1. September 2014 4 Likes 2

7 Milliarden Kraftwerke

Aus uns ist in Zukunft mehr rauszuholen als wir denken - Eine Kolumne von Uwe Neuhold

Lesezeit: 5 min.

Wenn eines Tages die Atomkraftwerke ihren letzten Seufzer tun, Braunkohle und Erdgas verbraucht sind, Flüsse und Erdöl versiegen, der Wind nicht mehr weht, alle Erdwärme verpufft ist und die Sonne den globalen Smog nicht mehr durchdringt – was bleibt uns dann noch, um Strom zu erzeugen? Richtig: wir selbst.

Nehmen wir mal nur unsere offensichtlichste Fähigkeit: Ein Mensch kann durch Muskelkraft etwa 120 Watt mechanische Leistung erzeugen – trotz Umwandlungsverlusten bleiben davon rund 100 Watt an elektrischer Power. Lassen wir zehn Leute täglich fünf Stunden mit dem Fahrrad fahren (ein trainierter Radfahrer schafft eine Dauerleistung von 200 Watt), erzeugen sie 5 kWh pro Tag, das ergibt 1825 kWh im Jahr und deckt den jährlichen Strombedarf eines Zweipersonenhaushalts. Wann immer man zudem auch fernsehen will, werden zusätzliche 15 Radfahrer an die Kiste angeschlossen. Und das ist längst noch nicht alles…

Aus technischer Sicht ist unser Körper ein biologischer Reaktor mit einer Betriebstemperatur von 37 °C.  Da unsere Umgebungstemperatur niedriger ist, geben wir ständig Wärme ab. Aus diesem Grund müssen wir auch Energie in Form von Nahrung zu uns nehmen – zwischen 1800 und 3000 Kilokalorien pro Tag -, die wir  wiederum verbrennen und in Wärme umwandeln. Wie bei jedem Verbrennungsprozess werden hierbei Abfallstoffe erzeugt: feste, flüssige und gasförmige. Diese besitzen immer noch ein Quäntchen Energie, das man gewinnbringend nutzen kann. Als Dünger, der von Bakterien verwertet neue Wärme erzeugt. Oder als Mini-Wasserkraftanlage. Und das gelegentlich entströmende Methan könnte Unterhaltungselektronik betreiben.

Gerade für den Betrieb mobiler Kleingeräte besitzt unser Körper vielfältige Voraussetzungen. So zeigten Wissenschaftler der University of California in San Diego Anfang August auf der weltgrößten Messe für Chemie, dass man allein mit Schweiß einen MP3-Player versorgen kann (Video hier). Ein abwaschbares Tattoo, das aus einem winzigen Sensor besteht, wird auf die Haut geklebt; darin enthaltene Enzyme entziehen dem Milchzucker im Schweiß Elektronen. Der daraus abgeleitete Strom kann sogar gespeichert werden, da wie in einer Batterie die Enzyme als Anode fungieren und ein im Tattoo enthaltenes Molekül als Kathode. Die obigen Radfahrer liefern uns also nicht nur Haushaltsstrom, sondern durch ihren Schweiß auch gleich die Musik dazu.

Außerdem könnten wir die Radfahrer, wenn sie schon da sind, auch zum Heizen unserer Wohnung nutzen. Da jeder Mensch während der Wachphasen circa 60 Watt Wärmeleistung erzeugt, wird diese schon heute in Gebäuden verwendet – etwa von der schwedischen Firma Jerhusen AB. Sie denkt in größerem Maßstab: um ihr 13-stöckiges Bürohaus zu beheizen, dient der benachbarte Bahnhof von Stockholm (in dem sich täglich etwa 250.000 Menschen aufhalten) als Kraftwerk. Über ein eigens angepasstes Belüftungssystem versorgt die gesammelte Körperwäre einen Wärmetauscher und damit das Wasser für die Zentralheizung.

Wir brauchen jedoch nicht unbedingt fremde Körperwärme, sondern sollten auch unsere eigene sinnvoll einsetzen. Technische Grundlage hierfür sind zum Beispiel thermoelektrische Generatoren (TEG), wie sie am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen gebaut werden. Diese nur wenige Zentimeter großen Bauteile aus unterschiedlichen Halbleitermaterialien lassen nach altbekanntem physikalischem Prinzip Strom von einer wärmeren zur kälteren Fläche fließen. So entstehen in einem TEG durch pures Handauflegen Spannungen im Millivolt-Bereich. Spannungswandler transformieren diese in eine wesentlich höhere Ausgangsspannung und versorgen unter anderem Sensoren, Funkempfänger und Displays mit bis zu 3,3 Volt – ohne Verkabelung und Batterien. Im Grunde könnte man somit auch ein Mobiltelefon einfach aus der Handfläche versorgen. Oder wir kleben es uns hinters Ohr.

Aber nicht nur Radfahrer und Bahnhofspassanten, sondern auch jeder Jogger in meiner Straße könnte bald Strom erzeugen: Entwickler der Simon-Fraser-Universität in Burnaby, Kanada, präsentierten kürzlich einen Dynamo, der wie ein Stützstrumpf um das Knie gelegt wird. Bei jedem Schritt wirken somit Kräfte auf ein Getriebe, welches wiederum einen Generator dreht. Mit dem 1,6 kg schweren Prototyp erzeugten Testläufer elektrischen Strom mit bis zu 54 Watt Leistung. Einfache Fußgänger bringen es damit immerhin auf fünf Watt. Ich könnte auch einfach entsprechend Geräte im Gehsteig vor dem Haus verlegen – schon versorgen mir die Passanten kostenlos die Türbeleuchtung.

Natürlich wittern auch Militärs das Potenzial solcher Anwendungen: etwa Rucksäcke für Soldaten, welche aus den wippenden Auf- und Ab-Bewegungen beim Marschieren Strom für mobile Elektronik und Nachtsichtgeräte liefern – verstärkt von Minikompressoren in den Soldatenschuhen. Eine friedlichere Nutzung wäre in jedem öffentlichen Gebäude machbar, durch das täglich Menschen gehen. Oder in „nachhaltigen Discos“: In Rotterdam produziert schon heute jeder Tänzer im „Club Watt“ an die zehn Watt, wenn er sich auf der elastischen Tanzfläche bewegt. Dynamos unter dem etwas nachgebenden Boden wandeln die Bewegungsenergie in elektrischen Strom um.

Wer nichts von Tanzen  hält, nutzt einfach die Glucose in seinem Blutkreislauf als Energielieferant. Chemiker der University of Texas in Austin bauten bereits eine Batterie aus zwei dünnen, mit Katalysatormaterialien beschichteten Kohlefasern. An diesen werden durch das Enzym Glukoseoxidase Elektronen aus dem Blutzucker abgezogen und an einer anderen Faser dem im Blut gelösten Sauerstoff zugeführt. Mit diesem Stromkreislauf produzierte ein Prototyp immerhin schon knapp zwei Mikrowatt: das ist vergleichbar mit einer Knopfzelle. Es genügt zwar noch nicht für Herzschrittmacher, wird aber möglicherweise bald medizinische Sensoren im Körper autonom versorgen.

Selbst das Tippen dieses Textes könnte mir eigentlich Strom liefern. Der Computerhersteller Compaq entwickelte einen Tastatur-Prototyp, der beim Tippen den Laptop-Akku auflädt. Jede einzelne Taste ist mit einem kleinen, weniger als ein Gramm wiegenden Magneten verbunden: dieser wird beim Tippen durch eine Spule gedrückt und erzeugt einen kleinen Induktionsstrom. Ein Kondensator, in dem der Strom zwischengespeichert wird, ist nach mehrmaligem Tastendruck aufgeladen, gibt seinen Strom an die Batterie ab und verlängert dadurch die Akku-Laufzeit um einige Stunden.

Um in Zukunft Eigenenergie zu erzeugen, müssten wir uns – genau genommen – nicht einmal bewegen, atmen oder stoffwechseln: Ein Mensch durchschnittlicher Größe speichert allein in seinem Körperfett so viel Energie wie eine tausend Kilogramm schwere Batterie. Wir selbst zapfen sie täglich an, um leben zu können. So gesehen sind wir nichts Anderes als temporäre Zwischenspeicher und Umwandler für die Energie des Sonnenlichts, welche täglich auf unseren Planeten einstrahlt. Ein Planet mit sieben Milliarden intelligenten Kraftwerken…

Kommentare

Bild des Benutzers Hans Schilling

Schade dass ich nur ein "Like" für diesen Artikel geben kann!!!

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Geht mir genauso - auf Science Punk freue ich mich jedes Mal!

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