Trashfilm“ wieder mit Sachlichkeit und Sinn zu füllen: „Die besten jener Filme, die man heute als Trashkino bezeichnet, verraten eine Weltsicht, die einzigartig ist und nicht selten zauberhaft.“

Die hartnäckige und produktive Liebe zu zauberhaftem Schund lässt den Filmpublizisten Christian Keßler leider zwangsläufig in einer Randzone der hiesigen Kinokritik existieren, wo er es sich aber offenkundig schön gemütlich gemacht hat und man ihn gerne und niemals ohne Gewinn, Neugelerntes, Heiterkeit und die Folge warmer Erinnerungen besuchen kann. Er ist Mitarbeiter der bis 2012 in gedruckter Form erschienenen Zeitschrift „Splatting Image“ , Kritiker-Eminenz des nach dem Originaltitel von Joe D’Amatos 1979er „Sado – Stoß das Tor zur Hölle“ auf benannten geheimnisvollen Gelsenkirchener Filmclubs „Buio Omega“ , begnadeter DVD-Audiokommentator von u.a. Riccardo Fredos und Mario Bavas „Der Vampir von Notre Dame“ oder Jun Fukudas „Frankensteins Monster jagen Godzillas Sohn“ sowie Verfasser von Büchern wie „Das wilde Auge. Ein Streifzug durch den italienischen Horrorfilm“ (1997; ein heißgesuchtes Standardwerk), „Die läufige Leinwand. Der amerikanische Hardcorefilm von 1970 bis 1985“ (2011) und der Kommissar-Ernst-Bremen-Krimi-Groteske „Aalglatt über Leichen“ (2013).

„Wurmparade auf dem Zombiehof“ ist ein an vierzig Filmen (plus etlichen darum herum) und zehn Kapiteln (Eisbrecher, Klassiker, Monsterfilme, Männerfilme, Frauenfilme, Bauernfilme, Beklopptenfilme, Kirchenfilme, Mutantenfilme und Penisfilme) entlang entwickelter Kanon des echten, bemerkenswerten, begeisternden, erstaunlichen Trashfilms. In Keßlers Worten: Das hier ist der wahre Jakob. Hier wohnt Moses. Wenn man bereit ist, das mit den Genregrenzen nicht ganz so eng zu sehen, gibt es jedenfalls in der kruden Gestalt beispielsweise der italienischen postapokalyptischen Antiutopie „The Riffs 3 – Die Ratten von Manhattan“ (1984), des türkischen Star-Wars-Abklatsch-Versuchs „Dünyayi Kurtaran Adam“ (1982) und des tricktechnisch umwerfend vermurksten Außerirdischer-Riesengeier-mit Puschelfrisur-Invasionsfilms „Angriff der Riesenkralle“ (1957) Science-Fiction im engeren Sinne.

Keßler erzählt wissenssatt, lebhaft anekdotisch und vor allem: zauberhaft witzig. Das mag nicht jeder mögen bzw. der ein oder andere als Zwangswitzelei diskreditieren. Aber Keßlers Komik-Rhetorik ist nicht nur dem Gegenstand angemessen, sondern ein in diesem Zusammenhang höchst angemessenes und funktionales Werkzeug der Analyse (bzw. der lebhaften Filmhistorie; das trifft den Ansatz besser) sowie, noch wichtiger, der Ausdruck von – wie der von Keßler wiederholt ausdrücklich geschätzte Max Goldt mal Helge Schneider bescheinigte – Charme und Herzensbildung. Und zur Entwicklung von Charme und eines großen Herzens, das zeigen dieses Buch und die Stimme seines Verfassers, kann eben auch anrührend bis mitunter garstig-verstörend missratene Filmkunst ihren Beitrag leisten. Man sähe die Kinofeuilletons gern öfter von einem solchen Kritikerethos durchwest: entschieden persönlicher Sound, Leidenschaft, frei von Eitelkeit, erzählkünstlerisch versiert, den Ernst der Dinge mit Humor treffend. Bei aller Lustigkeit macht es ein bisschen traurig, dass die Dinge, denen Christian Keßler sein großes Herz schenkt, wahrscheinlich einer zunehmend weniger lebendigen Vergangenheit angehören – der jüngste im Buch vorgestellte Film ist von 2003 (Thilo Gosejohanns „Operation Dance Sensation“), der älteste von 1934 (Dwain Espers „The Maniac“).

Christian Keßler: Wurmparade auf dem Zombiehof. Vierzig Gründe, den Trashfilm zu lieben • Martin Schmitz Verlag, Berlin 2014 • 288 Seiten • € 18,80

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