13. Juni 2017 1 Likes

Big in Japan

„Persona 5“ als Meilenstein moderner JRPG-Kunst

Lesezeit: 5 min.

Ein bisschen abwegig klingt es ja in Summe schon, wenn man den Reiz der Persona-Reihe erklären will: japanische Teenager auf ihrem Alltag zwischen Schule, Hobby und erster Liebe begleiten, sich durch allerhand Dialoge klicken und nachts als Dämonenjäger mit übernatürlichen Fähigkeiten in ausufernden Dungeons ziemlich komplexe Schlachten gegen abgedrehte Monster schlagen (siehe auch unsere Preview). Wer nun einen Mix aus The Sims und Final Fantasy erwartet, liegt zwar nicht völlig daneben, verpasst allerdings dann doch den tieferen Reiz dieses japanischen Rollenspiel-Hits, der über die Jahre auch in westlichen Gefilden eine beachtliche Fanbase hinter sich gebracht hat. Nach längerer Kreativpause kehrte die Reihe in diesem Frühling mit dem fünften offiziellen Teil für PS4 und PS3 zurück und schlägt erstmals auf der aktuellen Konsolengeneration ein. Ob ein frischer Look und einige Modernisierungen ausreichen, um in diesem Jahr den Thron alternativer, aber zumindest auf den ersten Blick zeitgenössischer Japan-RPGs abseits altgedienter Fantasy zu erobern?

Was zunächst auffällt: Persona 5 wirft uns direkt ins Geschehen. Als zunächst unbekannter Dieb dringen wir in ein illustres Kasino ein und versuchen es lautlos zu infiltrieren. Doch ganz im Stile eines echten Tutorials, das uns möglichst viele Facetten des Gameplays vorstellen möchte, fliegt unsere Mission natürlich auf und wir werden unweigerlich in einige Kämpfe und Versteckspiele verstrickt, ehe wir uns auf einer Polizeiwache wiederfinden. Dort erzählt unser diebischer Protagonist seine Geschichte, wie er als zunächst typischer Teenie-Schüler zu einem mächtigen Phantom-Krieger wurde, der zusammen mit seinen Freunden des Nachts in die Herzen von Menschen eindringt, um ihre Seelen zu reinigen. Um jeder Illusion gleich vorzubeugen: diese Geschichte im Detail oder auch nur in ihren Grundzügen annähernd adäquat beschreiben zu wollen, würde jeden Rahmen sprengen.

Als wäre das nicht schon genug, verkompliziert sich die Story zusehends, ohne dass uns selbst nach mehreren Stunden völlig klar wäre, welche Möglichkeiten uns denn nun genau offenstehen oder welchen konkreten Weg unsere Reise nehmen könnte. Ohne Vorkenntnisse und ein gewisses Gespür für die einwilligen Dramaturgien solcher Titel, haben es besonders Einsteiger schwer, speziell die bereits aus den Vorgängern bekannten Elemente und Figuren einzuordnen und mit der äußerst mysteriösen Story verknüpfen zu können. Dazu kommt, dass wir in den ersten Stunden keine spielerische Freiheit haben, irgendetwas auszuprobieren. Die Story zwingt uns zu ellenlangen Dialogen und strikt vorgegebenen Pfaden, die wir im Wechsel mit ein paar Kämpfen und weiteren Tutorials absolvieren müssen. Würde man also Persona 5 als unbedarfter Novize auf diese ersten Stunden reduzieren; man könnte verstehen, wenn viele Spieler das Pad genervt weglegen oder viele Dialoge einfach überspringen.

Doch genau hier trennt sich die Spreu vom Weizen, da es Persona auch diesmal ganz bewusst in Kauf nimmt, uns einen langen Atem abzuringen und Neulinge möglicherweise sogar zu verschrecken. Denn wer dranbleibt, erlebt nach einigen Stunden etwas, das vielen kontemporären Titeln abgeht: eine Verbundenheit mit der Spielwelt und ihren Figuren, die sich mit jeder weiteren Stunde intensiviert und die sich gerade aus der geschickten Mixtur verschiedener Genre-Versatzstücke ergibt. Selbst die unzähligen Nebenfiguren wachsen uns so ans Herz und das Gameplay entfaltet nach einigen Stunden seine größte Stärke, nämlich eine unglaubliche Tiefe.

So dringen wir schon in den ersten Spielstunden mehrfach mithilfe einer mysteriösen App in eine düstere Parallelwelt ein, in der Figuren aus unserem Alltag eine symbolisch umformierte Position einnehmen, die sich jedoch aus ihrem Charakter in der realen Welt ableitet. So müssen wir beispielsweise den sadistischen Volleyball-Lehrer zur Räson bringen, der in der realen Welt Schüler misshandelt und in der Parallelwelt als gekrönter „König“ mit eigenen Soldaten inklusive eigenem Schloss genau diese Schüler auch in seiner Fantasie in übersteigerter Form foltert (und dazu aus Schülerinnen seine übersexualisierten Mätressen macht).

Besiegen wir den König an diesem Ort, verändern wir auch sein Wesen in der realen Welt. Begleitet werden wir dabei unter anderem von einer mysteriösen sprechenden Katze, die neben unseren Freunden an unserer Seite kämpft und in der realen Welt als ganz „normaler“ Stubentiger zu uns gehört. Kurz und gut: wem das alles schon in negativer Hinsicht zu „japanisch“ vorkommt, sollte um Persona 5 einen weiten Bogen machen. Denn die Story geht in Sachen Kuriositäten nicht eine Sekunde vom Gas, schafft es aber dennoch, viele typische Klischees nicht einfach nur auszuschlachten, sondern zumindest auch teilweise zu unterlaufen und elegant auf die Schippe zu nehmen. Gut so!

Wir erleben insgesamt in den locker über 80(!) Stunden Spielzeit ein Rollenspiel zwischen wunderbar ausgetüfteltem Social-Simulator, epischer Anime-Serie und famoser Rollenspiel-Action, das gerade aufgrund seines ausufernden Designs zum besten gehört, was das Genre je ausgespuckt hat. Technisch blitzsauber präsentiert, gehen wir etwa ganz daily Teenage-Life in die Schule (inklusive Testfragen, die wir als aufmerksame Schüler hoffentlich richtig beantworten), treffen uns mit Freunden in der Stadt und kämpfen uns nachts durch Dungeons voller amüsanter Ungeheuer und taktischer Bossfights am Ende. Schräge Ideen, sympathische Figuren, witzige Minigames und hunderte von unterschiedlichen Kampfgefährten (die sogenannten Personas, die sich auch kombinieren, austauschen und weiterentwickeln lassen), die mit ihren ganz unterschiedlichen Kampfstilen für Abwechslung sorgen.

Da wir zwischen mehreren Schwierigkeitsgraden wechseln und sogar verschiedene Erzählstränge oder Endings erwarten dürfen, motiviert das Game theoretisch locker wesentlich länger als nahezu jedes andere aktuelle Rollenspiel (selbst Final Fantasy 15 kann da längentechnisch einpacken). Da sich die Kämpfe, die in klassischer Partymanier mit mehreren Mitstreitern gleichzeitig und mit einer tollen Balance aus Taktik und Geschick ausgetragen werden, mit den Storyelementen sehr gut die Waage halten, tendiert das Gameplay nie zu stark in eine Richtung und umgeht so geschickt das Dilemma, uns zu lange mit einer Facette des Titels zu langweilen. Dass es die Entwickler geschafft haben, gerade diese Qualität über die gesamte Spielzeit durchzuhalten, kann man nicht genug loben.

Fazit

Ja, es mag mit Blick auf die Screenshots etwas seltsam klingen, doch Persona 5 ist eben nicht eines der vielen, oft genug eher dümmlichen Rollenspiele aus Japan, die mit bunten Kulleraugen jede Substanz schon im Ansatz ersticken. Was Atlus hier bietet, ist zwar weit entfernt, storytechnisch als „Erwachsen“ durchgehen zu können. Doch das will und soll die Persona-Reihe schließlich auch nicht. Zu ihren in Teil 5 bis auf die Perfektionsspitze getriebenen Merkmale gehören vielmehr die grandios ineinandergreifenden Game-Mechaniken aus witzig-verschachtelter Alltagssimulation, einer dialoglastigen Story mit sympathisch-markanten Figuren, einem vielschichtigen Kampfsystem und einigen mehr als kuriosen Einfällen, die selbst erfahrenen Genre-Kennern ein herzhaftes Lachen oder ungläubiges Staunen entlocken.

Wer auf eine lockere Zwischenmahlzeit aus ist, liegt hier natürlich völlig falsch, und auch Freunde eher düster dystopischer RPG-Kost a la Nier:Automata sollten lieber zu einem anderen Genre-Kollegen greifen. Doch wer Lust auf eine famos zelebrierte, stilsicher modernisierte Riesenportion aller Tugenden großer Fernost-Rollenspiele hat, muss Persona 5 unbedingt genießen. Aber Vorsicht: Take your time. A lot!

Persona 5 • Atlus/Deep Silver • JRPG

Abb. © Atlus/Deep Silver

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