10. April 2015 5 Likes 1

Technik und Wahn

In einer Science-Fiction-Welt hofft man offenbar auch auf Science-Fiction-Lösungen – Eine Kolumne von Sascha Mamczak

Lesezeit: 4 min.

Morgens vor dem Badezimmerspiegel: schab, schab, kratz, kratz. Wann kam eigentlich das Rasieren in Mode? Es fühlt sich zumindest sehr alt, ja fast schon archaisch an, mit einer scharfen Klinge, und sei sie elektrisch, über die empfindliche Gesichtshaut zu fahren. Könnte da jemand nicht endlich mal etwas erfinden? Einen Antibartstrahler. Oder ein Haarstoppeleliminierungsgel. Ich dachte, wir leben im 21. Jahrhundert …

Nein, man kann ihn einfach nicht ablegen, vor allem nicht, wenn man bereits in jungen Jahren mit dem Science-Fiction-Virus infiziert wurde: diesen Glauben an die heilsame, alle Alltagswidrigkeiten transzendierende Kraft der Technik. Schon meine frühe Faszination für Star Wars bezog sich weniger auf das gestelzte Jedi-Geraune, sondern auf die zahllosen blinkenden, umhersausenden, allzeit zur Verfügung stehenden Gerätschaften. Und die entscheidende Star-Trek-Szene war für mich immer Kirks und McCoys Besuch in einem Krankenhaus der Gegenwart (im vierten Kinofilm), bei dem McCoy zwei Ärzte, die sich über einen Krebspatienten unterhalten, empört anblafft: „Chemotherapie? Das ist ja wie im finsteren Mittelalter!“

Die Zukunft: kein Ort für Gesichtsakne, Liebeskummer, Bankschulden oder Krebs. Die Zukunft: ein idyllisches Technotop. Was mit Francis Bacon begann, kulminierte spätestens mit Hugo Gernsbacks „Ralph 124C41+“ zum Gründungsmythos eines ganzen Genres. Doch es gehört – da geht es einem literarischen Genre nicht anders als etwa einer politischen Partei – zu einem Gründungsmythos, dass er irgendwann überwunden werden muss, wenn man nicht den gesellschaftlichen und kulturellen Anschluss verlieren will. Genau diesen Prozess durchlief die Science-Fiction ab Mitte der 1960er (und wenn man genau hinsieht, findet man auch in Star Wars und Star Trek jede Menge Technik, die nicht funktioniert). Und so ging es auch mir: Natürlich ähnelt das Internet auf spektakuläre Weise jenem „Weltgehirn“, das H. G. Wells einst prophezeit hat, aber dieses Gehirn folgt leider keiner Logik, dieses Gehirn ist ein Kriegsschauplatz. Und ja, inzwischen tragen wir alle Kommunikatoren mit uns herum wie einst die Crew der Enterprise, aber dass diese smarten Geräte unser Leben wirklich leichter machen, kann heute niemand mehr ernsthaft behaupten, im Gegenteil: Sie haben Probleme geschaffen, von denen wir gar nicht wussten, dass es sie gibt. Technik besitzt eben keinen Wert, jedenfalls keinen intrinsischen – Technik ist die stofflich-energetische Ausformung menschlicher Wertsetzung. So dachte ich, bis …

… am 24. März 2015 ein (nach allem, was man weiß) schwer depressiver Co-Pilot ein Passagierflugzeug mit 150 Menschen an Bord in den französischen Alpen abstürzen ließ. 150 Menschen verloren ihr Leben, weil sich im Kopf eines einzelnen Menschen eine Implosion ereignet hatte.

Die furchtbare Katastrophe, deren wahre Ursache, die Ursache der Implosion, vermutlich nie geklärt werden wird, wurde in den Medien von allen nur denkbaren Seiten beleuchtet. In Erinnerung geblieben ist mir dabei vor allem ein Leitartikel in der Frankfurter Allgemeinen, der die Frage stellte, ob man Flugzeuge eines Tages nicht mehr von Menschen, sondern von Maschinen fliegen lassen sollte: „Wäre das des Teufels? Ein Roboter, der nach den Asimovschen Gesetzen programmiert wäre, könnte ein mit Menschen besetztes Flugzeug nicht absichtlich in einen Berg fliegen, selbst wenn ihm das von einem Menschen befohlen würde.“ Da war sie: die Science-Fiction in nuce (der Leitartikler hielt es übrigens auch nicht für nötig, den Lesern die „Asimovschen Gesetze“ zu erklären). Und ich ertappte mich bei dem Gedanken: Nein, das wäre nicht des Teufels. 150 Menschen würden noch leben, wenn ein solcher Roboter dieses Flugzeug geflogen hätte. Hier hätte Technik tatsächlich einen Wert in sich – nicht als Ausformung des Menschen, sondern als sein Ersatz.

Nur: Ist es wirklich so einfach? Einer der Gründe, warum der Co-Pilot die Maschine zum Absturz bringen konnte, ist ja, dass sich unser technologiegläubiges Verständnis von Sicherheit (hier: die Verriegelung der Cockpittür) immer wieder gegen unsere Sicherheit wendet und wenden wird, egal wie fortgeschritten die Technik ist; auch Isaac Asimov kam an dieser Erkenntnis nicht vorbei. Und: Welchen Typus Mensch wollen wir künftig ersetzen? Depression ist ein weit verbreitetes Krankheitsbild – wie viele Depressive arbeiten in der Atomindustrie, im NATO-Hauptquartier, im Kanzleramt? Gehen wir bald mit Depressionsscannern durch die Gegend und stellen jeden, der auch nur den kleinsten Hinweis darauf gibt, mit ihm wäre etwas nicht in Ordnung, unter Generalverdacht? Worüber reden wir hier überhaupt: über eine Erkrankung, über einen Missbrauch, über ein Verbrechen? Klar ist, dass wir, hier und anderswo, über ein gesellschaftliches Problem reden, und wollen wir ernsthaft alle gesellschaftlichen Probleme an die Maschinen delegieren – oder wollen wir uns darüber Gedanken machen, woher diese Probleme kommen und ob sie tatsächlich alle Teil der „menschlichen Natur“ sind?

„Can technology save the planet?“, hat Bruce Sterling derartige Fragen einmal ironisch überspitzt. Ironisch deshalb, weil die Technik – die technische Sicht der Welt, der Natur, des Menschen – den Planeten zu einem großen Teil erst in die Situation gebracht hat, aus der es ihn nun zu retten gilt. Es ist eine der wichtigsten, wenn nicht sogar die wichtigste Zukunftsaufgabe, dass unsere Zivilisation eine Richtung einschlägt, in der sich Sterlings Frage schlicht nicht stellt.

Viel, viel wichtiger jedenfalls als meine Wehleidigkeit morgens vor dem Badezimmerspiegel.

 

Sascha Mamczaks Buch „Die Zukunft - Eine Einführung“ ist im Shop erhältlich.

Kommentare

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Ich kann dich jedenfalls dahingehend beruhigen, dass du mit dem Problem der Rasur offenbar nicht alleine bist: Gibt man "Bart lasern" bei Google ein, ist der zweite Treffer (nach einer Werbeanzeige) ein Beitrag aus dem scifi-forum.de.

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