17. September 2017 2 Likes

Saints Row light

Der Shooter „Agents of Mayhem“ drückt ganz ordentlich auf den Funbutton

Lesezeit: 5 min.

Natürlich könnte man diesen Artikel über einen Open-World-Shooter gleich wieder mit den üblichen Totschlag-Vergleichen beginnen: weniger cool und stilprägend wie GTA, nicht so gut produziert wie die für ihre ewig gleiche (Erfolgs-)Formel kritisierten Ubisoft-Titel und dazu sogar deutlich abgekupfert von der eigenen Saints Row-Reihe. Doch zumindest letzteren Vorwurf umgehen die Macher von Volition elegant wie gekonnt, da ihre Agents of Mayhem sogar im selben Universum andocken wie die völlig durchgeknallten Antihelden aus Saints Row, die mit gleich vier offiziellen Ablegern inklusive sehr gelungener DLCs das Herz vieler actionaffiner Zocker mit Hang zu herrlich abstrus konstruierten Plots sowie politisch eher selten auch nur annähernd als korrekt zu bezeichnendem Humor eroberten. Aber selbst die anderen eben genannten Vorwürfe treffen nur zum Teil zu, da sich Volitions Third-Person-Scheißerei nicht als bierernstes AAA-Projekt versteht, sondern von Anfang an auf ein eher lockeres Vergnügen ohne allzu übertriebene Ansprüche setzt.

Nun also statt den Saints ein kleiner Tapetenwechsel hin zu den Agents, die sich wie ihre Vorgänger nur sehr bedingt als echte Helden feiern lassen dürfen, wenn es ihre sehr ausgeprägten – und zuweilen völlig wahnwitzigen – Egos zulassen. Insgesamt zwölf spielbare Charaktere erwarten uns im Verlauf einer genrekonform mit vielen kleinen Sidequests, Sammelobjekten und Dauerscharmützeln bespickten Storykampagne, die gut und gerne 25-30 Stunden unterhält, ehe man die Welt gerettet und sich an den letztlich doch etwas oft wiederholenden Missionsdesigns sattgeschossen hat.

Das reichlich vorhandene Kanonenfutter kommt in Form der Schurkenorganisation LEGION (League of Evil Gentlemen Intent on Obliterating Nations) daher, die sich unter der Führung des verrückten Dr. Babylon – seines Zeichens offizieller Minister des Stolzes – und einiger sehr gelungener Zwischenbosse das futuristische Seoul unter den Nagel reißen möchte, um mithilfe einer geheimnisvollen kosmischen Energie weitere Großwaffen entfesseln und die Macht des eigentlichen LEGION-Anführers Morningstar weiter vergrößern zu können.

Um LEGION aufzuhalten, schickt die äußerst machtbewusste und in den Dialogen angenehm scharfzüngig auftretende Anführerin Persephone ihre aus allen Teilen des Erdballs zusammengewürfelte Agententruppe nach Seoul, um dort die überall stationierten Feinde und deren mehr oder weniger versteckte Basen zu infiltrieren und letztlich zu pulverisieren. Stealth (oder überhaupt irgendeine Form von subtilerem Vorgehen) ist dabei praktisch nie gefragt oder auch wirklich möglich. Jede Mission besteht letztlich aus einer Feindwelle nach der nächsten, bis sich gelegentlich ein etwas wuchtigerer Zwischenboss die Ehre gibt. Das Gameplay konzentriert sich folgerichtig auf schnelle Action, bei denen gute Reflexe und eine Prise Taktik gefragt sind.

Bis auf bestimmte Solomissionen sind wir stets mit drei ausgewählten Agenten unterwegs und können zwischen diesen jederzeit via simplem Knopfdruck munter wechseln. Jeder Agent ist außerdem mit individueller Bewaffnung, Special-Move und eigener Hintergrundstory ausgestattet und wir müssen bis auf unsere drei Starter alle weiteren Mitglieder erst in entsprechenden Missionen freispielen, um sie dann in unsere Auswahl übernehmen zu können. Nur in einigen wenigen vordefinierten Missionen müssen wir mit einer nicht zuvor selektierbaren Dreiergruppe auf Action-Tour zu gehen, wobei die Story so ausgerichtet ist, dass kein Charakter in Sachen Zwischensequenzen zu kurz kommt.

Ganz im schicken Zeichentrickstil der 80er-Jahre werden die Sequenzen präsentiert und mit einer großen Portion Selbstironie unterlegt. Lacher sind daher durchaus garantiert, wenn sich etwa der egozentrische Filmstar Hollywood mit dem Musikproduzenten und Gangster Kingpin über seine Social-Media-Strategie unterhält, der völlig fanatische Hooligan Red Card in schönstem German-English alles aus der Sicht eines Fußball-Vereins kommentiert oder Rollergirl Daisy nach durchzechter Nacht erst mithilfe einiger Rückblenden wieder auf den aktuellsten Stand ihrer bleihaltigen Taten gebracht wird. Ganz klar - an der Figurenfront macht Volition alles richtig, zumal auch Dr. Babylons wichtigste Kämpfer wie Justin Bieber-Verschnitt Gaunt oder Harley Quinn-Variante Ariadne die Agents in Sachen Verrücktheit in nichts nachstehen und dazu gerade in den direkten Konfrontationen für gut inszenierte und abwechslungsreiche Fights taugen.

Dieses Maß an Abwechslung dauerhaft durchzuhalten, ist für einen Open-World-Shooter, der den Fokus ganz klar auf Daueraction legt, traditionell schwer durchzuhalten. So nutzen sich die ständigen Konfrontationen auf den Straßen von Seoul ebenso ab wie speziell die immer gleich aussehenden Untergrundbasen von LEGION und die letztlich in Sachen Erkundung recht eintönige Spielwelt, die nur eine nett designte Fassade ohne Tiefgang darstellt. Denn neben den Missionen gibt es in der Stadt nichts zu tun oder Spannendes in den ohnehin meist nicht begehbaren Gebäuden zu entdecken. Außerdem erlagen die Entwickler wie so oft im Genre der Versuchung, mittels unnötig langer Wege zwischen verschiedenen Missionsspots die Spielzeit zu strecken und Auflockerungen wie die spärlich eingebauten Fahrzeugsequenzen weiter auszubauen und durch weiterer Modifikationen zu bereichern.

Was allerdings angenehm vielfältig modifiziert werden kann, sind die Agents selbst. Denn zwischen zahlreichen Special-Skills und Upgrades kann jeder Kämpfer sehr individuell weiterentwickelt und so immer wieder eine fein justierte Dreier-Kombination an Avataren in die Schlacht geschickt werden. Da sich Designs, Skins und viele weitere Aspekte ebenfalls verändern lassen und das Game auch sehr viele unterschiedliche Schwierigkeitsgrade anbietet, um das Spielgeschehen nie zu leicht oder zu schwer werden zu lassen, überzeugt Agents of Mayhem als gutes, leider eben nicht wirklich herausragendes Open-World-Vergnügen mit flotter, Inszenierung, viel Geballer und der nicht unwichtigen Einsicht, dass man manchmal eben gar keinen groß aufgezogenen Multiplayer wie im Überhit Overwatch braucht, um auch in einem reinen Single-Player ordentlich Fun haben zu können.

Technisch bewegt sich das Ganze übrigens ebenfalls auf ordentlichem Niveau. Vereinzelte Ruckler und PopUps fallen nicht wirklich unangenehm auf und zumindest manche Details wie die oft genug nach ein paar Explosionen panisch reagierende Zivilbevölkerung und die unterschiedlichen Viertel der Stadt wurden sehr stimmungsvoll umgesetzt. Das gilt ebenso für die sehr guten Sprecher und die Zeichentrick-Sequenzen, die das angestrebte Comic-Flair sehr gut transportieren. An der Gegner-KI hätte man wiederum gerne etwas länger schrauben können und auch das gerade auf Dauer sehr uninspirierte Gedrücke bei den immer wieder auftauchenden Hacker-Minispielchen hätte so simpel wirklich nicht sein müssen.

Fazit

Schrill, bleihaltig und völlig over the top! So könnte man Volitions Fun-Shooter Agents of Mayhem mitsamt seinem unterhaltsam durchgeknallten Gameplay auf den Punkt bringen. Wenn man mithilfe überdrehter Skills wie der im wahrsten Sinne haushohen Sprungkraft über die Dächer von Seoul hüpft, die jederzeit witzige Grundstimmung inklusive krachender Action, solider Dramaturgie und jeder Menge Einstellungsoptionen aufsaugt und die Zeit auch ohne ausgefeilte Deckungsmechanik oder lange durchgeplanter Angriffsmanöver locker verfliegt, weiß man die Qualität dieses letztlich leider eben nicht völlig ausgereizten Open-World-Vergnügens dennoch auf jeden Fall zu schätzen. Genre- und Action-Fans sollten den Agents daher definitiv eine Chance geben. Trotzdem: Warum ist daraus eigentlich nicht gleich ein echtes Saints Row geworden, liebe Entwickler?

Agents of Mayhem ist für PC, PS4 und Xbox One erhältlich. 

Agents of Mayhem • Deep Silver/Volition • Open-World-Shooter

Abb. © Deep Silver/Volition

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.