3. August 2017 1 Likes

Space in Time

Die „Gone Home“-Macher schicken uns in „Tacoma“ auf eine Space-Odyssee

Lesezeit: 4 min.

Obwohl das Adventure-Subgenre der sogenannten Walking-Simulatoren seit einigen Jahren zum festen Stamm ludischer Unterhaltung zählt, haftet ihm trotz zahlreicher, gerade atmosphärisch dicht erzählter Vertreter wie Oxenfree, Welcome to the Rapture, What Remains of Edith Finch oder Gone Home der nicht ganz von der Hand zu weisende Verdacht an, spielerisch letztlich wenig zu bieten. Diesem Vorwurf können die Aushängeschilder des Genres auch meist locker mit ihrer intensiven Story inklusive famos geskripteter Figuren und markantem Design in einer in sich stimmigen Spielwelt aushebeln.

Doch wenn an der Erzähl- und Inszenierungsfront geschludert wird, gerät die Legitimation des Ganzen schon in arge Erklärungsnöte. Denn woran soll man sich halten, wenn es praktisch nichts zu spielen und nur wenig emotional Packendes zu erleben gibt? Genau diese Frage stellt sich bei Tacoma aus dem Hause Fullbright leider nachdrücklich. Denn das Team, das mit dem eben genannten Gone Home bereits eindrucksvoll nachgewiesen hat, das Genre genau mit den ebenfalls soeben genannten Qualitäten perfekt zu beherrschen, zeigt nun mit dem seit dem 2. August für Xbox One und PC erschienenen Zweitlingswerk, wie man ein eigentlich fesselndes Sci-Fi-Konzept trotz guter Ansätze zu einem suboptimalen Gesamtergebnis führen kann. 

In Tacoma begeben wir uns im Jahre 2088 auf die verlassene Raumstation gleichen Namens und müssen in Gestalt der Bergungsspezialistin Amy herausfinden, was passiert ist und ob es möglich ist, das einzige noch an Bord verbliebene Crew-Mitglied zu retten. Interessanterweise handelt es sich dabei nicht um einen Menschen, sondern eine KI genannt ODIN. In der rund 2 bis 3 Stunden umfassenden Kampagne erkunden wir die verschiedenen Module der Station und finden nach und nach mehr über die Crew, ihr Leben an Bord und natürlich unser primäres Ziel ODIN heraus.

Doch anders als in den meisten anderen Adventures mit vergleichbarem Ansatz (wie zum Beispiel auch Gone Home), verlangt Tacoma nicht von uns, möglichst viele verstreute Hinweise mühsam aufzuspühren (was wir aber trotzdem optinal tun können), sondern vor allem mithilfe des zentralen Gameplay-Gimmicks die Zeit zu manipulieren. Dabei handelt es sich um ein praktisches Augmented-Reality-Tool, das es uns erlaubt, auf die Datenbank von ODIN zugreifen und alle audiovisuellen Aufzeichnungen der Station betrachten zu können. Im Gegensatz zu Games wie Life is Strange, in dem wir tatsächlich in der Zeit vor und zurückreisen mussten, um Rätsel zu lösen, bleibt Amy allerdings nur passive Beobachterin der vergangenen Ereignisse.

Wir spulen also nicht wirklich die Realzeit zurück, sondern schauen uns die Aufzeichnungen beliebig oft an und können munter innerhalb der Zeitleiste hin und herspringen. Dadurch eröffnen sich uns aber aufgrund verschiedener Aufnahmen und Kameras auch entsprechend viele variable Perspektiven auf ein und dasselbe Geschehen, sodass es sich in mehrfacher Hinsicht lohnt, immer auch nach möglichst vielen Crew-Mitgliedern (dargestellt als VR-Körper) und deren Aktionen während einer bestimmten Phase Ausschau zu halten. 

Was zunächst nach einem vielversprechenden Ansatz klingt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung allerdings als wenig tiefsinnig. Denn selbst wenn man Amy als kaum greifbaren, letztlich aber nur beobachtenden Avatar noch akzeptieren kann - für die Crew kann das beileibe nicht gelten. Obgleich die Macher angenehmerweise nicht mit den üblichen ausgelutschten Schreckensszenarien hantieren, wie sie im motivischen Dreigestirn aus verlassener Raumstation, einsamer KI und Mysterien einer Crew viel zu oft schon verarbeitet wurden, so bleiben uns Figuren, Story und sogar das Setting letztlich unerwartet fremd und gleichgültig. Eine richtig packende Atmosphäre gepaart mit einer Prise Dramatik weiß Tacoma über lange Zeit ebenso wenig aufzubauen wie komplexe Charaktere, deren Schicksal mangels echter Konflikte oder tragischer Entscheidungen innerhalb des Kollektivs wirklich berühren würde.

Zwar lernen wir einige Mitglieder durchaus oberflächlich näher kennen, doch der Grund dafür bleibt uns zu oft storytechnisch unklar oder der Effekt verpufft in einer nur vor sich hinschlängelnden Dramaturgie, die eigentlich erst mit dem Schlussakkord langsam zünden würde. Da es abseits des Erkundens und Anschauens kaum Rätsel neben simpler Türcode-Sucherei oder andere Aktivitäten gibt - Stichwort Walking-Simulator - dürften nicht wenige Spieler nach Abschluss der Kampagne relativ ungerührt zur Tagesordnung übergehen. Das ist auch deshalb bedauerlich, da es technisch im Rahmen des wahrscheinlich nicht gerade üppigen Budgets nichts zu bemängeln gibt und die Soundkulisse inklusive einiger sehr schön platzierter Lichteffekte absolut gelungen ist. 

Fazit

Gute Zutaten, aber leider in Summe kein komplett schmackhaftes Gericht. So könnte man Tacoma auf den Punkt bringen. Dem Walking-Simulator mangelt es nicht an Ideen, doch leider bekommt es Fullbright nicht hin, den Figuren und der Story wirklich Leben einzuhauchen und uns über weite Strecken der ohnehin knappen Spielzeit an die Geschichte zu binden. Mangelnde Abwechslung, wenig Emotionen und trotz der interessanten Vor- und Rückspulmechanik kaum erzählerische oder gar spielerische Tiefe - so reicht es leider nicht zum Prädikat Toptitel, wie ihn sich Fullbright mit Gone Home bereits selbst im Genre verdient hat. Schade.

Tacoma • Fullbright • Walking-Simulator/Adventure

Abb. © Fullbright

 

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