23. Juli 2020

Arkady Martines Debüt „Im Herzen des Imperiums“

Die doppelbödige Poesie des Sternenreichs

Lesezeit: 3 min.

Die kleine Bergbaustation Lsel, die um einen kaum fünfunddreißig Kilometer im Durchmesser zählenden Asteroiden errichtet wurde, und das übermächtige galaktische Imperium der Teixcalaaner, das diese Station jederzeit annektieren kann – so beginnt Arkady Martines hochgelobtes Debüt Im Herzen des Imperiums“ (im Shop). Was dann folgt, ist ein fesselnder Politthriller um Unabhängigkeit und kulturelle Eigenständigkeit, bei dem vor allem ein Instrument zum Einsatz kommt: die Sprache. Der Roman wurde für den Nebula 2020 nominiert.

Als Mahit Dzmare von Lsel nach Teixcalaan gebracht wird, um dort den verschollenen Botschafter Yskandr Aghavn zu ersetzen, ist ihr klar, dass dies eine heikle Mission wird. Zu ungleich sind die Machtverhältnisse verteilt, zu undurchsichtig die Verhältnisse auf Seiten des Imperiums. Zwar hat Aghavn dafür gesorgt, dass die Lsel-Station den teixcalaanischen Eroberungsgelüsten bislang nicht zum Opfer gefallen ist, aber diese Situation kann sich schnell ändern. Umso mehr, da der Botschafter möglicherweise einem Anschlag zum Opfer gefallen ist – in jedem Fall lebt er nicht mehr. Dazu kommt, dass politische Umbrüche drohen, da Imperator Sechs Vektor seine Nachfolge noch nicht geregelt hat. Auf Mahit Dzmare wartet also eine komplizierte Gemengelage. Zunächst aber muss sie sich in die Rolle der neuen Botschafterin einfinden. Hierzu besitzt sie einen geheimen technischen Vorteil: Sie ist nicht nur Expertin für teixcalaanische Sprache und Kultur, sondern führt Yskandr in Form eines „Imago“ mit sich – einem Implantat, auf dem die Persönlichkeit ihres Vorgängers gespeichert wurde. Zwar ist die Aufzeichnung fünfzehn Jahre alt und daher nicht auf dem neuesten Stand, doch ihre Kenntnisse sind natürlich von großem Wert. Aber warum ist der Imago-Yskandr kurz nach Mahits Eintreffen auf Teixcalaan verstummt?

Es gibt Bücher, die davon profitieren, was für die Niederschrift angelesen wurde, und es gibt solche, bei denen einfach nur auf ohnehin bestehendes Fachwissen zurückgegriffen wird. „Im Herzen des Imperiums“ gehört zur zweiten Sorte, denn die Autorin Arkady Martine hat unter ihrem bürgerlichen Namen AnnaLinden Weller Geschichte studiert und sich im Rahmen ihrer Promotion mit dem Byzantinischen Reich (395–1453) beschäftigt; derzeit arbeitet sie im Bereich Stadtplanung als politische Beraterin im US-Bundesstaat New Mexico. Beides ist für das Buch von Vorteil. „Im Herzen des Imperiums“ gestaltet seine Geschichte mit Geduld, sorgfältiger Figurenzeichnung und einem eindrucksvollen Weltentwurf, bei dem sichtlich Frank Herbert (im Shop) als Vorbild diente: „‚Dune‘ hat die Richtung vorgegeben“, so Martine in einem Interview. Entsprechend vielschichtig ist das teixcalaanische Imperium entworfen, wobei die kuriose Namensgebung mit vorgeschalteter Ziffer – die schönste ist Sechsunddreißig Allrad-Tundrafahrzeug – im besten Sinne an Iain M. Banks (im Shop) erinnert.

Doch Martines Roman besticht nicht nur durch eine ausgeklügelte Kulisse und einem an historischen Ereignissen geschulten Hintergrund (die Handlung folgt einem Konflikt aus dem Jahr 1044). Als politisch angelegter Thriller gestaltet das Buch einen klassischen Konflikt, nämlich die Auseinandersetzung zwischen einer hilflos scheinenden Regionalmacht und einem übermächtigen Imperium, dem in keinem Fall militärisch beizukommen wäre. Was bleibt, sind allein die Mittel der Diplomatie. Diese Situation erzählerisch auszugestalten, erfordert von Seiten der Autorin einen nicht unbeträchtlichen Aufwand und einen hohen Anspruch an sich selbst, dem sich Arkady Martine jedoch durchgehend gewachsen zeigt: „Im Herzen des Imperiums“ ist eben keine handelsübliche Space Opera, sondern – bei aller Spannung und Unterhaltsamkeit – ein höchst bemerkenswerter Beitrag zur ambitionierten Science Fiction. Dies liegt insbesondere an den Mitteln der Sprache: Für die Teixcalaaner fallen Poesie und Weltwahrnehmung zusammen, weshalb sie Gedichte und Gesänge nutzen, um politisch Kritik zu üben – was jede Menge interpretatorische Spielräume ermöglicht und es schwierig macht, konkrete Aussagen zu ermitteln. Genau von dieser permanenten Unsicherheit handelt das Buch. Dass sich das Tempo des Romans bisweilen etwas verlangsamt, kann man ebenso verzeihen wie das von der US-Ausgabe übernommene Covermotiv, das ein bisschen sehr an die Bildwelt von George R.R. Martins Fantasyzyklus „A Song of Ice and Fire“ erinnert. (Schön anzusehen ist es trotzdem.)

Wie bei dem Erfolg nicht anders zu erwarten, arbeitet Arkady Martine bereits an einem Folgeband, der für 2021 angekündigt ist. Es bleibt zu hoffen, dass sie ein weiteres Mal alles genau so richtig macht wie hier.

Arkady Martine: Im Herzen des Imperiums • Roman • Aus dem Amerikanischen von Jürgen Langowski • Heyne, München 2019 • 605 S. • € 14,99 • E-Book • € 11,99 • im Shop

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.