1. Februar 2017 2 Likes

Guilty Gravity Pleasure

Sonys „Gravity Rush 2“ ist bunt, spaßig und leider manchmal nervig

Lesezeit: 7 min.

Jeder kennt das: Es gibt Bücher, Filme, Serien oder Games, die will man einfach lieben, selbst wenn sie es einem oft verdammt schwer machen. Mal liegt es an den Charakteren oder der Story, dann wieder an einem Twist, einer unliebsamen Passage oder im Fall eines Games gerne auch an an einer Spiel-Mechanik, die selbst geübte Zocker in manchen Missionen zur Weißglut treiben kann. Und dennoch will man nicht davon lassen; vielleicht sogar ganz bewusst das eigentlich störend Nervige eines Titels ganz bewusst genießen, da es eben genug Aspekte gibt, die einem über diese Mängel mehr als hinwegtrösten. Man erzählt dann vielleicht seinen coolen (oder weniger coolen) Freunden nicht davon, was man sich da gerade wieder so antut, aber wenn es um den ganz privaten Medienkonsum geht, sind ohnehin nur die Wenigsten ganz ehrlich. Wenn sie ganz ehrlich sind.

Aufmerksame Leser haben es längst gemerkt: Sonys quietschbuntes Japano-Abenteuer Gravity Rush 2 für PS4 gehört genau zu dieser Art „guilty pleasures“, für die man sich nach außen hin gerne ein bisschen schämen kann. Wir setzen aber an dieser Stelle ganz offen zum Gegenangriff an und wollen viel lieber dieses in vielerlei Hinsicht ungewöhnliche Action-Adventure des noch jungen Spielejahres 2017 all jenen Zockern empfehlen, die neben einem großen Herz für japanische Animes und frei erkundbaren Spielwelten auch ein wenig Frustresistenz mitbringen und sich aus nachvollziehbaren Missionsdesigns und -skripts nicht allzu viel machen. Wer all das nicht auf sich vereinen kann, sollte eine Galaxy Abstand zu Gravity Rush 2 halten. Mindestens. 

Die Abschreckung fängt gleich zu Beginn an: Denn zum Auftakt geht es gleich dermaßen behäbig zu, dass uns nach zehn Minuten voller dröger Herumlatscherei durch eine grafisch kaum ansprechende Mine das Gefühl beschleicht, wir hätten unsere Zeit lieber mit allem anderen zugebracht als weiter dranzubleiben. Zwar wird nach diesem Einstieg schnell deutlich, dass die Entwickler diesen im Sinne eines anschließenden Stilbruchs wohl bewusst so gewählt haben, dennoch ziehen sich einige zäh gestaltete, weil unnötig überlange Sequenzen durch das gesamte Abenteuer. Aber weiter der Reihe nach: Wir begleiten in Gravity Rush 2, das ziemlich direkt an die Ereignisse des Vorgängers anschließt und es mangels echter Rückblenden leider Neulingen storytechnisch nicht ganz leicht macht, die junge Gravity-Shifterin Kat. Unsere spielbare Protagonistin zeichnet sich vor allem mithilfe zwei wesentlicher Eigenschaften aus: zum einen durch ihre Fähigkeit, jederzeit die Schwerkraft aufheben und damit etwa fliegen oder mithilfe von Kraftfeldern Gegenstände oder Gegner durch die Lüfte wirbeln zu lassen; zum anderen präsentiert Gravity Rush 2 seine Heldin als herzlich zickiges Energiebündel, das mit ihrer typischen Anime-Naivität ähnlich stark an den Nerven zerren kann wie mithilfe ihrer Stimme (und das, obwohl Gravity Rush außer kaum verständlichen Lauten und Ausrufen der Figuren auf eine komplette Sprachausgabe abseits der Bildschirmtexte verzichtet). 

Mit unserer Shifterin und ihrer magischen Katze Dusty im Schlepptau müssen wir einen Weg finden, zurück nach Hause zu kommen und gleichzeitig unseren neuen wie alten Freunden dabei zu helfen, eine dunkle Bedrohung abzuwenden. Da wir von einer Truppe mobiler Minenschürfer unter der Aufsicht der gestrengen Anführerin Lisa aufgenommen wurden, müssen wir zur Verbesserung unserer Flug- oder Kampffähigkeiten vor allem Kristalle in einigen Minen fördern, die wir aber ebenso unter Hausdächern, auf Bäumen oder (na klar) in herumstehenden Kisten finden können. Was für Kat als Charakter gilt, kann ebenso auf die anderen Figuren übertragen werden: Ob nun Lisa, Kats fauler Schönlingfreund Syd oder ihre später dazustoßende Kampfgefährtin Raven - sie alle verbleiben über die komplette Spielzeit, die gut und gerne mit all den zusätzlichen Epilogen und Nebenmissionen locker auf 30 Stunden anschwellen kann, in ihren sympathisch klischeehaften Charakterzeichnungen und dürften daher niemanden narrativ überfordern. Dass dabei die Erzählung im Wesentlichen in Comic-Panels mit Text-Inserts vorangetrieben wird, passt zwar zum seichten Gesamtbild der Story, mag aber im Jahre 2017 dennoch nicht davor schützen, ein eher altbackendes Flair zu vermitteln.

Zwar entwickelt das Game mithilfe einzelner Gesellschaftsschichten innerhalb der riesigen Spielwelt ein ausdifferenziertes Sozialgefüge zwischen reich und arm, doch die extrem zweifelhafte Dichotomie aus den „guten Armen“ auf der einen und den „arroganten bis menschenverachtenden Reichen“ auf der anderen Seite, ist selbst für einen anspruchslos erzählten Titel wie Gravity Rush eher ärgerlich. Unsere herumfliegende Shifterin darf zwischen diesen Extremen innerhalb der Welt vermitteln und als Kämpferin für jede Form der Gerechtigkeit oder Liebe teils hanebüchene Missionen abklappern, die zwischen einfachen Sammel-, Kampf oder Transportaufträgen changieren. Doch wenn man die letztlich recht dünne Weltenretter-Mainstory mit ihrer aufgebauschten Riesenaugen-Dramatik länger durchlitten hat, hält sich das Interesse an den Ab- und Verzweigungen des überschaubaren Plots ohnehin in sehr engen Grenzen. Kurz gesagt: Kat und Co kann man mit ihrer juvenil naiven Art ins Herz schließen oder auch umgekehrt sehr leicht nach Herzenslust verachten. Selbst für japanophil angehauchte Figurenkonzepte macht es uns selten ein Titel so leicht, die ein oder andere geschmackliche Position ohne viel Raum für Zwischentöne einzunehmen. 

Das Missionsdesign fällt dabei ebenso, wie bereits angedeutet, weitgehend simpel bis strukturell redundant aus. Nach dem ausführlicheren Prolog landen wir mit Kat in einer riesigen Himmelswelt mit verschiedenen Siedlungen, die wir mit unserer Gravity-Power jeweils frei anfliegen können, um auf der Karte markierte Missionen abzuklappern. Das gilt speziell für die zahlreichen Sidequests: Mal dürfen wie einem Vater aus der Oberschicht dabei helfen, seine Tochter vor einem vermeintlich nach ihrem Erbe gierenden Verlobten zu beschützen; dann will ein Hund mit kleinen Spielchen erfreut werden; oder aber wir unterstützen die arme Unterschicht, indem wir sie vor Ungeheuern beschützen und mit Lieferungen lebensnotwendiger Güter versorgen.

Was in diesem Sammelsurium besonders stört, ist die oft fehlende Logik innerhalb der Missionen. Wenn uns beispielsweise immer wieder ohne nachvollziehbaren Grund aufpoppende Monster angreifen oder sich uns nicht erschließt, wieso Kat mehrfach leichtfertig Ziele entkommen lässt, die sie eigentlich einfangen sollte, fragt man sich unweigerlich, ob die Skriptautoren nicht etwas präziser ihre Arbeit hätten verrichten können. Ebenfalls in diesem Kontext nicht optimal: Das etwas läppische Belohnungssystem für die doch recht langen Nebenmissionen. Ob man ohne es vorab zu wissen wirklich eine halbstündige Mission beginnt, nur um dann einen alternativen Filter für die jederzeit zückbare Photokamera ohne weiteren Mehrwert zu erhaschen, lassen wir als Frage einfach mal im Raum stehen. 

Kamera ist ein gutes Stichwort: Leider sorgt nämlich die fast immer extrem schlecht platzierte Perspektive des Games sowie die Notwendigkeit, diese dauernd nachzujustieren und sich insbesondere in hektischeren Situationen kaum noch orientieren zu können, für kleinere Wutanfälle. Vor allem in zeitkritischen Momenten ist daher manchmal Geduld gefordert, um das wesentliche Geschehen im wahrsten Sinne überblicken und Kats Flugbahnen richtig ausrichten zu können. Denn eine automatische Anpassung erfolgt nocht, sodass jeder angehende Shifter schon zu beginn des Abenteuers die ein oder andere Übungseinheit einplanen sollte.

Doch es gibt natürlich auch viel Lobenswertes: Da wäre etwa die sehr lebendige, abwechslungsreiche Spielwelt, die wir in Verbindung mit der schlussendlich gut funktionierenden Steuerung gerne erkunden. Die schwebende Stadt mit ihren Vierteln ist weitläufiger, lebendiger und hübscher als das eher düstere Areal des Vorgängers und bietet allerhand Möglichkeiten, sich immer wieder auf einen Rundflug einzulassen. Auch die Kämpfe gehen mit etwas Training gut von der Hand und bieten aufgrund des variablen Systems aus Würfen, Schlagkombos oder Spezialattacken viele Möglichkeiten. Kat bekommt sogar im Verlauf des Abenteuers mehrere Stile verpasst, die sich markant auf die Gefechte auswirken: Im Lunar-Stil ist sie leicht wie eine Feder und kann daher turmhohe Sprünge ausführen, während sie im Gegensatz dazu im Jupiter-Stil zum Schwergewicht mutiert, um brüchige Wände zu pulverisieren oder einen besonders kraftvollen Sprungangriff aufzuladen. Mehr Individualisierungen gibt es in Kombination mit den variabel einsetzbaren Talismanen, die uns auch passive Boni wie beispielsweise höhere Angriffskraft oder eine verbesserte Wurfreichweite bescheren. An diesem Punkt gibt sich Gravity Rush 2 keine Blöße.

Zwar hätten wir uns in den Gefechten ein wenig mehr Gegnerklassen gewünscht, doch es tummeln sich genügend, um daraus keinen echten Kritikpunkt erwachsen zu lassen. Mit etwas Übung huschen wir somit elegant durch die Lüfte, verprügeln mit getimten Flugangriffen Dämonen und jonglieren selbst manche bewaffnete Gegnerhorde mit nur wenig Buttondrückerei. Gerade an solchen Momenten macht Kats Abenteuer mit am meisten Spaß. Zumal die Technik trotz des brillant gezeichneten und bis in die Mimiken der Figuren stimmungsvollen Cel-Shading-Looks reibungslos läuft und mit ihrem gelungenen Farbdesign ebenso punktet wie mit einer zwar wenig spektakulären, jedoch immer passenden Sounduntermalung. Gerade westliche Genrekenner sind da speziell von japanischen Titeln schließlich oftmals wesentlich schlimmeres (aka J-Pop) gewohnt. 

Fazit

Sich über Sonys Gravity Rush 2 auszulassen, heißt letztlich, mit zwei Extremen konfrontiert zu werden. Da wäre zum einen die extrem plumpe Story, viele redundante bis unlogisch aufgebaute Missionen, nervtötende Klischees und eine Kamera aus der Höhle. Aber auf der anderen Seite stehen eine wunderschöne Welt, eine famose Mechanik, ein gut ausbalanciertes Kampf- und Skillsystem sowie Charaktere, die man mit all ihrer kindlichen Naivität einfach „hasslieben“ muss. Beide Perspektiven gehören gleichermaßen zu diesem Action-Adventure und machen daraus ein Erlebnis, das unter den aktuellen Blockbustern gerade deshalb vielleicht mit zu den kontroversesten Veröffentlichungen der letzten Zeit gehört. Sollte Sony tatsächlich einen dritten Teil planen, müsste man aber endlich das angedeutete Potenzial weiter ausschöpfen und der Story etwas mehr Aufmerksamkeit widmen. Es dürfen außerdem gerne mal ein paar Rätseleinlagen sein und etwas mehr Feingefühl beim Skripting der Missionen, um dem in jedem Fall interessanten Spielprinzip den nötigen Feinschliff zu verpassen. Dann wird aus einem guilty pleasure vielleicht eine Reihe, die wirklich bis in den Olymp ganz großer Genre-Perlen abhebt. 

Gravity Rush 2 • Sony Interactive Entertainment • Action-Adventure

Abb. © Sony Interactive Entertainment

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