9. November 2016 1 Likes

Jetzt auch solo ein Titan

Der Mech-Shooter „Titanfall 2“ im Test

Lesezeit: 7 min.

Man würde sich fast die Augen reiben, wenn man es nicht aus der Vergangenheit kennen würde: Gleich mehrere Hochglanztitel eines Genres versuchen innerhalb weniger Herbsttage, sich gegenseitig das vorweihnachtliche Käuferwasser abzugraben, um einen mit viel Werbegewitter begleiteten Franchise-Kampf für sich zu entscheiden. Diese Politik hat leider manchmal gleich meist mehrere Verlierer: Zum einen natürlich die Marke, die letztlich am wenigsten Käufer hinter sich vereinen kann, und zum anderen so mancher Konsument, der weder die Zeit noch das Geld hat, möglicherweise allen Titeln eine Chance zu geben. In diesem Jahr ist es vor allem der Dreikampf zwischen den Ego-Shooter-Größen Battlefield 1 (Dice), Call of Duty: Infinite Warfare (Infinity Ward) und Titanfall 2 (Respawn Entertainment), der innerhalb weniger Wochen (letztlich sogar nur Tagen) aufgrund des äußerst kompakt gehaltenen Release-Taktes zu regelrechten Schismen führt: Sag an, welchen Ego-Shooter zockst du?

Eine knifflige Frage, denn während Battlefield mit einem unverbrauchten wie knochenhart präsentierten Setting (Erster Weltkrieg) in Kombination mit einer taktischen Grundausrichtung aufwartet und Call of Duty nach wie vor als schnelle Schießbude mit viel Bombast funktioniert, muss sich Titanfall als Mech-Shooter inklusive rasanter Hüpfeinlagen und Wallruns nun mit Teil 2 zwischen diesen beiden weltweit schon lange bekannten Brandings erst noch weiter profilieren. Doch große Überraschung: Die Fortsetzung des zwar gelungenen, letztlich aufgrund einiger Design-Schnitzer allerdings nicht herausragenden Multiplayer-Erstlings kann sich trotz dieser ungünstigen Vorzeichen (und nicht bloß aufgrund der geringeren Erwartungshaltung) als heimlicher Gewinner des Duells mit der Genrekonkurrenz fühlen. 

Solo und doch nie ganz allein

Titanfall 2 setzt speziell mit einer überraschend abwechslungsreichen Solo-Kampagne ganz neue Akzente und baut das Multiplayer-Gerüst des Erstlings konsequent aus. In der Kampagne ziehen wir nach einer knappen Einführung inklusive stilsicherem Tutorial-Level als recht unbedarfter Rookie-Pilot Jack Cooper in die Schlacht gegen eine Söldnertruppe, die von einem schurkischen Industriekonglomerat angeheuert wurde, um unseren Widerstand in Schutt und Asche zu legen. Als unser Mentor erwartungsgemäß in einer Konfrontation mit feindlichen Truppen sein Leben aushaucht, vermacht er uns zum Abschied seinen sprechenden Titan BT, der fortan als eine Art K.I.T.T. (Freunde der Kultserie Knight Rider erinnern sich) unser ständiger Begleiter wird. Das hat spielerisch einige sehr positive Konsequenzen, da wir mit dem Titan speziell kleinere Gegner gänzlich anders zu Planetenstaub pulverisieren können als mit unserem ohnehin nicht gerade geringen Standardrepertoire an Waffen. Ein simples Zerstampfen ist mit BT letztlich ebenso möglich wie der Einsatz von Suchraketen, Schutzschildern oder Präzisionslasern. Im Verlauf der einzelnen Level stoßen wir auf Erweiterungen für unsere Waffensysteme (Loadouts), zwischen denen wir jederzeit hin und her wechseln können. Das ist auch nötig, denn speziell die Bosskämpfe gegen andere bemannte Titanen erfordern neben Geschick etwas Taktik, damit wir nicht selbst als Blechhaufen enden.

Die KI unseres Robo-Freundes lässt uns während der Gefechte nicht im Stich, da BT selbst ohne unsere aktive Kontrolle eingreift. Die sehr unterschiedlichen Gegnerklassen gehen meist äußerst geschickt zu Werke, um uns einzukreisen oder sich hinter Deckungen zu verschanzen. Zwar wird aufgrund des einstellbaren Schwierigkeitsgrades niemand unter- oder überfordert, dennoch freuen sich Spieler vor allem über die Vielfalt an Möglichkeiten, die Gefechte angehen und die eigene Figur mit Extras ausstatten zu können. Immer wieder wechseln sich im dabei Abschnitte, in denen wir uns schon aus Sicherheitsgründen besser ausschließlich im Inneren unseres mechanischen Begleiters aufhalten sollten, mit Situationen ab, in denen wir entweder frei entscheiden dürfen oder durch das Storyskript dazu gezwungen werden, uns gänzlich allein auf Tour durch dunkle Anlagen, entlang steiler Felshänge oder sogar durch eine betriebene Fertigungsanlage für Wohneinrichtungen zu begeben. Während manche Genrekollegen nur auf Dauerfeuer setzen, jagt uns Titanfall 2 wohl dosiert durch die Missionen, in denen Konfrontationen mit Feindwellen in großzügig „begrenzten“ Arealen ebenso auf uns warten wie nach einer kleinen Atempause die knatternden Gatling-Guns gegnerischer Mech-Krieger oder die Suche nach kleinen Boni in versteckten Gebieten. 

Shoot mit Flow

Im Kontrast zu unserem naturgemäß etwas schwerfälligeren Begleiter BT kann Pilot Jack in bester Parkour-Manier selbst geschmeidige Wallruns starten und mit Doppelsprüngen elegant selbst entfernte Plattformen erreichen oder riesige Schluchten überwinden. Das Game-Design lädt uns ständig dazu ein, Gegner mit gewagten Jump-and-Shoot-Manövern auszuschalten oder das Geschehen wird mit Geschicklichkeitspassagen in Verbindung mit kleineren Rätselmechaniken aufgelockert. Genau damit spielt Entwickler Respawn Entertainment eine Stärke aus, die der Konkurrenz fehlt. Kein aktueller Shooter bietet zusätzlich zu einer rauschhaften Action ein solch flüssiges Flow-Erlebnis, das sich vor allem aus der improvisationsfördernden Architektur der gekonnt vertikal konstruierten Areale ergibt.

Speziell zwischen den Protagonisten BT und Jack variieren zu können, wurde von den Entwicklern auch konsequent in die Level-Strukturen integriert. Jedes Areal unterscheidet sich sowohl design- wie gameplaytechnisch markant von den jeweils anderen. Während wir etwa in einer Militäranlage mittels Zeitsprunguhr völlig flexibel zwischen zwei Zeitebenen wechseln müssen, um etwa Feinde umgehen zu können, geht es in einem späteren Level besonders halsbrecherisch in luftigen Höhen von einem Baugerüst zum nächsten, wobei wir selbst die Verbindungen via Kran justieren müssen.

Die Story um unsere Widerstandsgruppe fokussiert sich meist auf die wachsende Beziehung zwischen Jack und BT und schafft einen stimmigen, allerdings wenig spektakulär oder gar nachhaltig im Gedächtnis bleibenden Rahmen für das treibende Gameplay. Insbesondere die Bossgegner bleiben narrativ betrachtet mit ihren klischeehaften Profilen blasse Schießbuden und das Eigenleben unseres Mechs hätte gerne noch mit ein paar weiteren Szenen oder etwas mehr Tiefe angereichert werden dürfen. So bleibt es bei einer soliden, manchmal witzigen und zum Ende vielleicht sogar ein wenig rührenden Geschichte, die bezogen auf die Qualität der rund sechs Stunden andauernden Solo-Kampagne nicht mit dem Gameplay und den bestechend abwechslungsreichen Arealen mithalten kann.

Multi in Balance: Feine Modi, famose Maps

Der Multiplayer weiß erwartungsgemäß ebenfalls zu überzeugen, da auch hier insbesondere verschiedene Spielstile möglich sind und die Balance zwischen den verschiedenen Kämpferklassen funktioniert. Auf bisher neun verfügbaren Maps dürfen wir uns neben Standardmodi wie Capture the Flag, Last Titan Standing und der Verteidigung fester Hardpoints auch in ausgiebige Player-vs-Player-Gefechte stürzen sowie ungewöhnlichere Modi wie Coliseum (Eins-gegen-Eins-Duelle) oder den besonders anspruchsvollen Modus Bounty Hunter auswählen, in dem wir erkämpftes Geld in ein Depot einzahlen und gegen andere Spieler verteidigen müssen. Die Server laufen bisher sehr stabil und das Matchmaking der einzelnen Modi funktioniert ebenfalls insgesamt sehr gut und schnell. Die eigenen Avatare lassen sich mit zunehmendem Levelaufstieg sehr variationsreich anpassen (selbiges gilt für die Titanen) und da es die Entwickler nicht versäumt haben, genügend Optionen bei der Ausgestaltung der Kämpfer zu schaffen, ist langanhaltende Motivation für Online-Fans garantiert.

Als sehr weitläufige, im Kern vertikal angelegte und dennoch gleichzeitig nicht weniger verwinkelte Kampfplätze schaffen es die selbst für Genrekenner herausragenden Maps, eine geradezu optimale Balance für alle Arten des Vorgehens anzubieten. Ob als Sniper, Runner oder Titan: Selbst auf höheren Stufen kommt selten das Gefühl totaler Unter- oder Überlegenheit auf und mit etwas Kenntnis der Maps gelingt es jedem Spieler, verschiedene Taktiken mithilfe der Zusatzfeatures wie Lasergeschützen, Greifhaken, Tarnfunktion oder Granaten zu entwickeln. Gerade weil selbst die Mechs relativ schnell zu Fall gebracht werden können, wenn sich das gegnerische Team clever verhält, kommt somit selten Frust in Form eines zu schnell entschiedenen (Punkte-)Matches auf.

Technisch bewegt sich der Multiplayer (ähnlich wie die Solo-Mission) auf hohem, wenn auch nicht höchstem Niveau, wie speziell der Blick auf einige (Boden-)Texturen belegt. Gut gemachte Effekte wie dichter Wüstenstaub oder die sehr intensiv inszenierten  Schusswechsel mit den Titanen sorgen allerdings im Verbund mit der soliden Vertonung der Sprecher (in der Story-Kampagne) sowie der jederzeit stimmigen Soundkulisse für ein konstant angenehmes Erlebnis.

Fazit

Es muss eben nicht immer Call of Duty oder Battlefield sein: Titanfall 2 besticht mit einer Abwechslung, die sich auf allen Ebenen widerspiegelt und die Reihe damit endgültig als ernstzunehmende Konkurrenz zu anderen Shooter-Platzhirschen etabliert. Die Solo-Kampagne unterhält storytechnisch routiniert, ohne damit wirklich Bäume auszureißen. Dies gelingt Respawn Entertainment allerdings auf der Gameplay-Ebene. Ein herrlich kreatives Level-Design sowie das Zusammenspiel von Jack und BT überzeugen trotz der generischen Story, den eher blassen Endgegnern und der mit sechs Stunden genretypisch nicht gerade üppigen Spielzeit auf ganzer Linie.

Allein der Versuch, sich nicht zu sehr an die Konkurrenz anzubiedern und damit letztlich einen austauschbaren Klon abzuliefern, verdient ein echtes Lob. Der Multiplayer, der bereits im Vorgänger grundsätzlich gut funktionierte, steht dem kaum nach. Die vielen Modi und Anpassungsmöglichkeiten lassen Online-Veteranen ebenso jubeln wie die Konstruktion der atmosphärisch dichten Maps. In dieser Form muss sich Titanfall vor Battlefield, Call of Duty und Co definitiv nicht verstecken und sollte es den Entwicklern gelingen, einen möglichen Nachfolger weiter zu verbessern, könnte die Titanfall-Reihe als Solo- wie Multiplayer-Paket vielleicht sogar die Führung im Kampf um die Genrekrone übernehmen.

Titanfall 2 ist für PS4, Xbox One und PC erhältlich. 

Titanfall 2 • Respawn Entertainment/EA • Ego-Shooter

Abb. © Respawn Entertainment/EA

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