22. Januar 2018 2 Likes

Weniger ist mehr

Mensch unter der Lupe: „Downsizing“

Lesezeit: 4 min.

Alexander Payne ist der große Humanist unter den heute arbeitenden Regisseuren des amerikanischen Mainstream-Kinos. Filme wie About Schmidt, Sideways, The Descendants, sein Beitrag zur Anthologie Paris, je t’aime oder zuletzt Nebraska sind hellwache Observationen und Explorationen der Conditio humana voller Empathie, narrativer Kompetenz und extratrockenem Humor. Ein wahrer Menschenfreund, dessen nicht besonders umfangreiches Werk – gerade mal neun Regiearbeiten in den letzten 26 Jahren – in erster Linie von der Sympathie zu seinen Protagonisten geprägt ist, von ihren großen und kleinen Problemen bei dem Versuch, mit den Irrungen und Wirrungen des Lebens klarzukommen. Es sind oft ganz gewöhnliche Menschen an neuralgischen Punkten ihrer Biografie, deren etablierte Routinen und Gewohnheiten ihnen plötzlich keine Stabilität mehr bieten, Charaktere, die sich aus den verschiedensten Gründen plötzlich außerhalb ihrer Komfortzone wiederfinden.

Insofern steht Paul Safranek, der Held seines ersten Ausflugs in SF-nahe Gebiete,  durchaus in der Tradition von Jack Nicholsons frischgebackenem Rentner Warren R. Schmidt oder George Clooneys Matt King. Doch sind es hier nicht scheinbar profane Ereignisse wie der Eintritt in den Ruhestand oder Erbschaftsprobleme auf Hawaii, die den Protagonisten auf eine Reise ins eigene Ich schicken. In seiner ersten Regiearbeit seit vier Jahren will Payne mehr – und genau das ist das Kernproblem dieses leider recht unfokussierten Films, dessen Prämisse zu seinen größten positiven Qualitäten zählt.

Wir befinden uns irgendwann in naher Zukunft, und norwegische Forscher haben den Schlüssel zur Lösung von Problemen wie Überbevölkerung und Ressourcenknappheit gefunden. Und der lautet: „Downsizing“. In diesem speziellen Fall bedeutet dies: Menschen können auf Fingergöße geschrumpft werden, was ihre Umweltverträglichkeit deutlich verbessert. Die Bezeichnung dieser Prozedur ist großartig doppeldeutig gewählt; denn während der Begriff im englischen Sprachgebrauch eher metaphorisch gebraucht wird, um besseres Haushalten und mehr Bescheidenheit (aber auch: Personalreduzierung) auszudrücken, kommt mit dem Downsizing in dieser Welt der soziale Aufstieg. Und den hat auch der abgebrochene Medizinstudent und Betriebsphysiotherapeut Safranek im Blick, der mit seiner Frau gerade so über die Runden kommt. Die körperliche Verkleinerung jedoch verspricht eine signifikante Vergrößerung des Bankkontos, denn weniger Verbrauch bedeutet mehr Geldwert. Also entscheidet sich das Mittelstands-Ehepaar für die Prozedur, um in Zukunft eine feudale Villa in der Gated Community Leisureland zu bewohnen. Doch als Pauls Frau kalte Füße bekommt, entwickeln sich die Dinge deutlich anders als geplant. 

Bis zu diesem Zeitpunkt ist Downsizing, der Film, ein erstaunlich effektives Stück milder Satire, deren leicht absurder Tonfall erstaunlich gut mit Paynes Sensibilität korrespondiert. Die akkurate Darstellung des amerikanischen bürgerlichen Milieus, der Realismus der Schauspieler, die sanfthumorige Halbernsthaftigkeit, mit der die im Grunde völlig abstruse Prozedur gezeigt wird – man nimmt ihm das alles ab. Die erste halbe Stunde macht einfach Spaß und neugierig auf alles, was Payne mit seiner vielversprechenden SF-Idee noch so vorhat.

Und das ist leider eine ganze Menge. Denn kaum hat Paul sein Domizil im Miniaturwunderland bezogen, erkennt er schnell, dass auch hier nicht alles so sauber läuft wie in der Puppenstube. Auch in Leisureland gibt es die „working poor“, gibt es Ghettos vor den Toren der Stadt, gibt es Krankheit, Ausgrenzung und gesellschaftliche Ungleichheit. Der Film verschiebt seinen Fokus nun von der munteren Satire hin zum Sozialdrama; doch das ist nicht der einzige ungelenke Haken, den er innerhalb seiner sehr langen Laufzeit (fast zweieinhalb Stunden) so schlägt. Spätestens auf einem Trip nach Norwegen zur ersten Minikolonie der Welt verlässt Payne die Grenzen seines immer größer werdenden Personalkarussells und begibt sich auf das Terrain der globalen Apokalypsevision. Von wegen klein: Hier geht es am Ende um das Große Ganze, um das letzte Aufbäumen der Menschheit, um alles oder nichts.

Mittendrin immer der staunende Matt Damon, der leider irgendwann kaum noch eine tragende Rolle in seinem eigenen Film mehr spielt. Sehr bedauernswert, denn Payne ist immer dann gut, wenn er nah an seinen Figuren bleibt. Doch auch die werden hier mit äußerst variierendem Erfolg gezeichnet: Für jede großartige Hong Chau, die eine pragmatische vietnamesische Dissidentin mit resolutem Charme verkörpert, gibt es einen scheel grimassierenden Christoph Waltz, der zum x-ten Mal sein patentiertes Hollywood-Programm abspult (These: Sind Waltz’ sämtliche US-Kino-Auftritte ein einziger Witz?) Downsizing verliert sich in seinen zahllosen Ansätzen, ist Ideenkino ohne Idee wohin, ist gut gemeint und gut gemacht, aber letzten Endes doch ziel- und kraftlos. Selten zuvor hat Alexander Payne seine empathische Message so explizit wie hier vorgetragen: An einer Stelle des Films hält eine der Figuren tatsächlich einen Vortrag über die Größe des Menschen im Angesicht scheinbar unüberwindbarer Herausforderungen. In gewissem Sinne ist Downsizing somit vielleicht sogar Paynes humanistischstes Werk. Schade nur, dass er seine kleinen Figuren dabei irgendwann aus den Augen verloren hat.

„Downsizing“ ist seit dem 18. Januar bei uns im Kino zu sehen.

Downsizing • USA 2017 • Regie: Alexander Payne • Darsteller: Matt Damon, Hong Chau, Christoph Waltz, Kristen Wiig, Jason Sudeikis, Rolf Lassgård, Udo Kier

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