17. April 2015 1 Likes 3

Am schönsten ist es zu Hause

Jetzt ist klar, warum wir nichts von den Außerirdischen hören – Eine Kolumne von Uwe Neuhold

Lesezeit: 3 min.

„Wo sind sie alle?“ So lautete die berühmte Frage, die  Physik-Nobelpreisträger Enrico Fermi im Sommer 1950 während eines Mittagessens im Forschungszentrum Los Alamos an Edward Teller – einen der „Väter“ der Wasserstoffbombe –  und zwei weitere Kollegen stellte. Denn für fortgeschrittene Zivilisationen sollten Reisen mit Lichtgeschwindigkeit möglich sein und die Erde schon oft Besuch von intelligenten Lebewesen bekommen haben. Paradoxerweise fehlt von ihnen aber bis heute jede Spur.

Inzwischen gab es zahlreiche mehr oder weniger gute Erklärungsversuche – die besten vielleicht in David Brins 2012 veröffentlichtem Roman „Existenz“ (im Shop). Wahrscheinlich trifft jedoch eine ganz andere, in ihrer Banalität besonders Besorgnis erregende Antwort zu. David Berreby, Journalist und Blog-Autor warf sie auf, als er sich Gedanken zum steigenden  Durchschnittsalter der Erdbevölkerung machte.

Nehmen wir – durchaus berechtigt – an, dass jede intelligente Spezies danach trachtet, ihre Lebensdauer zu verlängern, sei es durch Medizin, gesunden Lebensstil oder Technologie. Das ist auf der einen Seite schön, dürfte jedoch andererseits mit Nebenwirkungen einhergehen, die wir auch auf unserem Planeten beobachten können: Zum einen werden alte Menschen zunehmend senil, gebrechlich, engstirnig, unflexibel, vorsichtig – und hegen eher Abneigung gegen Neues, speziell im technischen und sozialen  Bereich. Und gleichzeitig sinkt der Anteil von Jugendlichen in der Bevölkerung – schon allein um die  Ressourcen nicht aufzubrauchen –, und damit stagniert auch die Innovation. Da alte Menschen auch weniger Energie und Industrieprodukte verbrauchen als junge, kommt es zu einem allmählichen Rückgang von Neugier und Forscherdrang.

Wie anthropologische Beobachtungen zeigen, herrschen in Gruppen höherer Lebewesen in der Regel die Ältesten, Erfahrensten. Jüngere haben nichts zu melden, bis sie selbst alt genug sind, um die Alten mehr oder weniger demokratisch abzusetzen. Dies gilt nicht nur für Stammesgesellschaften oder Diktaturen. Auch in demokratischen Systemen – siehe Europa – zielt die Politik vor allem auf Wahrung des Besitzstands: Geld wird (freilich mit guten Argumenten) lieber in Pensionen, Versicherungen, Lebensmittel, Gesundheits- und Verteidigungssysteme investiert als in technologische Forschung und Raumfahrt.

Stellen wir uns nun die Erde in hundert Jahren vor – denn so lange, schätzen die meisten Wissenschaftler, wird an Antriebssystemen und Astrophysik weiter geforscht werden müssen, bis Raumschiffe mit zumindest annähernd Lichtgeschwindigkeit möglich wären. Im 22. Jahrhundert jedoch wird unser Planet, wenn die demografische Entwicklung so weiter geht, hauptsächlich von Greisen bevölkert sein. Mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von weit über hundert Jahren werden sie sich an sauberer Umwelt und ordentlichen Städten erfreuen und höchstwahrscheinlich viel zu bequem sein, um in den Weltraum aufzubrechen. Wozu sollten sie sich unbekannten Gefahren und fremden Lebensformen aussetzen, wenn es doch „zu Hause am schönsten“ ist?

Und irgendwann taucht dann vielleicht sogar der Gedanke auf, sich einzuigeln und auch nicht mehr nach fremdem Leben zu  suchen oder gezielt Kontaktsignale auszusenden. Es könnte ja sein, dass eine feindliche Alien-Spezies sie auffängt und doch mal beschließt, bei uns vorbeizukommen. So werden ganze Planeten zu „demografischen Schwarzen Löchern“, die zwar neue Informationen sammeln, aber keine mehr raus geben.

Es sind also wahrscheinlich nicht (nur) die großen interstellaren Distanzen, fremdartigen Kommunikationsmethoden und technischen  Herausforderungen, die dazu führen, dass wir von außerirdischen Zivilisationen noch nichts gesehen haben. Sondern schlicht Müdigkeit, Angst und Bedenkenträgerei. Und so könnte die endgültige Antwort auf die Frage „Wo sind sie alle?“ einfach lauten: daheim vorm Fernsehapparat.

 

Uwe Neuhold ist Autor und bildender Künstler, der sich insbesondere mit naturwissenschaftlichen Themen befasst.

Kommentare

Bild des Benutzers Horusauge

Jaja, die Bequemlichkeit ;)
Nette, unterhaltsame These, wollen wir hoffen, dass sie nicht wahr ist bzw wird

Bild des Benutzers Shrike

Also ich weiß nicht Herr Neuhold, vermutlich bin ich nicht normal. Da stehe ich nun schon deutlich in der zweiten Lebenshälfte und müsste zu der angesprochenen Stubenhocker-Liga gehören.
Trotzdem denke ich mir bei jedem zweiten Artikel auf dieser Seite: "Schade, dass ich das nicht mehr erleben werde."
Sie werden den Gedanken in einigen Jahren vielleicht auch haben. Schade, dass ich das nicht mehr erleben werde.

Bild des Benutzers Uwe Neuhold

Doch, doch - wir zwei werden das schon noch erleben (aufgrund medizinisch gesteigerter Lebenserwartung). Aber wir werden uns mit den 120 Jahre alten Knochen nicht mehr dazu aufraffen können, das Wohnzimmer zu verlassen um uns beim Seniorendiskussionsabend zu treffen :-)

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